COMIC!-JAHRBUCH 2018 |
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Alphabet des Ankommens
Comicreportagen über Migration
Von Lilian Pithan
Das Format «Comicreportage« ist in Deutschland bei weitem nicht mehr so unbekannt, wie es das vor einigen Jahren noch war. Dazu beigetragen hat vor allem die österreichische Zeichnerin Ulli Lust mit ihren dokumentarischen Comics, aber auch ihr ehemaliger Monogatari-Mitstreiter Jan Feindt im Team mit correct!v-Gründer David Schraven. In diesem Jahr hat besonders das Buch «Im Schatten des Krieges» der amerikanischen Zeichnerin Sarah Glidden die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, deren Berichte aus der Türkei, dem Irak und Syrien in der deutschen Übersetzung bei
Reprodukt unter dem Schlagwort «Reportagen«
veröffentlicht wurden. Mit dem «Alphabet des Ankommens« des Deutschen Comicvereins e.V. ist nun eine weitere Publikation erschienen, die sich mit den Arbeitstechniken und Darstellungsformen des Comicjournalismus auseinandersetzt.
Auch wenn sich immer mehr Zeichner und Journalisten an die Comicreportage als neue Darstellungsform wagen, erscheinen diese meistens im Rahmen von Buchpublikationen und eher selten in den Medien. Eine Ausnahme stellt das Schweizer Magazin REPORTAGEN dar, das regelmäßig journalistische Comics veröffentlicht. Wer einen Blick nach Frankreich oder die USA wirft, wird mit der «Revue dessinée», der «Revue XXI», «Symbolia» und «The Nib» zahlreiche Publikationen finden, die sich ganz oder teilweise dem Comic-journalismus verschrieben haben. Als Genre bietet die Comicreportage ungeahnte erzählerische und künstlerische Möglichkeiten, die es verdienen, auch in Deutschland erforscht und erweitert zu werden. So lassen sich im Comicjournalismus komplexe Inhalte ganz anders transportieren, da sie anschaulich dargestellt und so verständlicher werden können. Das kann zum Beispiel bei Storys mit komplexen Verbindungen zwischen zahlreichen Akteuren hilfreich sein. Durch den individuellen Stil des Zeichners, der ein gewisses Maß an Subjektivität einschließt, wird an der Comicreportage nicht nur die informative Seite, sondern auch die künstlerische betont. Das Leseerlebnis ist somit ein ganz anderes als das einer Textreportage.
Um den Comicjournalismus als Disziplin zu stärken, hat der Deutsche Comicverein e.V. im Frühjahr 2017 das Projekt «Alphabet des Ankommens« aufgelegt. Im Rahmen eines einwöchigen Workshops, der vom 6. bis 12. März an der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg stattfand, beschäftigten sich 24 Zeichner und Journalisten im Medium der Comicreportage mit dem Thema Migration. Geleitet wurde der Workshop, der durch eine Förderung der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) ermöglicht wurde, von dem Comiczeichner Sascha Hommer und der Journalistin Lilian Pithan. Medienpartner war ABWAB, die erste arabische Zeitung in Deutschland.
Das Thema Migration sollte sich nicht nur in den Reportagen widerspiegeln, sondern auch das Miteinander im Workshop bestimmen. Aus diesem Grund stand die Teilnahme allen Journalisten und Zeichnern offen, die in Deutschland leben und professionell arbeiten. Aus mehr als 90 Bewerbungen wählte der Deutsche Comicverein e.V. zwölf Zeichner und zwölf Journalisten aus, die insgesamt zehn Herkunftsländer abdecken: Frankreich, Italien, Polen, die Türkei, Tunesien, Syrien, Eritrea, Israel, Brasilien und Deutschland. Arbeitssprache im Workshop war Englisch, doch konnten alle Journalisten in ihrer Muttersprache schreiben.
Inhaltlich wurde einzig die Vorgabe gemacht, daß sich alle Reportagen um das Ankommen in einem fremden Land drehen sollten. Von besonderem Interesse war dabei der Einfluß von Migrationsbewegungen auf Aspekte des Privat- und Alltagslebens: Wie findet man sich im öffentlichen Raum zurecht, wenn man weder Sprache noch Umgangsformen in einem fremden Land kennt? Kann man sich überhaupt in einem neuen Land einleben, wenn man seine Familie in der Heimat zurücklassen mußte? Warum ist es so wichtig, die eigenen Lieblingsgerichte in die Fremde mitzunehmen? Wie kann man sich als Musiker an ein ganz neues Harmonie- und Rhythmussystem anpassen?
Wer sich noch nie mit Comicjournalismus beschäftigt hat, mag sich an dieser Stelle fragen, wie die Zusammenarbeit zwischen einem Journalisten und einem Zeichner eigentlich funktioniert. Je nach Story, Arbeitsweise und Persönlichkeit kann das sehr unterschiedlich sein: Für die Fußball-Reportage «Der freie Platz« machten sich der deutsche Zeichner Marlin van Soest und der brasilianische Journalist Augusto Paim schon einen Tag vor offiziellem Workshop-Beginn gemeinsam auf den Weg zu einem Fußballspiel des FC Lampedusa. Einen Tag lang begleiteten sie die jugendlichen Spieler aus mehr als fünf Nationen, die ein Auswärtsspiel in Neumünster zu absolvieren hatten. Während Paim Kurzinterviews mit den Trainerinnen und Spielern führte, skizzierte van Soest Gesichter, Umgebungen und Szenen auf dem Fußballplatz. Anschließend führte Paim weitere Hintergrundrecherchen über den Fußballverein durch und informierte sich über die Herkunftsländer der Spieler, zu denen Afghanistan, Albanien und Eritrea gehörten. Während des Workshops erarbeite Paim dann ein ausführliches Skript, das in Rücksprache mit van Soest comictauglich gemacht wurde. Das eigentliche Zeichnen der neunseitigen Reportage nahm in diesem Fall die meiste Zeit in Anspruch. Paim feilte währenddessen an den deutschen Texten und schrieb ein kurzes Making-Of, um den Arbeitsprozeß für die Leserschaft zu dokumentieren.
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COMIC!-Jahrbuch 2018
Artikel, Interviews, Analysen, Porträts... November 2017
Format: DIN A4 Umfang: 264 Seiten, davon 26 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25 ISBN 978388834-948-5
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