Die Bundeskunsthalle in Bonn überraschte im Jahr 2017 mit der Ausstellung «Comics! Mangas! Graphic Novels!». Die aufwendige Gesamtschau zog einmal mehr die Aufmerksamkeit der Medien auf den Comic. Einer der beiden Kuratoren dieser Ausstellung, Alexander Braun, überzeugt Museumsleiter bereits seit vielen Jahren mit seinen ergiebigen Konzepten, den dafür ausgewählten Exponaten, seinen organisatorischen Fähigkeiten und, nicht zuletzt, mit beeindruckenden Katalogen. 2015/2016 brachte Alexander Braun mit «Going West! Der Blick des Comics Richtung Westen» in Basel, Dortmund, Hannover und andernorts und mit «Pioniere des Comic Eine andere Avantgarde» in der Frankfurter Schirn parallel gleich zwei Ausstellungen an den Start. Daß er schon Anfang 2017 in der Lage war, eine noch umfangreichere Ausstellung in Bonn mit auf die Beine zu stellen, zeugt von Erfahrung, Effizienz und offensichtlich der Fähigkeit, mit wenig Schlaf auszukommen.
Rund 300 Ausstellungsstücke von etwa 280 Zeichnern wurden in der Bundeskunsthalle zusammengetragen, allesamt aussagekräftige Originale von Wert, gegliedert in sechs Bereiche, bereichert durch drei Virtual-Reality-Stationen, durch Vitrinen mit besonderen Schaustücken, Sitzinseln zum Comiclesen und Bildschirmen mit Dokumentarischem oder Filmausschnitten.
Der Comic kommt damit in veritablen Museen und Kunsthallen an. In Bezug auf die Ausstellung in der Bundeskunsthalle hob Alexander Braun hervor, daß man «europaweit vermutlich für viele Jahre die letzte Gelegenheit habe, so viel Hochkarätiges aus 120 Jahren Comicgeschichte an einem Ort zu sehen.» Er verweist auf den gezeigten Querschnitt durch die gesamte Comicgeschichte, «von Pionieren und Avantgardisten (McCay, Herriman, Feininger und Überraschendem) bis zu Megasellern (Asterix, Tim und Struppi, Lucky Luke, Peanuts, Calvin und Hobbes ...) über Superhelden (Batman, Superman, ...) und Underground (Crumb, Shelton, ...) bis zu Graphic Novels + Co. (Eisner, Pratt, ...) und Mangas von Tezuka, Nakazawa, Kamimura ...» Die Manga-Originale bekomme man selbst in Japan selten zu sehen, weil man dort in der Regel Faksimiles ausstelle.
Tatsächlich zeigten sich die illustren Leihgeber und Gäste anläßlich der Eröffnung begeistert. Denis Kitchen war aus den USA angereist, Kollegen und Museumsdirektoren aus Brüssel, Paris und Angoulême sprachen anerkennend von einer perfekten Ausstellung. Die japanische Kollegin, die als Kurier die Tezuka-Originale aus Tokyo gebracht hatte, blieb gleich mehrere Tage, weil sie sich nicht losreißen konnte.
Selbst das Rahmenprogramm während der viermonatigen Laufzeit war nicht arm an Höhepunkten. So konzertierte im August das mehr als hundertköpfige Bundesjugendorchester vor ausverkauftem Auditorium unter anderem die «Grand Gothik Suite» von Eliot Goldenthal aus den Batman-Filmen. Ralf König zeichnete live zu Mussorgskis «Eine Nacht auf dem kahlen Berge» ein Bestiarium von knollnasigen Höllenwesen. Und obendrauf gab es schließlich eine Welturaufführung: Bundeskunsthalle und Bundesjugendorchester hatten zusammengelegt und einen Kompositionsauftrag an den deutschen Musiker und Komponisten Clemens Rynkowski erteilt, der Winsor McCays Animationsfilm «The Pet» aus den frühen 1920er-Jahren mit einem Soundtrack versah.
Carsten Laqua, Galerist für Comicoriginale seit vielen Jahrzehnten, erläuterte auf dem Comicfestival München 2017, daß mit der Ausstellung «Comics! Mangas! Graphic Novels!» erfreulicherweise sehr deutlich gemacht werde, was ein Comicoriginal eigentlich sei, nämlich ein vom Zeichner gefertigtes Einzelstück, das eine Aura umgibt und viel über den Herstellungsprozeß eines Comics verrät.
Die Wertschätzung, die der Ausstellung entgegengebracht wurde, drückte sich nicht zuletzt in den Kosten aus, die die Bundeskunsthalle bereit war für dieses Projekt zu übernehmen. Gleich im ersten Raum trumpfte man mit drei extra hierfür hergestellten Virtual-Reality-Stationen auf, die den Besucher in dreidimensionale 360-Grad-Panoramen entführte: ein Besuch beim Yellow Kid in den Hinterhöfen New Yorks, eine Schiffahrt mit Little Nemo vor der Skyline Brooklyns und ein Flug mit dem Heißluftballon über die Dächer von König Morpheus’ Palast im Slumberland. An der Erzeugung dieser Landschaften hatten Hochleistungscomputer sechs Monate lang ohne Unterbrechung gerechnet, und das Ergebnis fiel so überzeugend aus, daß sogar Mitarbeiter von Google nach Bonn gereist kamen, um es mit eigenen Augen zu sehen. Somit ging das Konzept der Ausstellungsmacher auf, mit High-Tech-Mitteln des 21. Jahrhunderts etwas von der Emotionalität und der Special-Effect-Begeisterung des Publikums zu Beginn des frühen 20. Jahrhunderts wiederzubeleben, das Sonntag für Sonntag große und vierfarbige Comic-Supplements in seiner Zeitung vorfand.
Alexander Braun nennt noch einen weiteren finanziellen Grund dafür, daß sich eine vergleichbare Ausstellung so schnell nicht wiederholen werde: Wenn einzelne Seiten von Hergé bei Auktionen mittlerweile mit 2,5 Mio Euro gehandelt werden (die Ausstellung zeigte sechs Seiten), eine Seite «Asterix» auf dem Markt auch bereits 300.000 Euro erlöst (die Seiten in der Ausstellung stammten aus den besten 1960er- und frühen 1970er-Jahren), Morris selbst zu Lebzeiten nicht bereit war, «Lucky Luke»-Seiten für Ausstellungen zu leihen, und japanische Mangaka sich am liebsten gar nicht von ihren Originalen trennen auch nicht auf Zeit , dann sind das in Summe alles ziemlich dicke Bretter, die nur mit Hilfe eines Schwergewichts wie der Bundeskunsthalle im Rücken möglich wurden. Es ist schon ein gewaltiger Unterschied, ob ein städtisches Museum wie etwa das Museum Hülsmann in Bielefeld oder das Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund Leihgaben anfragt oder die Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, die z. B. bereits mit dem japanischen Nationalmuseum in Tokio kooperierte. Das ist eine ganz andere Liga.