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COMIC!-JAHRBUCH 2017

Kurt Schalker Preis:
"Spinken.net" von Jeff Chi und Ehrenpreis für Lisa Neun

von Johannes Kretzschmar


Dieses Jahr wurde der "Lebensfenster"-Preis das sechste Mal vergeben. Da mit der Abschaffung des Sondermann-Preises auf der Frankfurter Buchmesse die einzige dedizierte Würdigung für Netzkünstler wegfiel, gründeten mehr und weniger erfolgreiche Webcomiczeichner, Verlagsmenschen und Comicberichter einfach einen eigenen selbstfinanzierten Preis. Die Devise Do-It-Yourself
ist schließlich, wie das Erfinden und konsequente Beleben einer Kunstfigur, "Kurt Schalker", Eckpfeiler der Netzkultur. Der Fokus auf autobiographische Webcomics, wie sie in den letzten Jahren durch die parallele Entwicklung des Social Webs und einhergehender Blog-Trends, sehr populär waren, wird die Kurt-Schalker-Jury wohl über kurz oder lang überdenken müssen. Die Spannbreite an Comics im Netz hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt und vor allem stark professionalisiert.
Der Gewinner des "Lebensfenster" dieses Jahres ist ein stetiger Gast auf den Longlists der Kurt Schalker Jury. Jeff Chi zeichnet seit Jahren seinen Comicblog "Spinken". Mit lockerem Strich wird ganz unprätentiös aus dem Leben des Mediengestalters berichtet. Auch wenn der Strich oft verwackelt und auf erstem Blick wenig eingängig daherkommt, schafft Jeff es in kurzen gefühlvollen Comicstrips, eine emotionale Bindung zum Leser aufzubauen, die auch nachschwingt. So lassen sich an den zahlreichen Comics die künstlerische und persönliche Entwicklung eines Comiczeichners nachvollziehen, der heute Teil einer jungen Zeichnergeneration ist, die in Anthologien (JAZAM!) veröffentlichen, an 24h-Comic-Marathons teilnehmen und Comic-Motorradgangs (MONDO) gründen. Auch wenn Jeff noch nicht bei einem Verlag veröffentlicht hat, nutzt er auch hier die Möglichkeiten des Internetzes und hat mit "Bongoland" eine Eigenpublikation über Crowdfunding finanziert bekommen.
Wenn man bedenkt, daß das World Wide Web gerade mal knapp über 25 Jahre alt ist, sind sechs Jahre eine Ewigkeit. So hatte das Kurt-Schalker-Komitee dieses Jahr beschlossen, einen Preis (stilecht in Form des weltweit ersten 3D-gedruckten Comicpreises) für das Lebenswerk zu vergeben und damit Lisa Neun geehrt. Und von einem Lebenswerk kann man hier tatsächlich schon sprechen. Lisa Neuns Webcomic zählt zu den frühesten regelmäßig dedizierten Online-Comic-Veröffentlichungen in Deutschland; wenn man Sven K. mit seinen Ivy-Cartoons herausrechnet, ist er sogar der erste. Während ein Großteil der Zeichner erst mit den vereinfachten Veröffentlichungsmöglichkeiten des "Mitmach"-Webs 2.0 ihre Comics ins Internet brachten, klöppelte Lisa schon weit vorher Webseiten per Hand und nutzte erst später das breite Angebot verschiedener Content-Publishing-Plattformen. Lisa ist vielleicht vielen (noch) relativ unbekannt, aber ohne Zweifel eine feste Größe in der deutschen Comicgeschichte.
Wir haben nun Lisa und Jeff zum Interview gebeten.


COMIC!: Es fällt auf, daß der diesjährige Kurt-Schalker-Preisträger und die Preisträgerin aus der Gegend Nürnberg/Erlangen kommen, die durch den Comicsalon ja sowieso schon als inoffizielles Comic-Mekka gilt. Ist das Zufall oder bin ich hier auf eine größere Verschwörung gestoßen?
 
Lisa Neun: Das war keine Verschwörung sondern massive Gewalt. Jeff wartet schon seit Jahren auf einen Preis und hat trotz Nominierung Jahr für Jahr den Kürzeren gezogen. Da mußte gehandelt werden. Nachdem ich, Lisa, sehr gute Kontakte zur Erlanger Gastronomie habe, drohte ich mit flächendeckendem Lokalverbot während des Comic-Salons für die Schalker-Team-
Mitglieder. Das hat gewirkt. Naja, ich wollte auch was dafür haben, und habe daher den Lebenspreis bekommen :) Aber ein ganz so regionales Armageddon war’s eh nicht, weil ich Wienerin bin und der Jeff Hannoveraner. An alle Franken: Ihr müßt euch noch weiter anstrengen für eine originären Preis!

Jeff Chi: Ich denke, daß das ein großer Zufall ist. Ich bin auf jeden Fall nur aus Zufall in der Region gelandet. Eigentlich gibt es zwischen Erlangen und Nürnberg außerhalb des Comic-Salons kaum Comiczeichner oder so etwas wie eine Szene. Wir haben einen monatlichen Comic-Produzenten-Stammtisch, zu dem noch nie mehr als sieben Leute gekommen sind, und da sind Lebenspartner schon eingerechnet.
 
COMIC!: Ihr seid ja beide nicht "professionell" Comiczeichner (oder doch?). Wie seht ihr das Verhältnis von eurer Gelderwerbstätigkeit zum Comiczeichnen?

Jeff Chi: Ich habe ja gerade ein Design-Studium angefangen, von dem her ist die Verzahnung aktuell wieder größer als früher in meinem Beruf als Webdesigner und -entwickler. Ich fand es aber immer gut, daß mein Brotjob wenig mit meinem Hobby zu tun hatte, da man dann sich nicht so im Kreis gedreht hat und noch was anderes im Kopf hatte. 

Lisa Neun: 20:120
 
COMIC!: Was bedeutet autobiographisches Blohgen für euch?
 
Lisa Neun: Die Bedeutung des autobiographischen Bloghens wird im allgemeinen immer noch stark unterschätzt, für mich bedeutet es aber viel.

Jeff Chi: Einmal ist es zumindest für mich einfach einfach, denn mir fallen immer 1.000 Alltagsanekdoten ein, aber bei fiktiven Stoffen tue ich mich schwer. Es ist so schwierig, eine Geschichte mit Aussage zu konstruieren, die glaubwürdig und authentisch ist. Geschichten aus dem wahren Leben sind von Natur aus schon absolut authentisch und lebensnah. Früher habe ich in meinen autobiographischen Comics viele persönliche Gefühle verarbeitet, heute habe ich meinen Fokus mehr auf Unterhaltung und Gesellschaftskritik gelegt.
 
COMIC!: Wie, wann, wo und warum habt ihr damit angefangen?

Jeff Chi: Ich habe 2008 in meinem Kinderzimmer in meinem Elternhaus in Brelingen angefangen, weil mein Vater mir ein Graphiktablett von Aldi geschenkt hatte. Vorher bin ich über die Nichtlustig-Bücher von Joscha Sauer bei Flix gelandet und war von seinen Inhalten fasziniert. Den Stein des Anstoßes, daß man kein meisterhafter Zeichner sein muß, hat mir Leo Leowald mit seinem "Zwarwald" gegeben.
 
Lisa Neun: Wie: Papier, Scanner und HTML/Javascript. Wann: 1999. Wo: Erlangen. Warum: Weil es geht.
 
COMIC!: Lisa, du gehörst ja zu einer der ersten Webcomic-Künstlerinnen in Deutschland überhaupt, während es zu deiner Zeit ja schon eine lebhafte Internet-Comic-
szene in den USA gab. Warst du dir dessen bewußt, bzw. war dir das bekannt?
 
Lisa Neun: Mit Sven K. hatte ich schon sehr früh Kontakt. Joscha Sauer als einen der ersten Webcomickünstler hatte ich natürlich auch von Anfang an auf dem Radar (Ich bin sein größter Fan! Wie all die anderen!). Ansonsten habe ich viele "normale" Blogs gelesen, allerdings weniger in USA als in Deutschland. Remember Don Alphonso? Peter Praschl (arrog.antville)?

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November 2016
Format: DIN A4
Umfang: 224 Seiten, davon 60 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25
ISBN 978–3–88834-947-8
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