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COMIC!-JAHRBUCH 2017

Herausragendes Szenario:
"Die Verwerfung" von Lukas Kummer

Interview von Christian Endres


Der 1988 in Innsbruck geborene Lukas Kummer ist ein weiteres Comic-Talent, das in Sachen Illustration und Comic an der Kunsthochschule Kassel geschmiedet wurde, wo er nach dem Abitur studierte und als Schüler von Professor Hendrik Dorgathen seinen Abschluß machte. Von 2009 bis 2015 war Kummer parallel zum Studium als Illustrator, Autor und Gestalter für das Mechanische Institut in Kassel tätig. Heute arbeitet er als freischaffender Illustrator, Comickünstler und Storyboard-Artist und veröffentlicht neben seinem Comicstrip "Inspektor Bunsenbrenner" Panel-Geschichten in diversen Magazinen und Anthologien. Ende Dezember 2015 ist schließlich sein Comic "Die Verwerfung" als schön aufgemachtes Hardcover bei Zwerchfell erschienen.

In gelungenen Graustufen-Zeichnungen von internationalem Format bannt Kummer die Greuel des Dreißigjährigen Krieges, der Mitte des 17. Jahrhunderts in Europa und besonders in Deutschland tobte, aufs Papier. Die Geschwister Jakob und Johanna ziehen durch ein Land, das all seine Menschlichkeit eingebüßt hat, dessen Bewohner getötet, ausgeplündert oder geschändet wurden. Hunger, Erschöpfung, Krankheit, Wahnsinn, eine verzweifelte Abart der Gier sowie Gefahr durch jeden, dem die als Mann verkleidete Johanna und der schwächliche Jakob begegnen, bestimmen ihre Wanderung vorbei an schwer behangenen Galgenbäumen, verstümmelten Leichen und gebrochenen Seelen.
Kummer braucht kein einziges Schlachtengetümmel, um das Elend und die Erbarmungslosigkeit des Krieges aufzuzeigen, den er zu keiner Zeit als Abenteuer, sondern stets als erbitterten Überlebenskampf in Szene setzt – mit einem Hauch von Cormac McCarthy [amerikanischer Autor und Pulitzer-Preisträger, der für seinen drastischen Stil bekannt ist; Anm. d. Red.]und unheimlich viel Brutalität in der Nähe zur Schmerzgrenze.
Für das Szenario dieser historischen Antikriegsgeschichte, deren Bezüge letztlich nur allzu aktuell sind, erhielt Lukas Kummer den Icom Independent Comic Preis. Im Interview spricht er über sein Studium, seine Recherche und Arbeitsweise, und sein Abtauchen in die Greuel der Geschichte.


COMIC!: Hallo Lukas. Erzählst du uns für den Anfang, wie du zum Comic gekommen bist? Gab es besonders einflußreiche Comics, Künstler oder Aha-Erlebnisse beim Aufwachsen?

Lukas Kummer: Comics haben mich schon immer fasziniert. Bevor ich lesen konnte, habe ich mir einfach die Bilder angesehen. Bei uns zuhause gab es die üblichen Verdächtigen. Donald Duck, Asterix. Wir hatten auch mal einen ganzen Karton voller Superheldencomics. Die hat meine Mutter dann aber alle weggeschmissen. Daran kann ich mich nur noch düster erinnern. Ich habe die Comics nachgezeichnet, die wir haben durften. Später habe ich dann andere Zeichner kopiert. Das war ein gutes Training. Zeichnerisch konnte ich mich absurderweise aber erst richtig entwickeln, als ich das Erzählen und Schreiben ernster nahm. Irgendwann war mir der Inhalt wichtiger als die Zeichnung. Das half mir, unverkrampfter an die Sache ranzugehen. Mittlerweile geht das so weit, daß ich meinen Zeichenstil komplett auf das Thema einer Story abstimme. So kann ich auch lustige Geschichten stilistisch passend bedienen.

COMIC!: Wann war dir klar, daß du in Kassel studieren möchtest?

Lukas Kummer: Eigentlich erst, als ich dort war. Ich war ein schlechter Schüler. Ich hatte kaum Perspektiven oder Interessen. Nach der Matura (zu Deutsch: Abitur) hatte ich keine Ahnung, was ich mit meinem Leben anstellen sollte. Comiczeichner zu werden war ein schöner Gedanke, aber ich hielt das eher für eine Träumerei. Ich bin über eine Bekannte zufällig auf Kassel gekommen und habe die Aufnahmeprüfung geschafft. Ich hatte riesiges Glück. Auch wenn das Studium nicht immer einfach war und ich während der Zeit viel mit mir und dem Zeichnen gehadert habe: Am Ende hat es sich dann doch alles recht gut ergeben.

COMIC!: War es eine schwere Entscheidung, für das Studium und deinen Traumjob in ein anderes Land zu ziehen? Wie hat deine Familie das aufgefaßt?

Lukas Kummer: Für mich war das eigentlich kein Problem. Ich war nie jemand, der unter Heimweh leidet. Außerdem ist Innsbruck nicht so weit entfernt. Und die Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland sind nicht so groß, wie wir das manchmal gerne behaupten. Bis auf die Landschaft natürlich. Ich bin ja mitten in den Bergen aufgewachsen ... Trotzdem hat mir der
Perspektivenwechsel sehr gutgetan. Von zu Hause wegzugehen, war sehr wichtig für mich. Wenn ich jetzt zu meinen Eltern fahre, ist das wie Urlaub in den Alpen.

COMIC!: Hättest du auch ohne die Möglichkeit eines akademischen Werdegangs eine Karriere als freier Künstler angestrebt?

Lukas Kummer: Ich glaube nicht. Ich kann mir auch überhaupt nicht vorstellen, was ich gemacht hätte, wäre ich in Österreich geblieben. Ich neige zum Stubenhocken. Eigeninitiative ist nicht so meins. Das ist zwar für
das Comichandwerk dienlich, aber auch nur dafür. Das Studium hat mir Möglichkeiten aufgezeigt und auch Freiraum gegeben, mich zu entwickeln. Ohne diese Perspektiven und ganz auf mich gestellt, wäre ich komplett aufgeschmissen gewesen.

COMIC!: Was war die wichtigste Lektion aus dem Studium, von der du noch heute im Arbeitsalltag profitierst?

Lukas Kummer: Sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen und sich von der eigenen Arbeit emotional distanzieren zu können. Mit Kritik kann ich mittlerweile ganz gut umgehen. Ich nehme das nicht mehr persönlich.
Vor allem, weil es im Comic ja grundlegende handwerkliche Kriterien gibt, nach denen man eine Geschichte beurteilen kann. Stil, Narration, Tempo. Natürlich ist
der Inhalt entscheidend. Aber zu wissen, wie das Fundament dafür gebaut sein muß, gibt mir sehr viel Sicherheit. Außerdem habe ich gelernt, daß es keine Abkürzungen gibt und daß man nichts halb machen kann. Aber ich bin mir grad auch nicht sicher, ob mir das dann nicht doch eher das Leben eingetrichtert hat ...

COMIC!: Findest du, daß es derzeit besser denn je ist, um als deutschsprachiger Künstler Comics zu veröffentlichen, oder ist es in Wahrheit schon wieder viel zu eng und überfüllt?

Lukas Kummer: Ich kann das ehrlich gesagt gar nicht einschätzen. "Die Verwerfung" ist mein Debut. Die Presse hat es gut aufgenommen, und es verkauft sich wohl auch ganz gut. Aber Erlangen erschlägt mich angesichts der Fülle immer wieder aufs Neue. Ich weiß jetzt nicht, ob das gut oder schlecht ist. Ich sehe viele Titel, die für mich sehr kalkuliert wirken, sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Quasi Köder für das Feuilleton. Das gefällt mir weniger. Ich meine, es gibt gesellschaftsrelevante Themen, die behandelt werden müssen. Und da gibt es Autoren, die auch wirklich etwas beizutragen haben. Aber es gibt halt auch thematische Trittbrettfahrer. Manchmal wünsche ich mir, daß Autoren egal welchen Mediums sich öfter mal die Frage stellen würden: "Muß das jetzt wirklich gesagt werden?" Ich finde, gerade in der heutigen Zeit ist es wichtiger denn je, Aussagen auf den Punkt zu bringen. Es gibt viele, die reden, ohne etwas zu sagen zu haben.

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November 2016
Format: DIN A4
Umfang: 224 Seiten, davon 60 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25
ISBN 978–3–88834-947-8
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