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COMIC!-JAHRBUCH 2017

Schlechtes Benehmen und all der übliche Rest
Bericht über den 17. Internationalen Comic-Salon in Erlangen

Von Björn Bischoff


Das Aufsehen um den 17. Internationalen Comic-Salon begann bereits mehr als einen Monat, bevor sich überhaupt die Tore der Heinrich-Lades-Halle in Erlangen öffneten. Pressekonferenz in Nürnberg, Tamtam und Barbara Yelin. IT-Dienstleister Datev aus Nürnberg übernahm das Titelsponsoring des diesjährigen Festivals. "Wir wurden immer wieder aufgefordert, mehr Präsenz im öffentlichen Raum zu zeigen", sagte Salon-Leiter Bodo Birk damals. Kreativität, Innovation und Gemeinschaft seien Werte, die den Salon mit seinem neuen Sponsor verbinde, sagte der Vorstandsvorsitzende der Datev, Robert Mayr. Und Barbara Yelin durfte das Gespräch mit den versammelten Journalisten zeichnerisch festhalten.
Ein wenig Skepsis gab es in den folgenden Tagen zwar, Veränderung mag der Mensch nicht so, allerdings zeigte sich schnell: Der Wechsel war dringend nötig. Es könnten auch nur wenig bessere Dinge passieren, als daß die Option zur Verlängerung des Titel-Sponsorings für die nächsten beiden Salons eintritt. Denn die letzten Jahre war der Salon nicht so präsent in Erlangen wie in diesem Jahr. Riesige Fahnen begrüßten die Besucher am Hauptbahnhof; es wurde in jeder Ecke der Stadt klar: Es ist Comic-Salon. Dazu gab es eine neue Webseite, die aufgeräumt über das Programm informierte. Und das deutlich zuverlässiger als die App vor zwei Jahren. Dazu hatten es die Veranstalter hinbekommen, den Salon fast einen Monat früher zu organisieren – der Kalender, Ostern und Pfingsten legten den Termin ja so fest. Also, alles gut, alles besser? Ließ sich bei den Vorzeichen erstmal so festhalten.
Wer es in diesem Jahr gar nicht erwarten konnte: Bereits mehrere Wochen vor der Eröffnung starteten zwei verschiedene Ausstellungen, die auch im Rahmen des Comic-Salons nach Erlangen kamen. Im Kunstpalais hatten die Besucher es mit bösen Clowns zu tun – und wer würde dahin besser passen als der Joker aus "Batman"? Doch nicht nur der ewige Gegenspieler des dunklen Ritters bekam hier seinen Raum, sondern auch Krusty und Pennywise. Was diese Ausstellung perfekt hinbekam: Sie lag direkt am jeweiligen Zeitgeist der Popkultur. "Böse Clowns_Reloaded" spürte der Urangst nach, der Furcht vor dem Ungewissen.
Ebenfalls ins Unbekannte mußten sich die Besucher im Stadtmuseum begeben. "Das kleine trunkene Theater" der beiden Zeichner Florent Ruppert und Jérôme Mulot hatte hier seinen Platz gefunden. Mittels Schalter am Boden ließen sich Plattenteller in Bewegung versetzen, ein Stroboskoplicht setzte in den abgedunkelten Räumen ein. Und plötzlich entstand ein kleiner Film. Denn auf den Schallplattenspielern standen zahlreiche kleine Männchen aus Pappe und Papier. Die beiden französischen Künstler haben sich für ihr Werk die Nachbildwirkung zunutze gemacht – jenen Effekt, der auch dafür sorgt, daß der Mensch im Film eine flüssige Bewegung und keine einzelnen Bilder sieht. Wie beim Daumenkino entstehen so einzelne Sequenzen. Menschen fallen dann aus Fenstern und stürzen Treppen hinunter, ein Auto kommt von der Straße ab. Ein Vorsprechen der katastrophalen Art. Am Ende fiel dann der Vorhang, natürlich auf einer Metaebene.
Beim Salon selbst sorgte dieses Jahr vor allem die große Ausstellung zu Jiro Taniguchi für Aufsehen – alleine aufgrund des bemerkenswerten Aufbaus. Allerdings: Spider-Man ließ mehr die Hosen runter. Oder zumindest dessen Zeichner. Zahlreiche Skizzen und Seitenlayouts zu den Comicheften um den Superhelden schmückten vor vier Jahren die Wände der Heinrich-Lades-Halle. So tief ließ die diesjährige große Ausstellung zum Mangaka nicht in seine Arbeitsweise blicken. Es gab zahlreiche Reproduktionen aus dem Schaffen des 68-jährigen Zeichners zu sehen, an manchen Stellen sogar den ganzen Manga direkt an der Wand. Nur rund ein Drittel der Ausstellung machten Originale und Tuschezeichnungen aus. Einen direkten Zugang zum künstlerischen Prozeß boten sie nicht. Skizzen und Fingerübungen des Künstlers? Fehlanzeige. Ist vielleicht doch zu sehr Nische. Oder einfach nicht aufzutreiben. Die Besucher zog "Der träumende Mann" trotzdem an. Über mehrere kleine Treppen und Nebengänge ließ sich das Werk Taniguchis erschließen, an der einen oder anderen Stelle luden Sitzsäcke zum Verweilen ein. Die frühen Genrecomics Taniguchis hingen direkt neben Zeichnungen aus seinen aktuellen Werken wie "Ihr Name war Tomoji", die vor allem durch ihre stille Erzählweise und Nachdenklichkeit beeindruckten. Ein toller Rundgang, gerade für Besucher, die vielleicht vorher noch nicht so viele Berührungspunkte mit Manga hatten.
Wem es nun mehr um den künstlerischen Prozeß ging, der mußte einfach nur eine Treppe nach oben laufen. Denn dort gab es die "wunderbare Welt der Marguerite Abouet" zu sehen. Die Comicautorin von der Elfenbeinküste erzählt in ihrem Comic "Aya" vom afrikanischen Alltag, frei von jedem Klischee, dafür mit Charme und Tiefgang. Neben ihren Skizzenbüchern fanden sich auch mehrere Originalzeichnungen der Künstler Clément Oubreries, Mathieu Sapins und Singeons, mit denen Abouet zusammengearbeitet hat. Über mehrere Bilder ließ sich die Arbeit an den verschiedenen Seiten nachvollziehen, der Aufbau, die Änderungen, die Anordnungen. Es ging hier weniger um die Präsentation des Werks, sondern vielmehr um die künstlerische Arbeit – was auch seinen Platz beim Salon haben muß.
Zu Geständnissen führten die Comics und die Satire aus der Türkei: "Ich kann gar kein Türkisch", sagte ein Besucher beim Gang durch die Räume. Denn diese Ausstellung deckte zwar die verlegerische und künstlerische Landschaft in der Türkei sehr gut ab. Doch es gab keine Übersetzungen zu den Sprechblasen der Bilder. So blieb oft nur der zeichnerische Witz übrig. Überhaupt wirkte diese Ausstellung ein wenig konfus und durcheinander, davon abgesehen, daß manche Satire arg derb wirkte ohne Kontext. Eine Einordnung hätte hier auf jeden Fall dringend Not getan.
Die allerdings spannendste Ausstellung in der Heinrich-Lades-Halle lag ein wenig versteckt: "Rising India", die in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut in Neu-Delhi entstand. Im hinteren Teil der Halle sammelten sich an den Wänden die Seiten von verschiedenen indischen Zeichnern, teilweise mußten sich die Besucher durch ziemlich enge Spalten im Raum quetschen, um vorwärtszukommen. Doch das lohnte sich.
Besonders die kurzen Geschichten aus der Anthologie "Drawing the Line – Indian Women fight back" von etablierten Künstlerinnen und Talenten überzeugten hier durch Stil, Pointe und Darstellung. In einer Gesellschaft, die den Lebensweg von Kindern schon vom Mutterleib an aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres Geschlechts vorhersehen zu können meint, antwortet das dunkelhäutige Neugeborene im Kreißsaal eben mit: "Eat This." Nehmt das. Und es folgt der Schrei des neuen Lebens als Zeichen der Unabhängigkeit. In einem anderen Comic verwandelt sich eine Frau angesichts der Belästigung durch Männer in eine Gottheit mit mehreren Armen und kann die bösen Geister so vertreiben. Schade, daß die Ausstellung und ihre Zeichner nicht noch ein wenig präsenter auf dem Salon waren.  

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November 2016
Format: DIN A4
Umfang: 224 Seiten, davon 60 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25
ISBN 978–3–88834-947-8
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