Lektüre
 Independent Comic Shop   ICOM-Publikationen   Kostenlos   Fachmagazine   Sekundärliteratur 
Das COMIC!-Jahrbuch | Das ICOM!-Handbuch | Der ICOM!-Ratgeber
FILMRISS | Das verbandseigene Fachmagazin
COMIC!-JAHRBUCH 2016

Comics und die fünf Sinne:
«The Action ‹Comes Alive› As You...»

Von Ralf Palandt


Die bösartigen Gifticks sind drei gezeichnete, winzige Männchen, die durch einen Zauber die Fähigkeit erhalten, sich mit einem lauten Knall von zwei- in dreidimensionale Wesen zu verwandeln und wieder zurück.(1) Wie wäre es, wenn sie das nicht nur fiktiv in den Comics tun würden, sondern tatsächlich mit hörbarem Knall aus den Panels räumlich heraussprängen? Die Geschichte könnte viel intensiver miterlebt werden. Nicht möglich? In Verbindung mit dem Trägermedium (Heft, Album, Buch, etc.) und mittels besonderer Drucktechniken und Beilagen können Comics die fünf Sinne nicht nur indirekt über Bild und Text (2), sondern die Sinnesorgane direkt ansprechen und das sinnliche Erleben um weitere Eindrücke bereichern. In manchen Fällen wird es Rezipienten quasi ermöglicht, die Sinneswahrnehmungen der Protagonisten der Comic-Geschichten scheinbar selbst mitzuerleben.


Comics und räumliches Sehen

Wie können Kreative die Grenze der Zweidimensionalität ihrer Comics überwinden? Die Geschichten der Gifticks wären prädestiniert gewesen für gefaltete Auf- und Herausklapp-Effekte, die dreidimensionale, räumliche Papierkonstruktionen entstehen lassen, gerade so wie in den sogenannten Pop-up-Büchern. Tatsächlich gibt es Comic-Hefte mit Pop-up-Bildern: Dem «collector’s set» von Batman: Shadow of the Bat #1 (3) lag, passend zur Geschichte «The Last Arkham: Part One», das Arkham Asylum als Pop-up-Beilage bei. Aus der Titelseite von Force Works #1 (4) klappt sich das Kampfgetümmel der Kree gegen das Superhelden-Team Force Works auf, mit einem aufrechtstehenden Wonder Man im Mittelpunkt. Und als sich der Ghost Rider auf seinen Widersacher Blackout stürzt, klappt sich aus der Pop-up-Mittelseite in Ghost Rider #25 (5) sein Arm heraus. Es gibt auch mehrseitige Comics, die durchgehend als Pop-up-Bücher aufgemacht sind, wie z. B. der Star Wars-Comic «Battle of the Bounty Hunters. The Pop-up Comic Book!» (6) und «The Spirit. A Pop-up Graphic Novel» (7) mit dem maskierten Comic-Detektiv von Will Eisner. Einige Aufklapp-Effekte, zum Teil mit Bewegungen, sind so in die Geschichte eingepaßt, daß sie sie unterstützen, z. B. wenn dem Betrachter bei Explosionen Gegenstände oder bei einer Verfolgungsjagd der Flüchtende räumlich entgegenkommen. Das gilt auch für die drei Literaturadaptionen in Pop-up-Comic-Buchform «Moby-Dick»8, «20.000 Meilen unter dem Meer» (9) und «Frankenstein» (10).

Stereoskopie-Verfahren erzeugen zwar keine physikalisch-greifbare Dreidimensionalität wie die der Pop-up- Konstruktionen, können aber einen räumlichen Eindruck von Tiefe vermitteln. Zwei Bilder zeigen ein Motiv aus den jeweiligen Augenblickwinkeln aufgenommen bzw. gezeichnet. Jedes Auge bekommt das ihnen zugehörige Bild zu sehen, und das Gehirn setzt beide Bilder zu einem scheinbar dreidimensionalen Raumbild zusammen. In seinem Überblick «Dreidimensionale Welten. Zur Geschichte von 3D in Comic und Animation» (11) geht Elmar Reh auf die Verbindung zwischen Kino und Comic ein. Demnach reagierte das US-Kino Anfang der 50er Jahren auf die Konkurrenz durch das Fernsehen und Anfang der 80er Jahre auf die Konkurrenz durch Video mit 3D-Filmen um «das verlorene Publikum zurückzuholen».(12) Und die «um die Gunst der Leser» kämpfenden Comic-Verlage waren im Zuge der 3D-Wellen bereit, «auf den Zug aufzuspringen»(13).

Am bekanntesten ist das Anaglyphen-3D-Verfahren mit Bildern in den Komplementärfarben Rot und Grün bzw. Cyan und einer Folien-Brille zur Bildtrennung. Am eindrucksvollsten kommt der 3D-Effekt zur Geltung, wenn er nicht nur einen optischen (Kaufan-)Reiz liefert, sondern inhaltlich mit der Geschichte verbunden ist. Wie in Captain 3D #1 (14): Im «Book of D» ist Captain 3D abgebildet, der durch eine 3D-Brille betrachtet in die dritte Dimension wechseln und durch ein Gerät an seinem Gürtel sogar die Kräfte der vierten Dimension nutzen kann. Neben diesem frühen ein aktuelles Beispiel: Im Pantomime-Comic «Jim Curious: Reise in die Tiefen des Ozeans»(15) steigt ein Taucher von Land aus (in 2D) ins Wasser und taucht in eine faszinierende Tiefseewelt ab (in 3D).

Mitte der 50er Jahre veröffentlichte die American Comics Group einige Horror-, Love- und Funny-Comics im Truevision-Verfahren: «We found that the usual type which required the use of cumbersome and artificial glasses, was definitely hard to read. This, we feel, has been overcome in the new and astonishing system which we developed ... Truevision. Truevision gives a three-dimensional effect in full brilliant color ... an effect so thrillingly lifelike as to amaze you ... and does so without glasses!»(16). Die perspektivischen Fluchtpunkt-Motive der Comic-Panels waren wie folgt aufgebaut: Der vierfarbige Vordergrund setzte sich vom verschleierten grauen, pastell-blauen oder -gelben Hintergrund ab, umrahmt von der schwarzen Seitenfarbe, in die die Protagonisten hineinragten. Die Webseite Fifties Horror hält als Truevision-Beispiel die Geschichte «Dry Death» aus Adventures Into The Unknown #54 parat.(17)

Während die frühen Anaglyphen-3D-Comics durch die Brille betrachtet schwarzweiße Raumbilder erzeugen, gab es ab Ende der 1990er Jahre auch farbige 3D-Versionen: «Ray Zone has used state-of-the-art digital technology to produce the Wildstorm 3-D comics as the first books to be entirely in color and 3-D. Welcome to the future of 3-D comics!»(18). In Superman 3D #1 (19) wechselt der 2D- in einen 3D-Comic, wenn Superman, Jimmy Olsen und die Heldin Misa in andere Dimensionen reisen. Sie müssen verhindern, daß der Cyborg Override alle Dimensionen mit einem Encoder aufsaugt und abspeichert. Dabei werden die Comic-Rezipienten durch ein kleines 3D-Brillensymbol («Glasses on, Gang!» und «Glasses off now, Folks!») aufgefordert, es Misa gleichzutun, die auf den Dimensionsreisen eine 3D-Brille auf- und absetzt. In Batman/Scarecrow 3D #1 (20) veranschaulicht der 3D-Effekt die Wirkung von halluzinogenem Psycho-Gas des Superschurken Scarecrow. Im späteren Final Crisis: Superman Beyond 3D #1 und 2 (21) dient der 3D-Effekt zur Darstellung eines Multiversums, in das sich Superman (mit einem roten und einem grünen Auge) begeben muß. Neben DC Comics gab auch der Image Comics Verlag «Eye-Popping Full Color 3-D Edition»-Comics heraus, wie z. B. Wildcats 3-D Special #1, Gen 13 3-D #1,Gen 13 Generation X 3-D #1, Wildcats X-Men: The Golden Age 3-D sowie The Silver Age 3-D #1 und The Modern Age 3-D #1.(22)

Fußnoten

Auf den Geschmack gekommen?
Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2016
Links zum Artikel

Hörspiel: Sigurd, der ritterliche Held
Fifties Horror


Farbabildungen

Sehen
Star Wars Pop-up-Comic
Mr. Monster 6-d-Cover
VR Troopers 3d-Comic-Cover
Mantra mit Hologramm-Cover

Hören
Comic Books mit Schallplatten
Robin II
Spider Murphy Gang: Tutti frutti

Schmecken
Alain-Passard-Comic

Tasten
Catwoman costume card
Asterix zum Tasten


Fußnoten

(1) Zu den Gifticks (im franz. Original: Les Krostons) siehe: «Die Gifticks», in: kaukapedia (publ. 22. Feb. 2007, letzte Änderung 9.Okt. 2010, zit. 10. Feb. 2015).

(14) Captain 3D #1, Text: Joe Simmon, Zeichnung: Jack Kirby, Mort Meskin, Steve Ditko. N.Y.: Harvey (Home Comics), Dez. 1953. Das Heft kann auch online gelesen werden, in: Mars Will Send No More (publ. 13. Aug. 2013, zit. 14. Feb. 2015).

17) «Dry Death», Text/Zeichnung: Harry Lazaru, in: Adventures Into The Unknown #54. St. Louis: American Comics Group (Best Syndicated Features), April 1954. Online in: Fifties Horror (publ. Nov. 2013, zit. 16. Feb. 2015).

(34) Siehe z.B. notxdanimalx: «Heroes Fall and Evil rises during Villains Month», in: Catywhompus! (publ. 22. Aug. 2013, zit. 17. Feb. 2015). Mat ‹Inferiorego› Elfring: «The DC Villains Month 3D Cover Wrap Up!», in: Comic Vine (publ. 1. Okt. 2013, zit. 17. Feb. 2015). «DC Comics’ Villains Lenticular Cover Publishing Event», in: Extreme Vision (zit. 17. Feb. 2015).

(35) Siehe z.B. «Cover Art Gallery: The New 52: Futures End», in: DC Wikia [-> Specials] (publ. 8. Mai 2014, letzte Änderung 4. Feb. 2015, zit. 17. Feb. 2015).

(46) Erste Allgemeine Verunsicherung: Küss‘ die Hand, schöne Frau …-Single/LP, Comic-Cover von Thomas Spitzer. EMI Columbia, 1987. Siehe auch: «Wer hat eigentlich die Ideen für die CD-Cover und EAV-Comics und wer hat sie gezeichnet?», in: EAV (zit. 26. Feb. 2015).

(62) Zu Tim und Struppi-Hörspiele siehe: «Tim & Struppi», in: Hörspiele. (zit. 27. Feb. 2015).

(77) Duff-Bier ist das Lieblingsgetränk von Homer aus der US-Zeichentrick- und -Comic-Serie The Simpsons (geschaffen von Matt Groening). Daher hatte 20th Century Fox gegen das in Deutschland vertriebene Duff-Bier der Duff Beer UG geklagt, unterlag jedoch. Siehe: «Bundespatentgericht: Beschluss in der Beschwerdesache betreffend die Marke 399 01 100», in: juris.bundespatentgericht (zit. 24. Feb. 2015).

(78) Auf besagten Flaschen der Berliner Schultheiss-Brauerei aus den 1990er Jahren war Asterix abgebildet, der in den Comics Cervisia trinkt, das Bier der Antike. Siehe auch: «Maxi Malz», in: comedix (zit. 24. Feb. 2015).

(96) Pure Fruit #6: «Pure Food». Chemnitz: TheNextArt Verlag, 2013. Online in: Pure Fruit (zit. 27. Feb. 2015).

(103) Priscila Navarrete: «Sensus. El universo en sus ojos', el primer cómic mexicano en braille», in: El Pais (publ. 24. Jan. 2015, zit. 21. Feb. 2015). «Sensus - Ein mexikanischer Comic in Blindenschrift» [Magazinbeitrag aus Arte Journal Junior], in: youtube (publ. 10. Feb. 2015, zit. 21. Feb. 2015).

Übersicht der Linklisten
  Alle Jahrbücher
Comic Jahrbuch 2016
Comic Jahrbuch 2015
Comic Jahrbuch 2014
Comic Jahrbuch 2013
Comic Jahrbuch 2012
Comic Jahrbuch 2011
Comic Jahrbuch 2010
Comic Jahrbuch 2009
Comic Jahrbuch 2008
Comic Jahrbuch 2007
Comic Jahrbuch 2006
Comic Jahrbuch 2005
Comic Jahrbuch 2004
Comic Jahrbuch 2003
Comic Jahrbuch 2001
Comic Jahrbuch 2000
COMIC!-Jahrbuch 2016
Artikel, Interviews, Analysen, Porträts...
Dezember 2015
Format: DIN A4
Umfang: 264 Seiten, davon 24 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25
ISBN 978–3–88834-946-1
BESTELLEN