COMIC!-JAHRBUCH 2016 |
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Die Anschläge in Paris von Januar und November haben die Welt verändert, zumindest aus europäischer Sicht. Die Coverillustration des COMIC!-Jahrbuchs von Peter Butschkow hat durch die jüngsten Ereignisse eine Aktualität gewonnen, die niemand gewollt hat. Der Cartoonist Ben Gershon spricht im Interview mit Jennifer Willms über religiöse Tabus, die Fatwa gegen Salman Rushdie, die Mordanschläge auf Kurt Westergaard und andere Künstler und die Bedrohung religionskritischer Cartoonisten durch Terroristen, aber auch durch die Behörden. Schwerpunkt des COMIC!-Jahrbuchs ist aber mit insgesamt 85 Seiten das Thema «Comic und Musik», das uns praktisch unter den Händen explodierte und so, neben einem Computercrash, für die Verschiebung des Erscheinungstermins um fünf Wochen verantwortlich war.
1992 stellte der Interessenverband Comic e.V. ICOM für seine Mitglieder eine Liste der auf der Frankfurter Buchmesse vertretenen Comicanbieter zusammen, da die Verlage über das ganze Messegelände verstreut und so nur schwer aufzufinden waren. Durch die «Faszination Comic» im Comiczentrum in der Halle 3 war das in den vergangenen Jahren nicht notwendig, doch leider hat die zunehmende Zersplitterung des Marktes in «Manga», «Graphic Novel» und «Comic» (gemeint ist europäische und amerikanische graphische Literatur, gerne unter «trivial» eingeordnet) dazu geführt, daß die Verlage ihr Special-Interest-Publikum im dazu passenden Umfeld und somit in verschiedenen Hallen suchen. Da dies den universell interessierten Comicleser vor eine schwer zu lösende Aufgabe stellt, gab es in diesem Jahr ein Spezialpaket für Fachbesucher aus dem Segment Comic/Graphic Novels für 214 € (die normale Dauerkarte kostete im Vorverkauf 76 €), das neben einem Katalog, einem Graphic-Novel-Empfang («dem Networking-Event für alle, die in der Comicbranche arbeiten») und einer Tasse des Gastlandes auch die Teilnahme an einem vom Comic-Experten Christian Maiwald geführten Messerundgang enthielt. Trotzdem werden einige Besucher dem Comiczentrum nachweinen. Am «Gemeinschaftsstand Comic» präsentierten auf wenigen Regalmetern gerade mal neun Verlage ihre Publikationen, in direkten Umkreis waren nur Cross Cult, Peter Poluda Medienvertrieb, Sammlerecke und Animexx e.V., einige kleine Manga- und Cartoon-Verlage sowie Anbieter aus Fernost zu finden.
Nicht auf der Buchmesse vertreten war erstmal comicplus+ (2014 wenigstens noch am Gemeinschaftsstand), und das im Jahr des 30-jährigen Jubiläums des Verlages, der neben überwiegend frankobelgischen Comics seit 2004 das Jahrbuch «Deutsche Comicforschung» herausgibt und dafür den ICOM Independent Comic Preis 2005 erhielt. Dafür liegt nach Eckart Sackmanns Umzug die Manga-Comic-Con (das Leipziger Äquivalent zur «Faszination Comic», nur mittlerweile um ein Vielfaches größer) für ihn ja vor der Haustür. Auch Panini war mit keinem Stand vertreten, die Lizenzgeschäfte wurde in einem messenahen Hotel abgewickelt.
Doch dies ist nicht die einzige Veränderung auf dem deutschen Comicmarkt. Auf der einen Seite gibt es neue Anbieter, auf der anderen müssen wir uns von vertrauten Gesichtern verabschieden. Neue Anbieter sind der Verlag ERKO (dahinter stehen Ervin Rustemagic und seine Agentur SAF Comics) und das Label «Kult Comics», beide vertrieben vom Comic Combo Vertrieb, einem Ableger des gleichnamigen Leipziger Comicladens von Sebastian Röpke. Die Namensähnlichkeit des Labels zu den Kult Editionen (dem Verlag des Medienservice Wuppertal) ist sicher kein Zufall. Die Internetpräsenzen von Kult Editionen und MSW sind «derzeit nicht verfügbar». Das langerwartete Aus des 1988 von Baldur Buscher gegründeten und 2009 an Stefan Huppert abgegeben Unternehmens scheint somit besiegelt. Schon Monate vorher wechselten Verlage von MSW zu Comic Combo Vertrieb oder Peter Poluda Medienvertrieb (PPM), der Interessenverband Comic e.V. ICOM als einer der letzten im Oktober 2015. In Zukunft werden das COMIC!-Jahrbuch und die weiteren Publikationen des Verbandes über den Comic Combo Vertrieb zu beziehen sein. Wir bedanken uns für eine langjährige vertrauensvolle, wenn auch im letzten Jahr leider bröckelnde Zusammenarbeit.
Und es gibt Lizenzen, die den Verlag gegen dessen Willen wechseln, so geschehen bei der Gesamtausgabe von «Dan Cooper» (ein Band erschien 2013, danach war Sendepause) und einigen Serien von Leo. Wo die Titel letztlich erscheinen werden und welche Auswirkungen das auf den abgebenden Epsilon Verlag hat, wird sich zeigen. Viele Freunde hat er mit der Verlagspolitik der letzten Jahre nicht gewinnen können, leider auch nicht mit Eigenproduktionen deutschsprachiger Künstler, obwohl neben zweifelhaften Hervorbringungen wahre Perlen wie «Dédé» von Erik und «Luzian Engelhardt» von Jan Suski und Dirk Seliger (sechs Bände seit 2011, Band 7 liegt druckfertig beim Verlag) dabei sind.
Ein anerkannter Comicexperte prophezeite, daß durch Direktverkäufe an den Kunden unter Umgehung der Vertriebe und des Einzelhandels und den daraus resultierenden, zumindest theoretisch sehr hohen Gewinnmargen ein fairer Lizenzhandel aus den Angeln gehoben würde. Stein des Anstoßes waren dabei der belgische Verlag BD must (mit deutschsprachigen Gesamtausgaben seiner flämischen Serien von Bob deMoor) und zuletzt der Carlsen Verlag und sein (inzwischen wohl als gescheitert zu bezeichnender) Versuch des Crowdfundings unter dem Label Graphic/atessen, bei dem alle drei Projekte ein «Blake und Mortimer»-Artbook, ein Comic-Kochbuch und die Hardcover-Gesamtausgabe des Manga «Alisik» nicht einmal ein Viertel des kalkulierten Fundingziels erreichten. Auch von BD must ist zu vernehmen, daß der Verlag noch keine Reichtümer verdient hat. Die Cassandrarufe kamen also noch zu früh.
Mehr Aussicht darauf, den Markt nachhaltig zu beeinflussen, hat der Zusammenschluß von Splitter, Cross Cult, Popcom (Tokyopop) und Peter Poluda Medienvertrieb (PPM), der es sich zum Ziel gesetzt hat, dem regulären Buchhandel ganz normale Comics, abseits von Manga- und Graphic-Novel-Boom, ans Herz zu legen. Dazu wurden gemeinsame Messeauftritte auf den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt sowie auf der ComicAction in Essen organisiert, Eckart Sackmann die einprägsame Internetadresse comic.de abgekauft und ein Gratismagazin mit dem suchmaschinenunfreundlichen Titel COMIC herausgegeben (die Nullnummer gab es im März in Leipzig, die Nummer 1 jetzt in Essen und Frankfurt). Ursprünglich war dafür der Titel COMIC! geplant, und zwei Wochen vor der Leipziger Buchmesse kam man auf die Idee, beim COMIC!-Jahrbuch (das seinen Titel vom Fachmagazin COMIC! des Interessenverbandes Comic ableitet) bezüglich der Nutzung mal anzufragen. In der Kürze der Zeit konnte keine beide Seiten befriedigende Übereinkunft erzielt werden. Kleine Anekdote am Rande: Das Magazin des Interessenverbandes hieß zunächst ICOM INFO, wurde dann vom damaligen redaktionellen Leiter und jetzigen Tokyopop-Chef, Joachim Kaps, in COMIC INFO umbenannt und nach dessen Ausscheiden dann COMIC! getauft (bei praktisch indentischem Titellogo), da Kaps die Titelrechte beanspruchte. Und eben ihm fiel nun die Aufgabe zu, beim ICOM anzurufen.
Das Erscheinungsbild des COMIC!-Jahrbuchs fußt zu großen Teilen auf den Möglichkeiten, die das Zitatrecht uns einräumt, und vielleicht interpretieren wir es dabei manchmal großzügiger, als ein gestrenger Richter uns zugestehen würde. Doch es gibt im Umgang damit auch Ausschläge, die erklärungsbedürftig sind. So verzichtete die Redaktion der REDDITION für ihre 62. Ausgabe, ein Dossier über EC-Comics und MAD, vollständig auf Abbildungen aus den Comics des EC-Verlages, weil der Besitzer der Nutzungsrechte, Gaines Agent Inc., zur Genehmigung eine Übersetzung aller Artikel ins Englische forderte. Das deutsche Recht läßt zwar zu wissenschaftlichen Zwecken die Wiedergabe von Texten und Bildern auch ohne Einwilligung zu, aber international ist das nicht einheitlich geregelt, so daß die Edition Alfons, noch traumatisiert durch eine unerfreuliche Auseinandersetzung mit Moulinsart S.A., dem Rechteverwerter der Werke von Hergé, vorsichtshalber auf
eine Konfrontation verzichtete. Schlechte Erfahrungen machte 1993 auch Thomas Kramer, dessen «MOSAIK Fan-Buch» nach Einspruch von Digedags-Erfinder Hannes Hegen vom Markt genommen werden mußte. Wesentlich forscher ging nun ein Bergisch-Gladbacher Verlag vor, der trotz fehlender Einwilligung des Schöpfers eines Großteils der in dem Sekundärband unverkleinert abgebildeten Comiccover das Werk erst drucken ließ und anschließend einen Vertrag mit dem entnervten Künstler (dieser hatte eine einstweilige Verfügung nur wegen der hohen Kosten zurückgezogen) schloß, um nun seinerseits prophylaktisch die Nutzung der Bilder auf einer nur als Gedankenblase existierenden Wiki zu untersagen. Da wir als Vertreter der Kreativen und als Nutzer auf beiden Seiten stehen, hätten wir lieber eine richterliche Grundsatzentscheidung gesehen als dieses Faktenschaffen durch unverschämtes Auftreten.
Comics sind in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr nur Lektüre für Kinder und Nerds. Darauf deutet zumindest hin, daß das ZEITMAGAZIN eine Liste der Comicläden in Deutschland veröffentlichte, und auch eine zunehmende Zahl von Preisen und Wettbewerben spiegelt das gewonnene Ansehen wider. Sehr speziell ist der seit 1983 und erstmalig in der Sparte «Comic» von der Stadt Velbert vergebene und mit 2000 € dotierte Förderpreis, denn nur in Velbert geborene oder dort ansässige Künstler zwischen 16 und 30 Jahren können ihn gewinnen. Der höchstdotierte Preis aber ist mit insgesamt 45.000 SFr. das Comic-Stipendium der Deutschschweizer Städte, das bereits dreimal ausgeschrieben wurde, gefolgt vom Comicbuchpreis der Berthold Leibinger-Stiftung (15.000 €), während sich die Friedrich-Naumann-Stiftung bei ihrem zum zweiten Mal vergebenen Comicpreis «Animate Europe» mit 800 € etwas bescheidener gab (dafür erhielten gleich acht Finalisten diesen Betrag, der Gewinner zusätzlich weitere 500 €). Mit Matthias Gnehm (mehrere Alben bei der Edition Moderne) und Uli Oesterle («Hector Umbra» bei der Edition 52 und Carlsen) erhielten auch keine Nachwuchskünstler, sondern renommierte Comiczeichner Stipendium und Comicbuchpreis. Einen ersten und einen zweiten Platz belegte MAD- und Dilldappen-Zeichner Matthias Kringe in diesem Jahr bei zwei Wettbewerben: Mit dem Zeichentrickfilm «Gib ihm ’ne Chance» gewann er den Kreativwettbewerb WANTED des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), Zweiter wurde er im Comic-Wettbewerb »Nix geht über Bord» des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Uli Oesterle gehörte neben Yi Luo, Barbara Yelin, Frank Schmolke, Jan Reiser u.a. auch zu den Zeichnern, die von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG gebeten wurden, anläßlich ihres 70-jährigen Jubiläums im Oktober 2015 einen Blick um 30 Jahre voraus auf die Stadt München zu werfen. Und auch die FAZ holte nach Leserprotesten ihre Hausserie «Strizz» von Volker Reiche in Form des nahtlos anknüpfenden Fortsetzungscomics «Strizz Unlimited» im März zurück ins Blatt (wenn auch nur wöchentlich statt zuvor täglich), nachdem zuvor im November 2014 die Comicaktivitäten der Frankfurter eingestellt worden waren. Seit Oktober 2015 springt auf dieser Seite in Vertretung des erkrankten Zeichners Felix «Flix» Görmann mit «Glückskind» ein, der dafür «Schöne Töchter» im Berliner TAGESSPIEGEL nach 64 Geschichten beendete.
Neu am Kiosk ist seit November die neue Zeitschrift SATOON, die in einer optimistisch angesetzten Auflage von 50.000 Exemplaren eine ungewöhnliche Kombination aus Fernsehprogramm und «Cartoon Comic Satire» (so der Untertitel) bietet. Herausgeber Thomas Völcker zeichnet selber Cartoons (auf de.toonpool.com zu besichtigen), Autoren sind Jörg Petersen, Bert Dahlmann und Christian Vähling. Neben Comics von Albert Hulm und Stephan Hagenow findet man Cartoons von Trumix (d. i. Reinhard Trummer), Tobra (d. i. Thomas Braun), Karsten Schley, Steffen Gumpert u.a.
Seit Anfang Januar 2015 erscheint auf der «Zebra-Comics»-Webseite auf facebook ca. alle zehn Tage ein One-pager von Rudolph Perez (Schöpfer von «Commander Cork») über die Erlebnisse eines Comiczeichners bei der Motivsuche, der Hintergrundrecherche, der Mappensichtung, auf diversen Comic-Veranstaltungen usw. Zwar ist ZEBRA (seit 1983) fast schon ein Klassiker, aber es gibt natürlich noch klassischere Comics. Ein nicht ganz neuer, aber auffälliger Trend ist die Fortsetzung bewährter Serien mit neuen Autorenteams. International wären da «Asterix», «Corto Maltese», «Buck Danny», «Little Nemo», «Peanuts» und «Rick Master» zu nennen. Auch einheimische Produktionen wie «Vater und Sohn» (von Marc Lizano und Ulf K.), «Perry Rhodan» (von Kai Hirdt und Marco Castiello) und «Sigurd» (von Gerhard Förster und Martin Frei) stehen in dieser Reihe. Und Helmut Nickel hat nach 55 Jahren seine Reihe «Robinson» gleich selber fortgesetzt und endlich zu Ende geführt.
Abschied nehmen mußten wir im zurückliegenden Jahr von Hannes Hegen, Marie Marks, Dirk Tonn, Gretel Escher (die Texterin des HÖRZU-Redaktionsigels Mecki starb mit fast 100 Jahren), FRÖSI-Zeichner Jürgen Günther und zuletzt Jürgen Wollina, verdienter Donaldist, der in 13-jähriger Arbeit den Stadtplan von Entenhausen aus den Storys von Barks rekonstruierte.
Nachtrag zum Beitrag im COMIC!-Jahrbuch 2015: Nachdem die Eröffnung des Erika-Fuchs-Hauses in Schwarzenbach mehrfach verschoben werden mußte, konnte am 1. August 2015 endlich der Museumsbetrieb aufgenommen werden. Noch bis zum 14. Mai 2016 läuft als Übernahme des Wilhelm-Busch-Geburtshauses in Wiedensahl die Sonderausstellung «Die besten deutschen Comiczeichner» mit Arbeiten der Preisträger des Erlanger Max-und-Moritzpreises 2014 (Ralf König, Mawil, Ulli Lust, 18 metzger, Marvin Clifford).
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COMIC!-Jahrbuch 2016
Artikel, Interviews, Analysen, Porträts...
Dezember 2015
Format: DIN A4
Umfang: 264 Seiten, davon 24 redaktionelle Farbseiten
Preis: EUR 15,25
ISBN 978388834-946-1
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