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COMIC!-JAHRBUCH 2015

Der US-Comicmarkt 2013

von Stefan Pannor

Noch vor drei Jahren schien es dem US-Comicmarkt unrettbar schlecht zu gehen: Verkäufe auf Talfahrt, Verlust von Verkaufsstellen. Zwischenzeitlich ist ein kleines Wunder geschehen. Die Verkäufe steigen, die Zahl der Verkaufsstellen nimmt zu. Zwar hat die Branche insbesondere den Verlust der Buchhandelskette «Borders» als wichtiger Absatzmarkt noch nicht ganz verkraftet, und die Behandlung Kreativer insbesondere in Mainstreamverlagen ist weiterhin häufig fragwürdig, dennoch läßt sich der Rückblick auf das Jahr 2013 als Aufatmen lesen. Wie sehr? So sehr, daß sogar ein lange verschollener weißer Wal der Branche wieder aufgetaucht ist.


1. Ey Mann, was kost’ mein Comic?

Der Ärger war groß. Anfang April diesen Jahres veröffentlichte der amerikanische Comiczeichner Yanick Paquette einen Aufruf auf seinem Facebook-Profil, den Koloristen der Comichefte mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Paquette war zuletzt u. a. der Zeichner von «Swamp Thing», ein Titel, bei dem die Farbgebung traditionell eine große Rolle spielt.
Allerdings ging es ihm nicht nur um die Anerkennung, daß die Farbgebung gerade im amerikanischen Comicmarkt eine gewichtige Rolle spielt, weil – anders etwa als in Japan – nahezu alle Comics in kolorierter Version erscheinen. Geld war im Spiel. Weil Marvel deutlich bessere finanzielle Optionen für Koloristen bot, war es Paquette als Zeichner zunehmend schwergefallen, hochwertige Koloristen für seine Projekte bei DC zu finden. «Es wird Zeit», schrieb er, «daß wir die Aufteilung der Tantiemen überdenken.» Gemeint war hier die Gewinnbeteiligung im Erfolgsfall, von der Autor und Zeichner deutlich stärker profitieren als etwa Inker und Kolorist.
Und natürlich sollte der Farbgeber auch namentlich bedacht werden: «Wenn wir die Zeit haben, in letzter Minute ein grauenhaftes Werbebanner auf das Cover eines Hefts zu klatschen, dann finden wir sicher auch eine Möglichkeit, den Koloristen zu erwähnen.»
Tatsächlich gelten Koloristen neben Inkern als viel zu selten beachtete Beitragende zum Gesamtprodukt. Obwohl nicht zuletzt im Superheldengenre – wir denken an das Blau und Rot von Superman und Spider-Man, das Grün von Hulk und das Schwarz von Batman – Farben letztlich archetypische Funktion haben und ihr intelligenter Einsatz entscheidend ist für die Gesamtwirkung dieser Hefte.
Schon 2013 hatte es Trubel gegeben, als ein Con zwar einen Koloristen als Ehrengast einlud, seinen Namen unter den Gästen im Programmheft aber unterschlug. Erst ein Jahr zuvor war der Colorist Appreciation Day ins Leben gerufen worden, der Tag zu Ehren der Koloristen. Und schon 2010 hatte Tony Harris («Ex Machina») für Aufsehen gesorgt, als er Tantiemen für Koloristen forderte. «Spawn»-Erfinder Todd McFarlane etwa reagierte schnippisch darauf: «Wenn ich Alan Moore als Autor engagiere und die Verkaufszahlen hochgehen – was hat dann der Kolorist damit zu tun?», twitterte er.
Paquette stieß also in ein Hornissennest, das schon länger wütend brummte. Ärger bekam er in diesem Fall aber nicht von den Verlagen und Kollegen – sondern von den Kunden. Die hatten vor allem Angst, daß ein Modell, das die Koloristen finanziell besser als bisher stellte, den Preis ihrer Comics weiter nach oben drücken würde.
Tatsächlich steigt der durchschnittliche Coverpreis eines Comicheftes praktisch jährlich um ca. 5 – 10 Cent, 2013 lag er bei $ 3,61. (Hier ist tatsächlich der absolute Durchschnittswert gemeint, also die Summe der Preise aller Editionen, auch umfangreicherer und teurerer Sonderausgaben in Heftform, geteilt durch die Zahl der Titel.) 2003 hatte der Durchschnittspreis noch bei $ 3,06 gelegen, und nur in einem Jahr seitdem – 2011 – war er kurzzeitig gefallen. Dabei haben die Preissteigerungen wenig mit sinkenden Verkäufen zu tun: Von 2010 auf 2011 stieg der Umsatz trotz sinkendem Durchschnittspreis um rund drei Millionen Dollar. Nach einem durch die Wirtschaftskrise bedingten Tiefpunkt im Jahr 2009 sind jährlich steigende Absatzzahlen bei Comicheften zu verzeichnen, 2013 waren es 85 Millionen Stück. Tatsächlich liegt der steigende Durchschnittspreis nahezu parallel zur Inflationsrate der USA von meist zwei bis drei Prozent jährlich seit 2004.
Dennoch sind $ 3,61 (bzw. zumeist $ 3,99 für ein Marvel-Heft und für sehr viele Independent-Produkte und $ 2,99 für ein DC-Heft) eine finanzielle Belastung, zumal im auf Sammler ausgerichteten Comicmarkt der USA, der eher dazu neigt, eine überschaubare Zahl Kunden mit einer Vielzahl an Titeln zu versorgen. Der Ärger, der sich gegen Paquette richtete, war also vor allem der einer drohenden Preiserhöhung. Dabei wurde gern übersehen, daß Paquette – als Zeichner! – sich eigentlich nur für eine andere Verteilung der bestehenden Summen aussprach, nicht für grundsätzlich mehr Geld.
Matt Hollingsworth, der u. a. diverse Titel von Neil Gaiman, Brian Bendis und Ed Brubaker koloriert hat, sprang dem Zeichnerkollegen zur Seite: «Bei einem 2,99-Dollar-Heft beträgt der übliche Anteil der Kreativen $0,085 pro verkaufter Einheit ÜBER 50.000», schrieb er auf Bleeding Cool. «Verkauft ein Heft also 75.000 Stück, gibt es Tantiemen für 25.000 Hefte, nicht für alle 75.000. Das gesamte Kreativteam bekommt dann 25.000 x $0,085 = $ 2.125,00, die sie unter sich aufteilen können. Davon bekommt der Kolorist üblicherweise 10%, also $ 212,50. Legt man diese Summe auf alle 75.000 verkaufen Hefte um, sind das $ 0,00283 [pro Heft]. Also weniger als ein Drittel eines Cents pro Ausgabe. Ein 2,99-Dollar-Heft könnte also auf drei Dollar Coverpreis steigen und hätte den Koloristenanteil dabei verdreifacht. Autsch. Was für ein barbarischer Preisanstieg.»
Hollingsworths sarkastischer Kommentar – sicher eine Milchmädchenrechnung, die wenigsten Hefte setzten 75.000 Exemplare oder mehr ab, die meisten landen unterhalb der magischen Grenze von 50.000 – legte den Finger auf eine andere Wunde, nämlich die Frage: Was kostet eigentlich ein Comic?
Und zwar nicht für den Kunden, sondern in der Produktion. Entscheidend geworden ist die Frage spätestens seit dem Aufstieg der Graphic Novel – gemeint ist hier die amerikanische Bedeutung des Begriffs: Als «Graphic Novel» wird in Nordamerika jede gebundene Form eines Comics bezeichnet, ungeachtet des Inhalts. Anders als in Deutschland, wo nach einem schwer durchschaubaren System, wenn es denn überhaupt eins ist, nur bestimmte Titel als Graphic Novel deklariert werden (allerdings wären hier nach amerikanischer Definition über 90 Prozent aller erscheinenden Titel Graphic Novels).
Graphic Novels gibt es in den USA in zwei Formen: als Sammelband, der vorher erschienene Hefte nachdruckt, und als Original-Graphic-Novel, also direkt für die Buchausgabe produzierten Comic. Wobei diese Unterscheidung sehr akademischer Natur ist: Praktisch alle Comichefte werden heute von Anfang an auf einen Nachdruck in Buchform konzipiert, sie folgen vorher festgelegten Mustern von vier bis sechs Heften, die eine zusammenhängende Erzählung ergeben, die verlustfrei als Buch von vorher festgelegtem Umfang nachproduziert werden kann.

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