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COMIC!-JAHRBUCH 2015

Vorwort

Von W.P. Berres


In der Medienlandschaft präsenter als Comics sind heutzutage ihre Verfilmungen, vom überlangen Cannes-Gewinner «Blau ist eine warme Farbe» über den Sommer-Blockbuster «Guardians of the Galaxy» (der inzwischen über 700 Millionen US-Dollar eingespielt hat) bis zu den jüngsten Premieren wie der wegen verlagsseitiger Mißachtung von Autorenrechten von Allan Moore boykottierte «Hercules» und der Geheimtip «Gemma Bovery» – geheim, weil in vielen Besprechungen verschwiegen wird, daß dem Film die gleichnamige Graphic Novel von Posy Simmonds zugrundeliegt (deren deutsche Ausgabe bei Reprodukt erschienen ist).
Wenn der offene oder versteckte Verfilmungs-Drang zunimmt, liegt das natürlich nicht etwa daran, daß Comics mittlerweile vom Rest der Kultur-Industrie ernstgenommen würden, sondern vielmehr daran, daß in millionenschweren Unternehmen wie den Major Companies der Kinobranche weniger denn je Kreativ-Kräfte das Sagen haben, sondern Finanzexperten, Juristen und Marketing-Fachleute, und somit der Gedanke näherliegt, Ideen preiswert einzukaufen, statt sie selbst teuer zu entwickeln. Das heißt, Filmfirmen hoffen, – ähnlich wie bei Literaturverfilmungen – durch die Aneignung erfolgserprobter (Comic-)Stoffe Entwicklungskosten in der Dramaturgie-Abteilung einsparen und bei möglichst hohem Bekanntheitsgrad der Vorlage auch den Werbeetat kleinhalten zu können. Am liebsten gleich in Serie: «Asterix» als mehrfache Real- und Trickfilm-Adaptionen, Superhelden-Verfilmungen von «Avengers» bis «X-Men» in ständigen Neuauflagen, Sequels, Prequels und Spin-offs; Hauptsache, es gibt nur minimale substantielle Unterschiede – das bewährte Prinzip der Variation des Immergleichen: «Wenn dir Teil 1 gefallen hat, dann gefällt dir auch Teil 2!»
Und nicht nur im Kino, sondern erst recht im Fernsehen: von «Agents of S.H.I.E.L.D. » bis «The Walking Dead». Solange sie gut funktioniert, nimmt die Wertschöpfungskette einfach kein Ende.
Während Marvel-Filmhelden stets einen lockeren Spruch auf den Lippen haben, hat die Warner Company jüngst die Parole ausgegeben, daß in den neuesten DC-Verfilmungen auf Gags verzichtet werden soll («No-Jokes-Policy»). Irgendwie verständlich, denn über Leute zu lachen, die sich dazu berufen fühlen, in bunten, enganliegenden Kostümen auf Verbrecherjagd zu gehen, kann böse schiefgehen, da einige von ihnen vermutlich stark von sich eingenommen, möglicherweise psychisch labil und höchstwahrscheinlich ausgesprochen leicht reizbar sind.
Neue Station auf der üblichen Comic-Veranstaltungstour ist seit Anfang April 2014 die Comiciade in Aachen. Im Gegensatz zu anderen In-Door-Events kamen sogar alle Teilnehmer in den Genuß von Tageslicht, da das Ludwigforum, wo das Ereignis stattfand, mit langen Fensterzeilen bestückt ist, die für großzügigen Lichteinfall sorgen. Viele der regelmäßigen Börsen-, Festival- und Salonbesucher und nicht wenige der Comic-Studio-Zeichner waren erst überrascht, dann leicht irritiert, aber letztlich entzückt von der ungewohnten, aber angenehmen «Bio»-Beleuchtung.
Händler, Verlage, Künstler, Fanzines hatten eigene Tische auf dem bunt gemischten Festival und servierten ein breites Angebot an Titeln. Nicht nur Neuware und die gängigen Sammlerpretiosen, auch klassische Independent-Publikationen wie alte AMOK- und frühe ZEBRA-Hefte sah man den Besitzer wechseln.
Da viele Zeichner aus der Region Aachen und Umgebung aufgeboten wurden, fällt schon mal die Umweltbilanz der Veranstaltung positiv aus. Unter der Lokalprominenz: Künstler-Biographien-Zeichner Willi Blöß (vgl. COMIC!-Jahrbuch 2011, S. 70–75), Werbecomics-Experte FeliX (COMIC!-Jahrbuch 2010, S. 92–101) und «Schattenreich»-Autor/Zeichner Horus (COMIC!-Jahrbuch 2003, S. 188–195).
Außerdem gab es ein paar hübsche Ausstellungen und ein schmales Rahmenprogramm mit Künstlergesprächen und Multimedia-Shows. Alle Aussteller, mit denen wir gesprochen haben, waren recht zufrieden. Aber organisatorisch – die nächste Comiciade ist für 2016 geplant – dürfen die Veranstalter gerne noch zulegen.
Als im März 2014 die Frankfurter Buchmesse vermeldete, daß die «Faszination Comic», das Comic-Zentrum der Buchmesse, nicht mehr weitergeführt werden würde, war das für viele Comic-Fans ein veritabler Schock; die Begründung, daß Comics inzwischen «in der Mitte der Literatur angekommen» wären, für manchen Enthusiasten ein müder Scherz, wenigstens aber eine Fehl- oder Überinterpretation – oder vielleicht doch Sarkasmus, weil die durchschnittliche Auflage eines Comic-Albums (ca. 1.000 bis 3.000 Stück, vgl. «Comic-Report 2014») ungefähr dieselbe Höhe der eines normalen Lyrik-Bandes erreicht hat!
Trotz aller anfänglichen Begeisterung für das Buchmesse-Projekt (vgl. COMIC!-Jahrbuch 2006, S. 68–71) war es nie gelungen, ausländische Comicverlage auf Dauer ins Comic-Zentrum zu locken. Die bunte Schar der Cosplayer, die am Wochenende stets die Gänge verstopften, färbte leider nicht auf das Interesse an außerasiatischen Comics ab. Graphic Novel-Verlage suchten ihre Klientel ohnehin lieber abseits der üblichen Comic-Leserschaft, und zuletzt teilten sich immer mehr Anbieter zunehmend spartanischer ausgestattete Gemeinschaftsstände (vgl. Zebra-Newsletter 23 und 25).
2014 sah es schließlich so aus: Der große «Comic/Comics»-Kubus schwebte noch unter der Decke, hinten links in Halle 3.0. Aber die einschlägigen Comic-Verlage, die sich in dieser Gegend einen eigenen Stand leisteten, konnte man an zwei Fingern abzählen: Cross Cult und Epsilon. Von der Buchmesse ganz fern geblieben war Panini; allerdings nicht allzu fern, sie betrieben ihre Geschäfte im Marriott Hotel, gegenüber vom Messegelände. Die meisten anderen (von Bocola bis Virtual Graphics) präsentierten sich auf einem oder mehreren Regalbrettern am Gemeinschaftsstand auf der Buchmesse. Der ehemalige Comic-Zentrum-Organisator Wolle Strzyz war zwar meistens zugegen, um desorientierten Interessenten Auskunft zu geben, und den einen oder anderen (Klein-)Verleger hat man auch bisweilen dort antreffen können, aber eine repräsentative Darbietung mag man das Ganze nicht so recht nennen; vor allem wenn man sieht, was für einen Aufwand andere, comicfremde Verlage treiben: kostümiertes Standpersonal, Live-Autoren-Lesungen, Experimente mit flüssigem Stickstoff und massenhaft Give-aways: von stapelweise Leseproben bis zu zum Buchthema passende fröhlich quietschende Bade-Utensilien.
Immerhin gab es noch den Comicladen, wo kaufwillige Fans viele der auf der Messe vorgestellten Titel erwerben konnten. Und der Andrang bei den signierenden Künstlern variierte wie gehabt: an den ersten Tagen war die Nachfrage eher schwach, am Wochenende umso größer.
Ansonsten harrten einige in- und ausländische Manga-Verlage noch tapfer in 3.0-Hinten aus, Carlsen und Egmont hatten jeweils alle ihre Abteilungen an einem einzigen Firmen-Standort in 3.0 weiter vorne konzentriert, Graphic Novel-Herausgeber fühlten sich im Literatur- und Sachbuch-Bereich in Halle 4.1 wohl und die anderen Ausländer in ihren jeweiligen Landes-Hallen 5, 6 oder 8.
Verstreut, ausgedünnt und abgespeckt bietet sich also die Comicszene auf der Frankfurter Buchmesse dar. Um bekannter, beliebter und erfolgreicher zu werden, ist das definitiv nicht der Königsweg!
Nachdem die Buchmesse die Comics in die Welt entlassen hatte, schenkte sie nun ihre Aufmerksamkeit der Graphic Novel (kurz: GraNo), als ob die etwas völlig anderes wäre. Nach der offiziellen Devise «GraNos im Fokus» veranstaltete man einen Empfang für Fachverlage, für Messebesucher wurden GraNo-Führungen (in English!) angeboten und an diversen Stellen auf dem Messe-Gelände GraNo-Stände eingerichtet; so gab es in Halle 4.2 im Bereich «Wissenschaft, Fachinformation, Bildung» eine bescheidene Sonderschau mit «GraNos for Education».
An einem anderen Stand, der eine ähnliche Größe hatte wie der Comic-Gemeinschaftsstand in 3.0, wurden in Halle 5.1, wo sonst nur Verlage aus Ländern wie Albanien, Slowenien oder Venezuela angesiedelt sind, deutschsprachige GraNos von «Beta» bis «White Line» dargeboten, flankiert von der buchmesseeigenen Veröffentlichung «Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens – Aktuelle GraNos aus Deutschland».
Als wir am Messe-Donnerstag und -Freitag dort vorbeikamen, war weder Personal noch Kundschaft anwesend, und am späten Sonntagvormittag war bereits alles leergeräumt und müde Messebesucher hatten sich das Areal als Regenerations-Raum erobert. Wir hoffen jedoch, daß am Mittwoch und am Samstag kräftig was los war am Stand, und daß die Erwartungen der Betreiber erfüllt oder – noch besser – übertroffen wurden, so daß die Aktion nächstes Jahr wiederholt und ausgebaut wird, unter Beteiligung weiterer Verlage. Dann könnte ein neues, verbessertes Zentrum für Comics oder GraNos oder einfach für Erzählungen in Bildern (sei es von links nach rechts gelesen oder umgekehrt) entstehen. Diesmal gab’s dazu eine Seite auf der Buchmessen-Homepage, die sowohl Comic- und GraNo- als auch Manga-Veranstaltungen ankündigte, und noch stark ausbaufähig ist (siehe Linkliste www.comic-i.com/Jahrbuch 15.html).
Man sollte meinen, es müßte doch möglich sein, daß deutschsprachige Comic-/Graphic-Novel-/Manga-Verlage eine ansehnliche Präsentationsform entwickeln – irgendwo zwischen simplem Bücherbord und opulentem Massenspektakel–, so daß sie einen respektablen Auftritt auf der größten Bücherschau der Welt für lohnend empfinden – genau so, wie etwa 7.000 andere Verlage jedes Jahr darauf vertrauen, daß es sich für sie lohnt, voll dabei zu sein.

Der Interessenverband Comic e.V. ICOM trauert um sein Gründungsmitglied Hajo F. Breuer. Er übersetzte für Condor und verfaßte über 500 «Gespenstergeschichten» für Bastei. Seit 1999 war er Herausgeber der SF-Serie «Ren Dhark»
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