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COMIC!-JAHRBUCH 2014

Bester Independent Comic:
"Das UPgrade" von ULF S. Graupner und Sascha Wüstefeld


Interview von Gerhard Schlegel


COMIC!: Ihr habt dieses Jahr den ICOM Independent Comic Preis in München in der Kategorie "Bester Independent Comic" gewonnen. Habt ihr das Preisgeld gut angelegt?

Ulf S. Graupner: Ich habe sogleich damit meine Steuern bezahlt ... Vielen Dank noch mal an alle, die uns gewählt haben!

Sascha Wüstefeld: Ich habe meine Hälfte in den "Robert Crumb Skizzenbüchern" versteckt. Irgendwie habe ich das Gefühl, daß sie mir so ... äh ... Glück bringen. Mit den Jahren wird man eben wunderlich. Daß wir DEN Preis gewonnen haben, ist übrigens eines der Ereignisse, die mir wirklich jedesmal, wenn ich daran denke, einen freudigen Schreck einjagen. Geht mir bis heute so. Auch jetzt schon wieder, wo du das so ansprichst. "Huch! Echt? Haben WIR das gewonnen?" Un. Glaub. Lich!

COMIC!: Wie seid ihr auf das Projekt "Das UPgrade" gekommen? Hattet ihr von irgendwo Anregungen zur Idee? In der Figur von Ronny Knäusel könnte man Autobiographisches vermuten und auch Musik spielt eine Rolle.

Ulf S. Graupner: Im Anschluß an ein Münchner Comicfestival fand Sascha, daß es an der Zeit sei, mal einen gemeinsamen Comic zu machen. Ich hatte schon Jahre zuvor die Idee zu einer Science-Fiction-Story und mir diese kurz notiert. Sie schwirrte mir noch immer im Kopf rum, und Sascha fand die Grundidee ganz gut. Damals herrschte in den Medien gerade große Aufregung über den illegalen Download von Musik, einzelne Fälle wurden bekannt, in denen Jugendliche zu phantastischen Geldbeträgen verdonnert wurden. Ich malte mir aus, was passiert, wenn man aus Versehen außerirdische Musik runterlädt und wie sich dann der fremde Anwalt im Jugendzimmer materialisiert. So sollte die Geschichte dann auch "Der Download" heißen. Von diesem Plot ist so gut wie nichts erhalten geblieben, nachdem ich zusammen mit Sascha das Skript für unsere Comicsaga umgearbeitet habe. Nur die Hauptfiguren "Kleiner Junge" und "Alter Surfrocker" sind erhalten geblieben. Wir haben gemeinsam mehr Tiefe reingebracht und die Story in eine völlig andere Richtung gelenkt.
Es ging mir immer darum, wie im Surrealismus, möglichst große Kontraste zu schaffen. Man nimmt zwei Dinge, die absolut nichts miteinander zu tun haben, und fragt sich: Wo ist die Verbindung? Und – rumms – schon hat man eine Story. So kommt man auf einen Jungpionier, der sich teleportieren kann, oder einen weißhaarigen Surfrocker, DDR und Malibu ... Natürlich hat unser beider Biographie dann einen Einfluß, wenn wir von der DDR berichten – wir haben sie ja beide als Kinder und Jugendliche wahrgenommen, und können somit aus dem Vollen schöpfen.

Sascha Wüstefeld: Oh – ich glaube, das haben wir sicher schon sehr oft erzählt. Ja – genau wie Ulf sagt. 2009 war das – beim Comicfest in München. Wir wollten schon lange etwas zusammen machen, und irgendwie hat es beim Comicfestival dann ideentechnisch zwischen uns gefunkt. Sowohl in Ronny als auch in Cosmo stecken autobiographische Elemente. Bei Ronny ist es vor allem seine Kindheit, in die vieles von meiner eigenen Kindheit einfließt. Sein Kinderzimmer zum Beispiel, das im Grunde eins zu eins mein eigenes ist. Aber auch seine Persönlichkeit. Dieses leicht tragische, immerzu grüblerische. Das entspricht mir schon irgendwie. Die Wetterszene aus Band 2 habe ich als Kind genau so durchlebt. Inklusive Fehlentscheidung und Schockmoment vorm leeren Klassenzimmer.
Bei Cosmo ist das autobiographische Element versteckter. Hier ist es vielleicht die soziophob-einsiedlerische Seite seiner Persönlichkeit, die man so auch in Ulf und mir und vielleicht jedem, der im stillen Kämmerlein intensiv an etwas arbeitet, finden kann. Cosmo ist so eine Art Super-Geek, der sich lieber einigelt und für eigentlich einfache Probleme gern komplizierte, zeitaufwendige, aber dafür todsichere Lösungen findet. Wie zum Beispiel seine Vib-Voxel-Technologie. Wieso erfindet er diesen ungeheuer komplizierten Apparat, nur um Ronny aufzusuchen? Vielleicht weil es cooler ist. Haha! So läuft ja auch irgendwie die Zusammenarbeit zwischen Ulf und mir am UPgrade ab: Lieber hyperkompliziert und zeitraubend aber dafür cool, als einfach und schnell erledigt.

Ulf S. Graupner: Musik spielt zwar wie im Ur-Plot noch eine große Rolle, aber eine andere. Wir sind beide große Fans von "New Order" – und Sascha fiel die Übereinstimmung einer Song-Zeile aus "Temptation" mit Ronnys Fall vom Hochhaus auf – wir haben das Zitat dann gleich in eine Eröffnungsseite eingebaut. Ich selbst höre gern schnelle Surf-Gitarren (Bands wie "Man or Astroman?" – da kommt also Cosmos Beruf her. Die Figur des Cosmo Shleym (sprich: Schlaim) ist ein Konglomerat aus Brian Wilson von den Beach Boys und Elvis Presley, erst viel später fiel uns die frappante äußere Ähnlichkeit zum Science-Fiction-Autor Isaac Asimov auf, da war der erste Band schon fast fertig. Ein Number-One-Hit von Cosmo ist schließlich der Schlüssel zur Verbindung zu Ronny Knäusel: Er löst auf wundersame Weise Ronnys Teleportationen aus.

COMIC!: Die Geschichte spielt, wenn man mal von kleinen Zeitreisen zu den Azteken absieht, zwischen 1966 und 1992 in der ehemaligen DDR und dem dann wiedervereinten Deutschland. In der Geschichte steckt ja Kritik am DDR-Regime, aber auch am kapitalistischen System, an dem die Hauptfigur beinahe scheitert. Der junge Ronny wirkt erst mal recht glücklich als Jungpionier, und eure Zeichnungen mit den poppigen Farben zeigen ein sehr sauberes, freundliches DDR-Bild. Welche Rolle hat Politik in eurem Comic?

Sascha Wüstefeld: Ab Band 3 wird die Geschichte auch auf Malibu und Cosmo ausgeweitet, aber ja – im Grunde hast du recht. Wobei wir "Das UPgrade" nicht mit DDR-Rührstücken oder Ostalgie verglichen sehen wollen. Im Gegenteil. Wir ziehen es vor, uns auf unsere Weise liebevoll über die DDR lustig zu machen, ohne unsere eigene Herkunft ins Lächerliche zu ziehen. Unsere Kindheits- und Jugenderinnerungen sind uns ja heilig! Es ist nur toll, daß Kindheit und Jugend bei uns in diesem absurden Land stattfanden, und wir das aus heutiger Sicht – vor allem aus Autorensicht – mehr und mehr zu schätzen wissen. Die geradezu irrsinnigen Möglichkeiten, die die Geschichte bietet, werden uns nach und nach bewußt. Es ist wie der berühmte Stich ins Wespennest. Du kommst wirklich vom Hundertsten ins Tausendste. Die DDR – also das, was uns daran aus eigener Erfahrung fasziniert – mit dem zu kombinieren, was uns nach der Wende fasziniert hat, ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Grenzerfahrung. Oft auch ein Balanceakt zwischen historical correctness und dem ständigen Versuch, die DDR unserer Geschichte unterzuordnen, damit es eben keine Ostalgie wird.
Das DDR-Bild ist so bunt und sauber, weil Ronny die DDR als Kind eben genau so wahrnimmt. Sie ist nicht bedrohlich, wirkt intakt und in sich stimmig. Später ändert sich die Umgebung parallel zu Ronnys Persönlichkeit. Vieles bekommt eine gefährliche aber auch triste Note. Der Verlust seiner Identität spiegelt sich also auch im Setting wider. Politisch ist "Das UPgrade" möglicherweise insofern interessant, als es auf überspitzte Weise die Verklärung zeigt, die mit der DDR und den Erinnerungen an dieses Land nach der Wende passiert ist. Auch repräsentiert Ronny die Gefühlslage vieler nach dem Fall der Berliner Mauer. Im Grunde fragt man sich, wieso Ronny so deprimiert ist, wo er doch jetzt viel mehr Möglichkeiten hat. Natürlich muß er selber aktiv werden, um diese nutzen zu können. Ist es nicht besser, in Freiheit zu leben, als sein Leben innerhalb streng bewachter Grenzen eines im Grunde experimentellen Staates führen zu müssen? Ist es nicht besser, daß er als "Translokat", der Menschen über die Grenze half, nicht mehr gebraucht wird? Ja, schon. Aber das Glück des einen ist oftmals das Unglück des anderen. Und Ronny fühlt sich als der Benachteiligte. Er ist sozusagen ein selbsternannter Verlierer der Geschichte, ohne es wirklich zu sein. Er wird das aber erst später erkennen.
Aber das alles nur, weil du so direkt nach dem Poltischen fragst. Hauptsächlich (!) ist "Das UPgrade" und damit Ronnys und Cosmos Geschichte eine Science-Fiction-Story und kein Politikum.

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