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COMIC!-JAHRBUCH 2014

Hic Rhodus, hic salta
Die spezielle Kunst des Live-Zeichnens


Von Gerhard Schlegel


Viele Comiczeichner arbeiten, weil die 9. Kunst nicht immer für den Lebensunterhalt reicht, nebenbei oder überwiegend als Illustratoren. Buch- und Zeitschriften-Illustrationen, Trickfilm, Skribbel und Storyboard, Malerei etc. gehört zu ihrem Arbeitsgebiet. Und irgendwann klopft auch mal ein Kunde an und fragt, ob man denn auch live zeichnen würde. Direkt vor Publikum oder laufender Kamera. Worauf läßt man sich dabei ein? Was erwartet einen und was bringt es?


Es gibt verschiedene Arten des Live-Zeichnens

Das klassische Live-Zeichnen
Zeichnen auf Veranstaltungen, bei denen die Besucher porträtiert oder karikiert werden. Hier wird der Zeichner für einen Event (Geburtstag, Hochzeit oder Firmenfest) gebucht, um die Besucher zu unterhalten und ihnen etwas Schönes, Bleibendes mit nach Hause zu geben.
Manchmal ist auch der Zeichenblock mit dem Logo des Veranstalters bedruckt. Format ist meist A3. Es reicht nicht, daß man gut zeichnen kann, sondern man muß auch ein guter Entertainer sein, mit den Leuten reden und ihnen etwas zum Staunen geben, mit dem sie am Ende auch zufrieden sind. Man darf niemanden mit dem Bild beleidigen, deshalb ist es gut, sich nicht nur auf extreme Gesichtszüge zu konzentrieren, sondern auch einen Unterkörper zu zeichnen, den sich die Porträtierten wünschen dürfen. Man muß mit den Leuten kommunizieren und fragen, was sie möchten, ihre Interessen oder Hobbys etc. Diese Art von Live-Zeichnen erfordert viel Routine, die ersten Male sind meist eher schwierig, weil jeder seinen Weg finden muß, wie er die Bilder zeichnet und wie er dabei auch noch die Zuschauer unterhält. Es kann gut sein, daß man anfangs richtiges Lampenfieber hat. Wenn man mal richtig drin ist, ist es aber eine tolle Arbeit, weil man immer neue Herausforderungen bekommt, neue Leute trifft und viel dazulernen kann. Außerdem ist die Bezahlung recht gut, es gibt auch keine Korrekturen, wenn ein Bild mal mißlingt, dann ist es eben so, dafür wird das nächste vielleicht besser. Eine Karikatur oder Porträt brauch 3 bis 8 Minuten, wenn es länger wird, werden wohl zu wenige Leute ein Bild bekommen, was nicht so schön wäre. Die reine Arbeitszeit, ohne Anfahrt etc., ist ca. vier bis fünf Stunden, es ist sehr anstrengend, und viel länger wird man schlecht durchhalten.

Zeichnen vor der Kamera, Porträts, Karikaturen oder Erklär-Filme
Man zeichnet an einer Whiteboard-Tafel, Flipchart oder an einem Tisch, während eine Kamera den Vorgang filmt. Diese, meist Werbe- oder Erklär-Filme werden dann schneller abgespielt und vielleicht noch mit Animationen angereichert. Es ist etwas entspannter, als das Zeichnen vor Publikum, auch spart man sich die Unterhaltung, die vielleicht nicht jedermanns Sache ist. Man braucht auch hier einen klaren Strich. Oft kann man die z. T. komplexen Zeichnungen mit einem hellen Stift vorzeichnen, der auf dem finalen Film dann nicht mehr sichtbar ist, dennoch muß man auch viel frei zeichnen, da richtig ordentliche Vorskizzen nicht möglich sind. Diese kann man nicht aus dem Film herausfiltern, weil jede Veränderung durch Kontraste auch die aufgenommene Hand betreffen würde. Alles was man zeichnet, muß vorher schon einmal gezeichnet werden und dann, wenn möglich, ganz leicht auf den Zeichenkarton übertragen werden. Für einen 2–3-Minuten-Film muß man fast einen ganzen Tag Filmaufnahmen einrechnen, denn es muß viel ausgeleuchtet und getestet werden.

Live-Zeichnen bei Seminaren oder
Besprechungen
Das ist wohl die eher seltenste Form des Live-Zeichnens, kommt aber vor. Da kommt man als Zeichner in ein Firmen-Meeting und soll dabei zeichnen, was man aufschnappt oder für wichtig hält. Zum Teil ist es den Auftraggebern wichtig zu sehen, was der Zeichner für interessant hält, das ist aber recht schwierig, da man in der Regel von der Materie keine Ahnung hat. Bei anderen wiederum muß man vorab ein Seminar besuchen, damit man zumindest Grundkenntnisse von der Thematik hat, was recht sinnvoll ist. Konkret werden Inhalte von Diskussionen mit kleinen Zeichnungen an einer Tafel oder einem Flipchart mit Markern illustriert. Keine Porträts oder Karikaturen, sondern Abläufe. Z. B. steht eine Figur an einer Maschine und arbeitet, oder eine Figur trägt einen Sack Geld in eine Bank. Das ist nicht ganz einfach, denn wenn man etwas aufschnappt und es zeichnet, geht die Diskussion in der Zwischenzeit weiter, und erst am Ende werden die Zeichnungen allen präsentiert, und der Künstler muß eventuell auch seine Arbeiten den Teilnehmern erklären. Auch diese Art von Live-Zeichnen ist interessant, man lernt viel dazu, aber man muß sehr konzentriert sein.


Zeit ist Geld

Was kostet ein Arbeitstag als Live-Zeichner? Natürlich kommt es darauf an, wer der Kunde ist. Bei einen großen Konzern kann man mehr verlangen als bei einem Kindergeburtstag. Wenn ein Kunde einen Zeichner exklusiv anfragt, weil er genau diesen haben will, ist das die Chance, mehr zu verlangen, als wenn der Kunde zehn weitere Zeichner angefragt hätte. Die Tagessätze gehen daher weit auseinander, von 400 € bis zu 1.200 €. Wobei man nicht unter 600 € arbeiten sollte, außer man bietet seine Leistung zum wortwörtlichen Freundschaftspreis an.
Viele Informationen bekam ich durch ein ausgiebiges Telefongespräch mit Roberto Freire (www. robolus.com und art-of-robolus.blogspot.de), der in 22 Jahren Erfahrung als Karikaturist ca. 70.000 Personen mit seinen Schnellzeichnungen begeisterte.

Hier sind noch die persönlichen Erfahrungen von drei Zeichnern.

Auf den Geschmack gekommen?
Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2014
Links zum Artikel

Gerhard Schlegel (Laska Comics)
Schwarwel
Kim Schmidt
Lilian Caprez
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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2013
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