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COMIC!-JAHRBUCH 2014

Das Comicfestival München 2013


Eine Nachlese von Michel Decomain


Das Comicfestival München spaltete dieses Jahr die Gemüter wie kaum eine andere deutsche Comic-Veranstaltung. Schwärmten die einen von einem gelungenen Festival mit einem überraschend hochkarätigen Arsenal internationaler Stargäste, zeterten die anderen über innerszenische Grenzziehungen und desaströse organisatorische Fehlpässe. Was war geschehen?

Der Reihe nach: Das Comicfestival München fand zwischen dem 29. Mai und dem 2. Juni 2013 in seiner jetzigen Form zum vierten Mal statt, immer im Wechsel mit dem ebenfalls zweijährig in den Tagen um Fronleichnam veranstalteten Comicsalon Erlangen. Mit laut Festivalleitung rund 13.000 Besuchern erklärte man sich in diesem Jahr zur nach dem Comicsalon zweitgrößten deutschen Comic-Veranstaltung, wobei man allerdings anmerken sollte, daß die größeren deutschen Manga-Conventions wie die Animagic und die Connichi mit je über 20.000 Besuchern noch einmal ein ganz anderes Kaliber darstellen.
Seit 2011 sind Heiner Lünstedt und Michael Kompa als Veranstalter die Hauptverantwortlichen für das Festival. Einer der vorherigen Mitorganisatoren, Gerhard Schlegel, stellte sich noch als Ansprechpartner für die Aussteller im Alten Rathaus zur Verfügung, dem ehemaligen Hauptveranstaltungsort des Festivals. Dort hatte man aus Platzgründen 2013 hauptsächlich die Independent-Verlage einquartiert, während der Kern des Festivals mit den größeren Verlagen, dem Signierbereich, den Podiumsgesprächen und einigen der Hauptausstellungen wie zwei Jahre zuvor in das rund 15 Minuten Fußweg entfernte Künstlerhaus verlegt wurde. Um die Hauptachse des Festivals kreisten noch einmal rund 20 kleinere Locations, an denen weitere Ausstellungen zu finden waren oder Vorträge und Gesprächsrunden stattfanden.
Was vom Comicfestival München 2013 wahrscheinlich am ehesten positiv im Gedächtnis bleiben wird, ist das beachtliche Aufgebot an angereisten internationalen Stars, allen voran Robert Crumb, der zum ersten Mal auf einer deutschen Comicveranstaltung zugegen war. Neben Crumb besuchten mit Gilbert Shelton und Denis Kitchen auch noch zwei weitere amerikanische Underground-Legenden das Festival, und Gerhard Seyfried durfte in der Runde natürlich auch nicht fehlen. Crumb stand den Festival-Besuchern ausschließlich für zwei Podiumsgespräche zur Verfügung. Das erste, interessantere fand bereits am Mittwoch vor dem Festival im Jüdischen Museum statt und war für anreisende Gäste daher sehr unglücklich platziert. Dort plauderte Crumb mit seiner Ehefrau Aline Kominsky-Crumb und moderiert von Sheltons Ehefrau Lora Fountain vergnüglich über deren langjährige Zusammenarbeit, den Untergang der Hippie-Kultur und ihr zurückgezogenes derzeitiges Leben in Frankreich.
Das zweite Gespräch am darauffolgenden Abend mit Shelton sollte Seyfried vor prall gefülltem Haus leiten, doch anscheinend hatte ihm niemand das Konzept "Moderation" zuvor erläutert, und so saßen die drei großen alten Herren des Underground-Comics nur gelangweilt auf dem Podest und gaben lustlos Anekdötchen von sich, bis das enttäuschte Publikum sich irgendwann selbst zum Moderator erklärte und Fragen stellte – natürlich in den seltensten Fällen besonders interessante. Die "Sons of the desert" hatten als Begleitband des Abends mit einem Crumb-freundlichen Musikprogramm aus den 20er und 30er Jahren da wesentlich mehr Schwung, und Crumb konnte es kaum erwarten, die öde Talkrunde hinter sich zu bringen und mit der Band eine Runde auf dem Banjo zu jammen.
Zu einer Signierstunde konnte sich Crumb nicht hinreißen lassen, aber er signierte vorab einige hundert der extra für das Festival angefertigten Ausgaben von "A tribute to Robert Crumb" mit Kurzbeiträgen von gut 80 hauptsächlich deutschsprachigen ZeichnerInnen (und einem herrlich launigen Vorwort von FiL), die man auch alle in einer Sonderausstellung besichtigen konnte. Shelton signierte hingegen zusammen mit Seyfried Freitag morgens am Undergroundcomix-Stand, zudem noch an seinem 73. Geburtstag, und brachte dem Alten Rathaus seinen einzigen wirklichen Besucheransturm ein.
Eine Ausstellung zu Underground-Comix aus den USA und Deutschland im Valentin Karlstadt Musäum rundete den Underground-Schwerpunkt ab. Leider enttäuschte die Ausstellung mit einem planlosen Durcheinander an Exponaten, die unkommentiert und nur nach Namen sortiert an die Wände geworfen wurden. Zwar gab es hier Originale von unter anderem Robert Crumb, Gilbert Shelton, Gabriel Nemeth, Gerhard Seyfried, Reed Waller, Kim Deitch, Bill Griffith, Will Eisner und Richard Corben zu beschauen, allerdings jeweils nur mit ein, zwei wahllosen Seiten. Ein Spiegelman-Original soll es auch zu sehen gegeben haben, aber am Sonntag war das bereits klammheimlich verschwunden. Ein Kommentar, warum welches Exponat wie relevant für das Thema ist oder wie es sich überhaupt in das Werk des jeweiligen Künstlers einordnete, fehlte. Sogar Werkangaben und Datierungen suchte man vergebens.
Diese lieblose Aufbereitung der zahlreichen Ausstellungen zog sich leider als roter Faden durch das gesamte Festival. Fast überall fehlten rudimentärste Werkangaben und Datierungen an den Exponaten. Die einzigen korrekten Werkangaben fand ich in der Comicaze-Ausstellung in der Glockenbachwerkstatt. Als Einzelstücke gab es zumindest viele tolle Originale zu sehen. So hatte Superman-Zeichner Rags Morales extra eine Handvoll Originale aus seinem aktuellen ACTION COMICS-Run mitgebracht.

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