Dreidimensionale Welten
Zur Geschichte von 3D in Comic und Animation
Von Elmar Reh
Von den ersten Reisen im Wohnzimmer zur Großraumprojektion
Wenn heute vom ersten 3D-Boom die Rede ist, ist meist die Phase von 195255 gemeint. Jedoch gerät dabei leicht in den Hintergrund, daß abseits vom Zelluloid die Stereographie bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Symbiose mit der Fotographie eingegangen war und sich schnell zu einem populären Massenphänomen entwickelte. Die Entwicklung zum Holmes-Stereoskop ermöglichte es auch einer Gesellschaftsschicht, die sich keine Reisen leisten konnte, im eigenen Wohnzimmer einen Blick auf ferne Länder zu werfen. Einen großen Anteil an der ungeheuren Populariät der Stereoskopie hatte der Physiker und Unternehmer August Fuhrmann, der in Europa seit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts in ca. 250 Städten Kaiserpanoramen aufstellen ließ, in denen weit über einhunderttausend stereoskopische Bilderpaare zirkulierten. Erst als, bedingt durch den 1. Weltkrieg, die Postkarte ihren Siegeszug als wichtigstes Kommuniaktionsmedium begann, und zudem auf dem Unterhaltungssektor in den Lichtspielhäusern die Bilder langsam laufen lernten, schwand allmählich auch das Interesse an 3D. Das änderte sich erst im Zusammenhang mit dem einschlagenden Erfolg des Fernsehens.
Ende des Jahres 1952 erreichte der Verkauf von TV-Geräten in den USA seinen Höhepunkt. Weit über 58 Millionen Geräte waren seit 1946 über den Ladentisch gewandert, davon allein über die Hälfte im Jahr 1952.1 Sendete das Fernsehen auch anfangs nur zwei Stunden am Tag, reichten solche Zahlen aus, um für ein paar Sorgenfalten auf den Stirnen der Bosse der Filmindustrie und der Kinobesitzer zu sorgen, die immer größere Rückgänge an Besucherzahlen registrierten. Auf dem Markt der nichtbewegten Bilder sah es auch nicht rosig aus. Nach Einbruch der Superhelden-Comics buhlten allein im Comic-Zentrum New York rund zwei Dutzend Comic-Verlage um die Gunst der Leser.2
Arch Obolers "Bwana Devil" in 3D sollte 1952 der Paukenschlag sein, mit dem sich die Filmindustrie erhoffte, das verlorene Publikum zurückzuholen. Und der Film steht auch im direkten Zusammenhang mit der Geschichte, wie einige Größen des Comicmarkts für ein paar Monate ihre bisherigen Produktions-Prinzipien über Bord schmissen, um für eine Weile voll auf den Zug aufzuspringen.
Papiertheater
Bereits in seiner Army-Zeit in Deutschland war Joe Kubert mit einem 3D-Fotomagazin in Berührung gekommen. Doch hing er dem Gedanken, 3D auch innerhalb eines Comicheftes zu bringen, zunächst nicht weiter nach. Das änderte sich an dem Tag, als Kubert 1952 zurück in New York gemeinsam mit den Brüdern Leonard und Norman Maurer in einem Auto über den Times Square fuhr und vor einem Paramount-Kino auf das Film Plakat von "Bwana Devil" aufmerksam wurde. Der Streifen, der als erster Film als "Natural Vision" angepriesen wurde und schon auf der gleichen Polfilter-Technik beruhte, wie sie heute in den meisten Kinos zum Einsatz kommt, bildete den Auftakt zum ersten 3D-Filme-Boom in den USA. Trotz der recht trashigen Handlung, in der menschenfressende Löwen den Bau einer Eisenbahn zu verhindern suchen, zog der Film aufgrund seines kommerziellen Erfolgs bis zum Ende der knapp drei Jahre anhaltenden Welle 45 weitere 3D-Filmproduktionen nach sich.
Während im Film nur eine zusätzliche Kamera benötigt wird, um 3D-Aufnahmen zu ermöglichen, war im Bereich der Illustration kein Verfahren bekannt, dies mit Handzeichnungen zu bewerkstelligen, die nur in 2D vorlagen.
Leonard Maurer kam noch auf der Heimfahrt die Idee, dies durch das Verschieben mehrerer hintereinanderliegender transparenter Folien zu bewerkstelligen. Am nächsten Morgen machten sich die Maurer-Brüder auf, um der Süßwaren-Abteilung des nächsten Woolworth einen Besuch abzustatten. Besonders auf die roten und grünen Lutscher hatten sie es abgesehen, so daß sie sich, wieder zu Hause, daran machen konnten, aus deren Zellophan-Verpackungen ein paar Anaglyphenbrillen zu basteln. In der Nacht zuvor hatte Norman Maurer die Skizzenbücher nach geeignetem Material durchgesehen. Als Schwiegersohn von Moe Howard (The Three Stooges) war auch schnell ein Titel für die erste 3D-Comicseite gefunden. Innerhalb einer Nacht entstand die Konvertierung zu "The Three Dimensional Stooges In The Third Dimension". Und man war überrascht, als man sah, wie gut es funktionierte. Das Verfahren, das es erstmals ermöglichte, freie Handzeichnungen dreidimensional zu reproduzieren, wurde "3-D Illustereo" getauft, und man beauftragte den Anwalt Asher Blum, die Rechte an den Patent zu sichern.
Doch war diese erste Seite nicht die einzige, die als Beispiel vorgelegt wurde. Parallel hatte Joe Kubert eine Seite zu 3D-Tor (Protagonist seiner Serie "1,000, 000 Years Ago") produziert. Das Rennen für die erste 3D-Nummer machte dann auf Wunsch des Verlegers Archer St.John jedoch zunächst die, der breiten Öffentlichkeit bereits bekannte, Mighty Mouse.
1 www.scheida.at/scheida/Televisionen_USA.htm, weiterführend auch www.earlytelevision.org/us_tv_sets.html
2 Siehe Joe Kubert im Vorwort zu "Amazing 3-D Comics". Die Zahl aller Titel auf den Comic-Book-Markt schätzte Joe Kubert mal auf 300400