Comic Design: Eine einzigartige Berufsausbildung in den Niederlanden
Ein Platz für Comics an der Kunstakademie
Von Rik Sanders
aus dem Niederländischen von Mark O. Fischer
Im Berufsschulunterricht in den Niederlanden gibt es seit 2009 an der Kunstakademie Artez in Zwolle eine offizielle Ausbildung zum Comic-Zeichner. Letzten Sommer haben die ersten Zeichner ihren Studiengang Comic Design abgeschlossen. Bei anderen Kunstakademien ist eine zunehmende Beachtung der Bildergeschichte erkennbar, aber das hat noch nicht zu neuen Ausbildungsangeboten geführt. 2009 kündigte die Artez Hochschule für die Künste an, in Zwolle den Studiengang Comic Design zu beginnen. Es ist eine Spezialisierung innerhalb der HBO-Ausbildung1 Formgebung. Das Studium bedeutete einen Durchbruch: Zum erstenmal gibt es in den Niederlanden eine offizielle Fachklasse, in der Comiczeichner ausgebildet werden. Und das an einer Kunstakademie, einem Ort also, wo das Medium Comic als Kunstform meist nicht allzu ernst genommen wird.
Erneuerung
Die Zeit, als Studenten an der Kunstakademie sich nicht mit Comics beschäftigten mochten, scheint tatsächlich vorbei zu sein. «Die Aufmerksamkeit für die Bildergeschichte und ihre literarische Variante, den graphischen Roman, hat in den letzten Jahren zugenommen. In der Kultur der Akademien wird das Erarbeiten von Bildergeschichten mehr akzeptiert», sagt Studienkoordinator Sytse van der Zee, von Haus aus Illustrator und gegenwärtig im Studiengang Comic Design Dozent für Stories & Design. «Das Ziel der Ausbildung ist, eine junge Generation talentierter Comicmacher anzuleiten, die auch für Erneuerung in der Comicwelt sorgt. Schaut in die Länder um uns herum, da gibt es schon Comicausbildungen, die die Comickultur aufgewertet haben. Ein gutes Vorbild für uns ist St. Lucas in Brüssel; mit denen arbeiten wir inzwischen zusammen und organisieren zweimal im Jahr ein boot camp in den Ardennen. Dort treffen sich Studenten und tauschen Erfahrungen aus.»
Artez arbeitet mit Anke Feuchtenberger zusammen, die Lehrerin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg ist. Feuchtenberger gibt zweimal pro Jahr einen Workshop und ist als associate professor externe Prüferin der Examensarbeiten von Studenten. Daneben arbeitet die Akademie mit den (Comic-)Fachdozenten Sam Peeters (Zeichentechniken), Hanco Kolk (erzählerische Aspekte) und Roel Venderbosch (digitale Bearbeitung) zusammen und verpflichtet Gastdozenten aus der Comicwelt wie den Belgier Brecht Evens.
Storytelling und Design
Comiczeichner Hanco Kolk («Single», «Meccano») kann genau wie Van der Zee als einer der Initiatoren des Projekts angesehen werden. Er engagierte sich, unter anderem mit Zeichner-Kollege Jean-Marc van Tol («Fokke en Sukke»), schon länger für eine offizielle Comicausbildung in den Niederlanden. Kolk nahm mit einer Anzahl Kunstakademien Kontakt auf; Van der Zee von Artez reagierte am schnellsten. «Eine Comicausbildung mit Fachdozenten schien eine deutliche Bereicherung für unser Studienangebot zu sein. Comic Design unterscheidet sich von Studiengängen wie Illustration Design, Animation Design oder Graphic Design, weil es auf den erzählerischen Aspekt ausgerichtet ist.» Comic Design ging im September 2009 an den Start. Es ist wie eine Bachelorausbildung auf vier Jahre angesetzt. Damit ein Student in spe (Voraussetzung ist MBO-Stufe 42) an der Akademie zugelassen wird, muß er eine Aufnahmeprüfung ablegen, um künstlerische Veranlagung, das Vermögen zur Reflektion und organisatorische und kommunikative Fertigkeiten nachzuweisen.
Das erste Jahr von Comic Design galt als Pilotprojekt; drei Studenten, die schon ein Studienjahr Illustration absolviert hatten, schrieben sich ein, im Jahr darauf achtzehn Studenten, 2011 zwölf und dieses Jahr erneut ein Dutzend. Studienkoordinator Van der Zee ist zufrieden mit den Anmeldungen: Es gibt eine Nachnachfrage nach einer interdisziplinären Ausbildung mit Schwerpunkt auf Erzählen, Bebildern und Layouten einer Geschichte. Während der vierjährigen Ausbildung wird viel Wert auf die Fundamente des Schreibens von Geschichten (storytelling) und das visuelle Ausarbeiten der Geschichte (design) gelegt. Studenten werden beim Verfassen von Szenarios individuell begleitet. Dazu bekommen sie Unterricht in diversen Fertigkeiten, Techniken und Theorien wie Typographie, Kommunikation, Zeichnen und Malen, Kunstgeschichte und Philosophie. Auch wird in Seminaren die Vermittlung von Softwarekenntnissen angeboten, ebenso manuelle Techniken wie Siebdruck, Schriftsatz, Radierung und Fotographie. Ein Teil dieser Fächer ist für alle Studenten der Ausbildung Formgebung Pflicht, aber für die Studenten werden fachspezifische Elemente behandelt. «So befassen wir uns bei Typographie mit dem Lettering von Comics und verlieren bei Kunstgeschichte die Entwicklungen der Bildergeschichte nicht aus den Augen», sagt Van der Zee. Das vierte Jahr von Comic Design ist das Examensjahr. Darin müssen die Studenten eine theoretische Abhandlung über ihre Arbeit schreiben und als Abschlußarbeit ein Exposé für einen Comic präsentieren.
Pioniere
Von den drei Studenten der ersten Stunde haben zwei das Studium Comic Design letzten Juni abgeschlossen: Amanda Majoor und Abe Borst. Beide haben sich im September 2009 nach einem Jahr Illustration im neuen Studiengang Comic Design eingeschrieben. «Ich habe gewechselt, weil der erzählerische Aspekt beim Comic Design mich sehr ansprach. Ich beschäftigte mich schon seit meinem zwölften Lebensjahr mit dem Zeichnen von Comicgeschichten», erzählt Majoor. Auch Borst liebt das erzählende Element. «Ich habe mich zunächst für Trickfilm eingeschrieben, aber das habe ich wegen der vielen stupiden Animationsarbeit aufgegeben. Ich wählte darum die Illustration, aber da vermißte ich doch das erzählende Element. Comic Design startete darum für mich in einem guten Moment.»
Majoor und Borst sind zusammen mit den Dozenten der ersten Stunde die Pioniere von Comic Design, auch die Ausbilder sehen sich in einer Vorreiterrolle. Die Beteiligung bei dem Studiengang war groß, und die Studenten gaben regelmäßig Feedback, um Sachen zu konkretisieren oder zu verbessern. Borst: «Im ersten Jahr machten wir noch viele Seminare zusammen mit Studenten der Illustration. Aus Kostengründen wir starteten schließlich nur mit drei Studierenden war das eine logische Wahl, aber bei einigen Themen fehlte dann doch der Comicbezug. Ein anderes Vorgehen: In unserem dritten Jahr wurden wir mit den Studenten des Jahrgangs unter uns zusammengelegt und folgten gemeinsam den Vorlesungen auf dem Comicgebiet. Mit der Folge, daß wir zu wenig inhaltlichen Kommentar auf unserem Niveau bekamen. In solchen Momenten läuteten wir die Glocke, und uns wurde wieder zugehört.»