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COMIC!-JAHRBUCH 2013

Teuflisch gut
Interview mit Jan Suski


Von Burkhard Ihme


COMIC!: Du bist in Wittenberg geboren und in der MOSAIK-Fanszene recht aktiv, was mich zu der Frage bringt: Wann hast du den Sprechblasencomic für dich entdeckt?

Jan Suski: Ja, in Wittenberg hat man mich (1964) auf diese Welt losgelassen, wobei ich wenig Einfluß auf Ort und Zeit hatte. Mutter entschied, im wahrsten Sinne des Wortes, über meinen Kopf hinweg. Mein später so geliebter Großvater begrüßte seinen Enkel kurz und knapp: «Ne, ist der häßlich!». Das hat mich damals nicht wirklich verletzt, und heute betrachte ich diesen «emotionalen Ausbruch» als Zeichen Schwarzen Humors, den ich so unendlich liebe.
Wann habe ich den «Sprechblasencomic» für mich entdeckt? Verglichen mit meinem lieben Kollegen Ulf S. Graupner («Das UPgrade»), der bereits im zarten Alter von vier Jahren sein MOSAIK in den Händen hielt und sogar ein Abo besaß, war ich ein «Spätzünder». Achtjährig, einen unserer zahlreichen Ostseeurlaube genießend, hatte ich das Glück, an einem Strandkiosk in Kühlungsborn meinen ersten «Sprechblasengoethe» zu erhaschen – MOSAIK Nr. 201 «Die seltsamen Flibustier». Sprechblasen gab es da zwar nicht, die Macher positionierten ihre Texte damals unter den Panels, was mich aber nicht daran hinderte, dieses Heft, in kürzester Zeit, leidenschaftlich zu zerlesen. Ich kenne keinen Pfarrer, der seine Bibel (einer häufigen Zurhandnahme geschuldet) in dieser Geschwindigkeit so zugerichtet hätte. Nach dreiwöchigem Strandkorbaufenthalt sah mein erstes eigenes Comicheft bemitleidenswert aus.
Kein Drama, wie sich später herausstellen sollte, denn die jüngste Schwester meiner Mutter nannte eine, wenn auch unvollständige und kleine MOSAIK-Sammlung ihr eigen. Wie ich in den Besitz dieses Kleinods geriet, kann ich nicht mehr erinnern. Aber es ging wohl ehrlich zu, denn ich habe noch heute ein ausgesprochen gutes Verhältnis zur Tante. Egal, seit jener Zeit ist meine Leidenschaft für jegliche Art von Comics und Bildgeschichten ungebrochen, egal ob lesend oder selbst zeichnend.

COMIC!: Daß «ihr aus dem Osten» alle mit MOSAIK großgeworden seid, hatte ich vorausgesetzt, deshalb meine Frage nach den «Sprechblasencomics». Ich bin mit Wilhelm Busch, e.o. plauen und wohl auch «Mecki» (wir hatten jedenfalls, seit ich denken kann, die HÖRZU) aufgewachsen, aber erst mein erstes MICKY MAUS-Heft zur Einschulung löste das Flash-Erlebnis aus. Ich schließe aus deinen letzten Zeilen, daß diese andere Qualität, die Comics von Bildgeschichten unterscheidet, für dich keine Rolle spielt.

Jan Suski: Vorab sei gesagt – natürlich kannte auch ich die wunderbaren Bildgeschichten von Wilhelm Busch, wie wohl jeder in der DDR. Aber es waren aus meiner damaligen Sicht eben «nur» Bildgeschichten, ohne Farbe, und dann wurde auch noch gereimt! Also definitiv kein Comic! Wie erfrischend erschien mir da das MOSAIK, mit den so phantastisch gestalteten Abenteuern der Digedags.
Aber ganz so einseitig bin ich natürlich auch nicht aufgewachsen, gab es doch andere Veröffentlichungen in diversen Kinder- und Jugendzeitschriften. So hatten mich die Geschichten des ungarischen Zeichners Attila Dargay (z.B. «Vuk der kleine Fuchs») unwahrscheinlich begeistert und tun dies bis heute. Und nicht zu vergessen – Erich Schmitt. «Die Arche Noah», «Nixi», «Kuno Wimmerzahn» und die legendären Weltraumabenteuer des Karl Gabel. Diese Geschichten von Erich Schmitt erschienen zwar auch nur Schwarzweiß, fesselten mich aber trotzdem.
Natürlich wußten selbst wir im «Nahen Osten», wer Micky Maus ist, und ich hielt das eine oder andere Heft in der Hand, bin aber mit den Comics von Micky, Donald & Co bis zum heutigen Tag nicht so richtig warm geworden (Schande über mich!). Wilhelm Busch hingegen lernte ich später wirklich zu schätzen.

COMIC!: Was waren deine ersten selber gezeichneten Comics?

Jan Suski: Das kann ich heute nicht mehr so genau sagen. Ich habe ja schon immer vor mich hin gestrichelt, das war meine Leidenschaft und wesentlich angenehmer, als an Nachmittagen den dritten Ersatztorwart auf dem Bolzplatz zu geben, denn beim Kicken hielten sich meine Fähigkeiten in überschaubaren Grenzen.
Aber als Comics konnte man diese ersten Gehversuche auf dem Papier nicht bezeichnen. Es waren wohl eher Cartoons. Kleine Situationen, die ich witzig fand, und andere, wenn auch milde lächelnd, vergeblich nach der Pointe suchen ließen. Mit dem Kauf meines ersten MOSAIK und der damit einhergehenden Sammelleidenschaft, sah es dann etwas anders aus. Ich hatte, heute würde man sagen geile Vorlagen. Jetzt wurde kopiert, abgezeichnet und meine Gnubbelnasenhelden in kleinen Geschichten verwurstelt, die aber nie den Umfang einer Seite überstiegen. An eigene Figuren habe ich mich damals selten gewagt, sahen sie doch, im Vergleich zu «richtigen» Comicfiguren, immer furchtbar ungelenk aus. Und als ich, von einem Freund geliehen, meinen ersten «Asterix»-Band in der Hand hielt, war es mit der Kreativität erst einmal ganz aus. Das konnte man nicht toppen! Jeder Versuch, meinen Zeichnungen ähnliche Dynamik zu verleihen, scheiterte jämmerlich, und mein Papierverbrauch, und gutes Papier war schon damals nicht billig, stieg ins Exorbitante. Saß ein Strich nicht, wurde das fast weiße Blatt zerknautscht (ich wollte mein Versagen ja vor der Öffentlichkeit verbergen) und dem Papierkorb übereignet, was meinen Vater, ob der Verschwendung, regelmäßig, wie er behauptete, «auf die Palme brachte». Wo er diese am Rande Berlins gefunden haben will, ist mir heute noch schleierhaft. Was der alte Herr aber fand, war eine Lösung. Nunmehr brachte er aus seinem Büro regelmäßig alte Rechnungsblöcke mit nach Hause, die ich zweckentfremden und deren Rückseiten nach Herzenslust verunstalten durfte.
Das mit der Zweckentfremdung habe ich, zum Leidwesen der Lehrerschaft, bis zum Abitur beibehalten. Zahlen spielten in meinem Matheheft und Formeln in den Chemieaufzeichnungen eine untergeordnete Rolle. Dafür hatte wohl niemand so sauber illustrierte Integralfunktionen vorzuweisen wie ich.

COMIC!: Und wie bist du vom MOSAIK zum Trickfilm gekommen?

Jan Suski: Ich glaube, wer sich für Comics (nennen wir es nicht mehr nur MOSAIK) interessiert, diese liebt und sich mit ihnen auseinandersetzt, wird auch ein Faible für den Trickfilm entwickeln. Das geschah bei mir automatisch. Einen genauen Zeitpunkt kann ich nicht benennen, vermute aber, daß der Kauf unseres ersten Fernsehapparates dazu beigetragen haben wird, denn in den deutschen demokratischen Kinos waren keine Plätze frei für «Tom und Jerry», «Bugs Bunny» oder auch Donald und Micky (in klassisch animierter Form gefallen mir die beiden nämlich). Der alten Flimmerkiste sei Dank, konnten wir ihre rasanten Abenteuer, wenn auch noch ohne Farbe, nunmehr zuhause genießen.
Hinzu kam die Experimentierfreude meines Vaters, der es sich nicht nehmen ließ, unseren auf Film gebannten Urlaubserinnerungen gelegentlich einen animierten Vorspann angedeihen zu lassen. Meine Mithilfe war zwar nicht zwingend erwünscht (wer teilt schon gerne seinen Erfolg), wurde aber gnädig geduldet. Egal, mein Interesse am Trickfilm war geweckt. auch wenn ich mir zu dieser Zeit nicht vorstellen konnte, in späteren Jahren eine entsprechende Ausbildung zu machen.
Zwischendurch gab es einige Phasen, welche durchaus graphischer Natur waren, sich aber weit weg vom Trickfilm und Comic bewegten. Verantwortlich dafür waren meine Großeltern, die mich zu gegebenen Anlässen reichhaltig mit «normaler» Literatur versorgten (zur «normalen Literatur» wurde durch meine Familie alles erhoben, was sich dem Leser sprechblasen- und gnubbelnasenfrei darbot. Ach, hätte doch nur mein Mathematikbuch die eine oder andere Sprechblase geziert, meine Erzeuger hätten mich vom Unterricht freistellen lassen!)
Also, beim Lesen der Bücher von Jules Verne, J.F. Cooper, Charles Dickens oder auch E.T.A. Hoffmann stieß ich auf einen Illustrator, dessen Arbeit mich faszinierte – Gerhard Goßmann. Seine Federzeichnungen und Radierungen waren einzigartig! Zwar las ich weiterhin meine Comics, zeichnete nun aber «ernsthaftere Dinge». Mit mäßigem Erfolg, wie mir durch die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei meiner ersten Aufnahmeprüfung (wer ist auch so blöd und tanzt dort mit süßen 17 Lenzen vor) nachhaltig versichert wurde. Der Schock saß tief, legte sich aber schnell. Wenige Tage später wurde vom Trickfilmstudio der DEFA in Dresden ein einwöchiger Sommerkurs angeboten, welcher bei erfolgreichem Bestehen die Tür zur Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam Babelsberg öffnen konnte. Also auf nach Dresden, eine Woche Zeichnen und Animationsübungen und – eine weitere kalte Dusche, sprich Absage!
Ein Jahr später erhielt ich ein Schreiben aus Berlin. Horst Hirsch, Leiter des Trickfilmstudios des DDR -Fernsehens und später ein guter Freund, lud mich zu einem Gespräch. Wie auch immer er an die zweifelhaften Ergebnisse meines Dresdner Sommerkurses gelangen konnte, war mir egal. Er hielt diese in seinen Händen, befand sie für vielversprechend und schickte mich nach Babelsberg zur Aufnahmeprüfung. Die kalte Dusche blieb aus – ich hatte einen der wenigen, begehrten Studienplätze in der Fachrichtung Animation ergattert und schloß meine Ausbildung im Jahr 1989 erfolgreich ab! Der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bin ich bis heute, ihrer objektiven Einschätzung wegen, sehr dankbar!

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