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COMIC!-JAHRBUCH 2013

Der Wert des Papiers
Ein Bericht vom 15. Internationalen Comic-Salon


Von Björn Bischoff


In diesem Jahr fand zum bereits 15. Mal der Internationale Comic-Salon in Erlangen statt. Schon am ersten Tag standen die Leute in einer unfaßbar langen Schlange vor der Heinrich-Lades-Halle an, um zu den ersten Besuchern vor Ort zu gehören, wenn der Blick der deutschen Comic-Szene wieder in die fränkische Stadt fällt. Über 25.000 Menschen liefen auch in diesem Jahr an den vier Tagen durch zahlreiche spannende Ausstellungen, sprachen mit Zeichnern oder genossen einfach nur die angenehme Atmosphäre des Salons.

Wie viel mag das Papier wohl wert sein? Aufgereiht in einer langen Vitrine liegen mehrere Hefte von einem der amerikanischsten Helden überhaupt: Spider-Man. Direkt nachdem sich die Türen der Heinrich-Lades-Halle öffnen und die Menschen durch den riesigen Aufsteller mit Reinhard Kleists «Boxer» gehen, zieht es mehrere Besucher auf die Empore der Halle. In dem abgetrennten Bereich, von dem man auch einen Blick auf die untere Ausstellung zu den Comics aus der arabischen Welt bekommt, herrscht reger Betrieb. Zeichnungen von Steve Ditko, der gemeinsam mit Stan Lee Spider-Man Anfang der sechziger Jahre schuf, aber auch von Todd McFarlane hängen eingerahmt an den aufgestellten Wänden. Doch die größte Aufmerksamkeit bekommen die bunten Seiten der Hefte, die so akkurat nebeneinander unter Glas liegen.
Die Frage nach dem Wert der ganzen Raritäten ergibt sich relativ schnell an einem Stand, der alte Comichefte und Original-Zeichnungen in einer der hinteren Ecke der Halle verkauft. Ziemlich schnell ist klar, daß so ein Blatt Papier unbezahlbar ist. Sollte der Mann mit den grauen Haaren in diesen vier Tagen nur eine Handvoll von seinen Angeboten verkaufen, dürfte sich der Ausflug nach Erlangen wirklich gelohnt haben, trotz der weiten Anreise aus Amerika.
Meilensteine in der Geschichte des US-Comics liegen da direkt vor einem, und unweigerlich stellt sich die Frage, was Comics eigentlich heute bedeuten. Der ganz große Manga-Boom ist vorbei, und viele Verlage mühen sich, ihre Neuveröffentlichungen nun als Graphic Novel in die Regale zu bekommen. 1984 schrieb die lokale Presse in Erlangen: «Früher galten sie als Lektüre für Menschen, denen das Lesen zusammenhängender Texte Schwierigkeiten bereitet: Comics. Doch seit einiger Zeit hat sich der ehedem üble Ruf der Bildergeschichten erheblich verbessert.» Was einem an diesen Sätzen so vertraut vorkommt, ist die Tatsache, daß immer noch fast jeder zweite Artikel in den Feuilletons mit dieser oder einer ähnlichen Rechtfertigung anfängt – mit einem kleinlauten «Ja, aber».
So sehr die alten Hefte von Spider-Man auch faszinieren, so sehr sind sie längst ein Relikt vergangener Tage. Die Geschichten scheinen nicht mehr zeitgemäß. Nur wenige Meter von der Ausstellung entfernt findet sich der Stand des Verlags Reprodukt, der an jedem der vier Tage des Salons gut besucht sein wird. Von den Tischen blicken einen die Augen der Figuren von Charles Burns oder Bastien Vivès an, «Aufzeichnungen aus Birma» von Guy Delisle nehmen die interessierten Besucher oft in der Hand.
Doch das eigentliche Treiben, das sich den Menschen auf der Empore aus so sicherem Abstand präsentiert, findet unten statt. Die Stände der großen Verlage sind immer, oft in einer unerträglichen Dichte, überffüllt, während die US-Zeichner, etwa bei Panini, dieses Geschehen gelangweilt beobachten. Über 400 Künstler geben fast 1.000 Signierstunden in diesen vier Tagen. Und der Andrang ist groß. Selbst bei weniger bekannten Zeichnern kann es vorkommen, daß mancher Käufer seinen Comic unsigniert, mit blanker erster Seite mit nach Hause nehmen muß. Doch bei aller Hektik und der Größe der Veranstaltung nehmen sich die meisten Künstler sehr viel Zeit für die Leute. Mit der sonstigen Betriebsamkeit aus der Literaturbranche hat das nichts zu tun. Das ist hier alles viel entspannter.
Auch die schon angesprochene Ausstellung «Illustration der Geschichte» bekommt, gerade nach dem arabischen Frühling, viel Aufmerksamkeit. Zeichner wie Salam Homoud oder Zeina Abirached werden dort vorgestellt. Bilder hängen an der Wand, doch durch ihren Ernst bekommt der Raum eine Strenge, die leicht unangenehm ist. Die meisten Leute flüstern in den engen Gängen zwischen den Aufstellern nur. Der Lärm, der draußen in der Messehalle herrscht, dringt nicht in den Saal, sodaß hier eine gelehrsame Stille entsteht.
Am Abend des ersten Tages gibt es eine Lesung von Flix im Oberen Foyer des Markgrafentheaters zu seinem neuen Werk «Don Quijote», das drei Wochen vor Erscheinen von Carlsen schon auf dem Salon verkauft wird. Der kleine Saal liegt einmal quer durch die Stadt. Es regnet. Ein paar Stühle in den hinteren Reihen bleiben frei. Felix «Flix» Görmann betritt die Bühne ziemlich pünktlich zur angekündigten Zeit. Die Leute hören ihm gebannt zu, wie er die Geschichte zu seinen auf eine Leinwand projizierten Panels erzählt. Manche Passagen kommen komplett ohne Text aus und so steht Flix dann da und weiß nicht so genau, ob ihm die Stille unangenehm sein sollte. Daß Comics als Lesung überhaupt funktionieren, steht dabei vollkommen außer Frage. Und ach kurzer Zeit strömt der Applaus aus dem Zuschauerraum zu Flix auf die Bühne – wegen «Don Quijote» und seinem unaufgeregten Vortrag.
Im Lauf der nächsten Tage nimmt die Zahl der Besucher in der Heinrich-Lades-Halle ab – besonders in dem Bereich der Heinrich-Lades-Halle, in dem sich die Comichändler und Merchandise-Verkäufer befinden –, ist aber immer gut besucht. Auf dem Weg dorthin, an Panini vorbei, fällt der Stand von Cross Cult, der etwas versteckt liegt, kaum auf. Trotzdem finden sich gerade hier zahlreiche Besucher des Salons. Die Bände von «Hellboy» und dem jüngsten Erfolg «The Walking Dead» heben sich auch ziemlich vom Rest der angebotenen Comics ab. Mit viel Liebe zum Detail hat der Verlag die Werke gestaltet. Das ist soweit bekannt. Doch die schweren Hardcover hinterlassen noch einmal einen ganz anderen Eindruck, wenn sie in unmittelbarer Nähe zu den Vertigo-Ausgaben von Panini stehen.
Am Samstag, als um die Halle herum weitere Händler ihre Stücke präsentieren, erreicht die Sammelwut ihren Höhepunkt. In der Einkaufspassage «Neuer Markt» reiht sich Tisch an Tisch, und es ist nur ein vertieftes Murmeln zu hören. Jemand kauft ein Blechauto, in dem Tim und Struppi sitzen. Der Händler sagt etwas von einem Freundschaftspreis. Die beiden Herren kennen sich wohl. Trotzdem hört sich der Preis eher nicht nach Freundschaft an.


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