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COMIC!-JAHRBUCH 2013

Vorwort

Von Burkhard Ihme


Aktzeichnen

Das Aktmodell wird schräg von links gebraten,
und tropisch glüht der Grill, die Wildnis ruft!
Die Atmosphäre ist enorm geladen,
zwar nicht mit Sex, jedoch mit schlechter Luft.

Ja, so ein Akt ist überaus vertrackelt,
das kann man deutlich am Ergebnis seh’n:
Jetzt hat mir das Modell das Bild verwackelt!
Ach, wär es doch schon zwölf – jetzt ist es zehn.

So sitz ich jeden Vormittag im Aktsaal
und ringe mit dem Mief und der Natur.
Und wenn ich dann Frau Dobler wieder nackt mal,
dann frag ich mich, wenn auch im Stillen nur:

Warum ist denn ein Busen nicht quadratisch,
ich tu mich doch mit Rundungen so schwer.
Quadratisch wär der Busen mir sympathisch
und mit vier rechten Winkeln noch viel mehr.

Warum ist denn ein Busen nicht quadratisch,
dann zeichnete ich ihn mit dem Lineal,
denn nur im strengsten Sinne mathematisch
entspricht er meinem Schönheitsideal.

Der Kandidat, der dann zu einem Quiz muß,
der hätte mit der Kunst ein leichtes Spiel:
Dann hieße der Kubismus «Realismus»
und der Naturalismus «Jugendstil».

Warum ist denn ein Busen nicht quadratisch,
so geht mir stets beim Zeichnen durch den Sinn.
Das muß sich ändern, und homöopathisch
kriegt man das eines Tages sicher hin.

Ja, um die hohe Schule zu erlernen
ist Akt nur ein bescheidener Behelf.
Man lernt nun mal die Kunst nicht in Kasernen.
Ach, wär es doch schon zwölf – jetzt ist es elf.

Das Lied habe ich während meines Studiums an der Kunstakademie Stuttgart geschrieben. Die stundenlangen Aktzeichenkurse wären sicher unterhaltsamer und lehrreicher gewesen, wenn dabei von den Professoren ein wenig Handwerk wie Aufbau des Skeletts und der Muskeln vermittelt worden wäre. Denn wenn es nur darum geht, das aufs Papier zu bannen, was man direkt vor Augen hat, braucht man kein Aktmodell, da reicht auch ein Schirmständer. Und nur wenige Comiczeichner können sich Modelle in ihrer täglichen Arbeit leisten.
Auch das Titelbild von Schwarwel zeigt eine gewisse Skepsis den Lehrkräften gegenüber. Dabei gibt er selber Zeichenkurse – nachzulesen in unserem 40-seitigen Themenschwerpunkt Comiczeichnen lernen – Schulen und Kurse – und bietet sie auch als Gegenleistung bei seinem aktuellen Crowdfunding-Projekt «Schweinevogel Total-O-Rama 2» an. Drei der zehn Tageskurse wurden bisher gebucht und der erhoffte Betrag zur Finanzierung der Druckkosten auch bereits erreicht. Crowdfundings, die wie Daniel Lieskes «Wormworld Saga» wirklich durch die Decke schießen, sind selten, Projekte, bei denen nicht einmal zehn Prozent der veranschlagten Summe zusammenkommen, dagegen keine Ausnahme. Comiczeichner verdienen ihr Geld in der Regel auf anderem Wege.
Einer dieser Wege ist die Einräumung von Nutzungsrechten, die auch bei Auftragsproduktionen einen großen Teil der Honorare ausmachen (oder ausmachen sollten). Die gesetzliche Grundlage, auf der diese Nutzungsrechte fußen, das Urheberrechtsgesetz, wurde im vergangenen Sommer auf breiter Front infrage gestellt. Dabei ist weniger die völlige Ahnungslosigkeit der Piratenpartei, die mit dem Thema hausieren ging, erschreckend, als vielmehr der Opportunismus einiger Vertreter der etablierten Parteien, die meinten, ins selbe Horn stoßen zu müssen, aber auch die fehlende Solidarität vieler Kreativer, wie sie in der GEMA-Debatte deutlich wurde, wenn es um Verwertungsstrukturen geht, die der eigenen Kunstsparte nicht zur Verfügung stehen.
Ähnlich heiß, wenn auch in kleinerem Rahmen, wurde die Veröffentlichungspolitik von Mark O. Fischer und seinem Epsilon Verlag (die uns schon gelegentlich eine Anmerkung im Vorwort des COMIC!-Jahrbuchs wert war) diskutiert. Allerdings hat sie auch dazu geführt, daß Epsilon im klassischen Albensegment einer der wenigen Anbieter ist, der Produktionen deutscher Autoren anbietet (neben Dietmar Krüger und Jan Suski, die im Kapitel «Atelier» vorgestellt werden, auch Thilo Krapp, Erik, Martin Frei und Reinhard «FeliX» Horst, siehe Jahrbücher 2010 bis 2012). Wahrscheinlich sind deutsche Zeichner umgänglicher als französische Lizenzgeber.
Ein anderer, schon etwas älterer deutscher Zeichner, nämlich Helmut Nickel, sorgte ebenfalls für Aufregung, aber weniger wegen seiner Ausstellung beim Münchner Comicfestival 2011 («Mit Robinson und Winnetou in die Welt der Abenteuercomics» im Jagd- und Fischerei-Museum), sondern wegen der Limitierung, der, mit Blick auf den überschaubaren Markt, die «Winnetou»-Ausgabe im Verlag Comicplus unterworfen war. Um mehr Leser anzusprechen, wurde in Kooperation mit dem Karl May Verlag eine – an die reguläre Buchausgabe angelehnte – grüne Leinenausgabe gestaltet, die nun überraschenderweise so begehrt war, daß der Band nach wenigen Tagen verlagsvergriffen war, was für viel böses Blut unter den Sammlern und horrende Preise auf Ebay sorgte. Auf der Frankfurter Buchmesse stellte Eckart Sackmann nun eine 416-seitige Volksausgabe vor, die zwei der geplanten drei Bände, allerdings ohne deren redaktionellen Teil, enthält.
Die Limitierung, die die zweite Neuausgabe des legendären Comic-mit-Gimmick-Magazins YPS erfahren hatte, lag 120 Mal höher, nämlich bei 120.000 Exemplaren. Doch schon am zweiten Tag mußte Ehapa das Heft, das über den Kioskvertrieb deutschlandweit verteilt wurde, als nicht mehr lieferbar melden. Ob das neue, auf eine Käufergruppe im Alter zwischen 30 und 40 abzielende Konzept und der geringe Comicanteil auch bei der für März 2013 angekündigten Nummer 1259 für so viel Nachfrage sorgen wird, muß sich noch erweisen. Der erste, mit 150.000 Exemplaren gestartete Relaunch des Heftes vor sieben Jahren endete mit einem Mißerfolg. Böse Zungen sagen dem Verlag nach, die Hefte nur zu veröffentlichen, um die Rechte an der Marke YPS nicht zu verlieren und so keine Konkurrenz auf dem für Kindermagazine immer härter werdenden Kiosk-Markt aufkommen zu lassen (das MICKY MAUS-Magazin, das sich nach dem etappenweisen Absturz von einstmals knapp 1 Million bei etwa 160.000 verkauften Exemplaren einigermaßen stabilisiert hat – zumindest im Vergleich zu Biene Maja: 34.944, 11.354, 21.111 und zuletzt 4.838 –, ködert seine jungen Leser ja vorwiegend mit den Heften beigefügtem Spielzeugramsch).
Ebenfalls zum zweiten Mal wiederbelebt wird das Satiremagazin PARDON, das Ende der siebziger Jahre mit der Comicbeilage SLAPSTICK zahlreiche junge Zeichner förderte (andere urteilen, daß PARDON den Schrott total unbegabter Autoren auf billigem Papier verramschte), und zwar in einer einmaligen Jubiläumsausgabe, die im Dezember erscheinen soll und bei der es im Erfolgsfall aber nicht bleiben muß. YPS schenkt den Herausgebern um Wolfram Weimer sicher einige Wochen lang Hoffnung.
Galt bisher, daß Superheldenverfilmungen die Nachfrage nach den zugrundeliegenden Comics kaum beeinflussen, so ergab eine repräsentative Umfrage unter zwei Comichändlern, daß ihnen das Zusammentreffen von «The Dark Knight Rises» und dem Relaunch der DC-Serien, bei dem 52 Serien wieder mit Nummer 1 starteten, ohne allerdings alle Ereignisse der Vergangenheit zu «löschen», einen erfreulich regen Verkaufssommer bescherte. Dem Handel geht es demnach gut, es gibt ein breites und auch – je nach inhaltlicher Ausrichtung – nachgefragtes Angebot. Die Kehrseite ist, daß nur eine Handvoll Comicshops die benötigte Verkaufsfläche zur Verfügung hat und so nicht nur die meisten Titel nach zwei bis sechs Wochen aus den Neuheitenregalen, sondern viele auch ganz aus den Läden verschwinden. Für die Verlage bedeutet dies, daß die Frist, in denen die Titel ihre Kosten erwirtschaften können, extrem kurz ist und fast nur Serien, bei denen regelmäßig Neuerscheinungen das Interesse frisch entfachen, auf eine stabile Nachfrage der Backlist hoffen können. Daß dies auch international so funktioniert, zeigen die Verkaufs-Charts 2011 aus Japan, in denen die erfolgreichsten Titel nicht nur im Vergleich zu Europa ungeheure Mengen umsetzen, sondern auch einen enorm schnellen Erscheinungsrhythmus haben und damit eine große Materialfülle generieren: Mit großem Abstand vor «Naruto» führt «One Piece» mit 37.996.373 verkauften Exemplaren der 64 Bände, davon 4 Neuerscheinungen, aber selbst Platz 50 der Liste kann noch mit stolzen 960.150 verkauften Exemplaren glänzen (vergleiche dazu die Verkaufszahlen in Frankreich auf Seite 130 in diesem Jahrbuch). Auch WEEKLY SHOUNEN JUMP und WEEKLY SHOUNEN MAGAZINE, die wöchentlichen Magazine der beiden großen Verlage Shueisha und Kodansha, können 2.876.459 und 1.571.063 verkaufte Exemplare vorweisen. Die Arbeitsbedingungen der Schöpfer dieser Serien sind allerdings nicht so paradiesisch wie diese Zahlen. Osamu Tezuka schuf z. B. in 41 Jahren über 150.000 Manga-Seiten, das sind mehr als zehn Seiten am Tag, dazu kamen unzählige Filme. Und am Ende der Schlange findet man Zeichner, die sich ohne Assistenten und bei geringerer Bezahlung für einen ähnlichen Ausstoß abquälen.
Zum Schluß die wichtigsten Jubiläen: Während Commander Cork seine Feierlichkeiten unterbrach, um seinem Zeichner ein Alben-Debüt zu ermöglichen, begeht der von Fans zur Beendigung abgebrochener frankobelgischer Serien gegründete Verlag Finix Comics im April 2013 sein fünfjähriges Bestehen mit einigen Überraschungen im Programm. Nicht verpassen!

Auf den Geschmack gekommen?
Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2013
Links zum Artikel

Wormworld Saga
Mangabestseller Japan 2011
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COMIC!-Jahrbuch 2013
Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2012
240Seiten, davon 34 redaktionelle Farbseiten
EUR 15,25
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