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COMIC!-JAHRBUCH 2012

«Eigentlich bin ich kein Comiczeichner!»
Interview mit Piiit Krisp

Von Burkhard Ihme


COMIC!: Du bist 1981 aus Hamburg zusammen mit Dieter Kalenbach zum Gründungstreffen des ICOM am 21. und 22. März in Erlangen angereist. Wie hast du von dem Treffen erfahren, was hat dich bewogen, die weite Reise auf dich zu nehmen (du warst damals ja vorwiegend im Trickfilmbereich tätig)? Und welche konkreten Erinnerungen hast du an die Veranstaltung?

Piiit Krisp: Ich bin mit Dieter Kalenbach irgendwann zuvor, vielleicht 1980, in Hannover bei Andreas Knigge gewesen. Ich glaube, es war in seiner Wohnung, einer Wohngemeinschaft. Da waren auch andere, sicherlich Eckart Sackmann und Hartmut Becker. Comixene-Mitarbeiter jedenfalls. Knigge war noch ganz jung, gerade Abitur hinter sich.
Kalenbach war da der Star, als ZACK-Zeichner («Turi und Tolk») allen Anwesenden bekannt, war er doch der erste Zeichner und Autor, der von einem Verlag anständig behandelt und bezahlt wurde. Er hatte mich mitgenommen. Ich war auch neugierig, damals kannte man schließlich kaum jemanden, der etwas mit Comics am Hut hatte.
Da war dann die Rede davon, ein Treffen in Erlan- gen zu organisieren oder zu besuchen. Kalenbach war immer informiert, 1981 kamen wir dann gemeinsam nach Erlangen. Da waren fast zwei Dutzend anderer Comictypen aus ganz Deutschland erschienen, gerade so viele, daß ich mir fast alle merken konnte. Sehr viel mehr habe ich seitdem auch nicht kennengelernt.
Sehr schön fand ich damals, daß fast alle Arbeiten zeigten. Ich sehe uns da jedenfalls alle im Kreis sitzen, jeder freut sich über jeden, aber man ahnt auch schon, daß jeder andere Interessenschwerpunkte hat und unterschiedliche Erwartungen in die zukünftige Vereinigung.
Kalenbach und ich waren damals wohl die einzigen, die gutes Geld in dieser Branche verdienten. Auch noch beim Besuch 1984 hatte ich immer ein Problem damit, einerseits klarzumachen, daß man wirklich gut von Comics leben kann, wenn man sich auf entsprechende Projekte einläßt, andererseits wollte ich auch nicht den Großkotz mimen. Ich finde es bis heute befremdlich, wenn Menschen meinen, sie könnten machen, was sie wollen, um sich gleichzeitig zu beklagen, wenn sie damit wirtschaftlich nicht erfolgreich sind. Geld gibt es in der Regel nur für Leistungen, für die andere bereit sind, Geld auszugeben. Und da fand ich die eher gewerkschaftlichen Ansätze in den Diskussionen genauso sinnlos, wie die ewige vermeintliche Mißachtung der künstlerischen Seiten des Comics.
Mit der Comicszene habe ich dann ab 1984 schon nicht mehr viel gemein gehabt. Die letzen Comics habe ich vor 20 Jahren gekauft, seitdem nur sehr vereinzelt noch was. Täglich lese ich ©TOM in der TAZ, der hat sich toll entwickelt. Wie er das ewig aushält und immer wieder Ideen hat, erstaunlich. Und die «Peanuts», die sind in unserem Lokalblatt.

COMIC!: Wie kam deine Verbindung zu Comics zustande? Zuerst als Leser, später als Zeichner?

Piiit Krisp: Ich bin im August 1948 in diese Welt geraten, da war natürlich ausgerechnet «Lurchi» mit dem ersten Nachkriegsheft der Einstieg in die Abteilung «Bunte Bildhefte» (das Wort Comic war uns noch unbekannt). Aber ich hatte auch mindestens ein Kinderbuch, das ich als eine Art Comic erinnere. Leider weiß ich nicht, was es genau war. Dann, als ich etwa sechs Jahre alt war, ging es richtig los. Meine Mutter kam mit einem Micky Maus-Heft an. Disney kannte sie aus Vorkriegszeiten. Sie ist auch gleich mit mir zu Disneys «Schneewittchen» ins Kino gegangen, ich hatte noch jahrelang Alpträume mit dem röhrenden Hirschvater.
Micky Maus wurde also monatlich gekauft, später alle 14 Tage, entsprechend dem damaligen Erscheinungsrhythmus. Meine Mutter hat mir die Hefte zunächst vorgelesen, ich wurde zwar Ostern 1954 mit fünf Jahren eingeschult, aber flüssig selbst lesen konnte ich vermutlich erst ab 1956.
Auch wohl schon 1954 kam mein Urgroßvater, Herman Prätzler (Jahrgang 1876) auf die gute Idee, mir zu Weihnachten etwas mein Leben prägendes zu schenken. Er hatte alle Folgen von «Petzi» aus der Braunschweiger Zeitung ausgeschnitten und mir daraus ein Büchlein gebunden. Danach gehörte «Petzi» zu meinen schönsten Geburtstags- und Weihnachtsgeschenken. Also, Schubel, Barks und Hansen waren die ersten. Und ich ziehe heute noch fast täglich den Hut vor denen.
Später, 1957, kamen dann «Akim» (Heft 88), «Sigurd» und schließlich «Nick der Weltraumfahrer» dazu. Gerade bei letzterem kann ich mich auch noch gut an das erste Heft erinnern. Vom Kiosk bis nach Hause hatte ich es schon mehrfach gelesen. «Akim» war übrigens bei meinem Vater sehr beliebt, später auch «Prinz Eisenherz».
Eigentlich also eine glückliche Comic-Kindheit. Ich hatte eine riesige Sammlung. Micky Maus und Piccolos, die 50er Jahre fast komplett. Auch «Eisenherz», «Robinson» usw., aber selbst damals war es schon nicht leicht, alte Titel aufzutreiben.
Bis 1961, da bin ich in Stade im Athenaeum «sitzengeblieben». Da war das Theater groß. Schuld waren die Comics. Meinten meine Eltern. Und ich wußte, sie hatten recht. Ich wollte mich bessern. Da habe ich die gesamte Sammlung (bis auf «Prinz Eisenherz») vor eine Grundschule gestellt. Ob da wohl im nächsten Jahr einer sitzengeblieben ist?

COMIC!: Welche künstlerische Ausbildung hast du gemacht? Weder Comics noch Trickfilm konnte man in den 60er und 70er Jahren an Hochschulen erlernen.

Piiit Krisp: Ich hatte nach diversen Ortswechseln (mein Vater war Beamter und wurde von einer Stadt in die andere versetzt) mit und ohne Comics nur noch schlechte Schulnoten, landete auf der Mittelschule und war mit 17 Jahren durch. Ich ging zu Karstadt und bekam einen Ausbildungsvertrag als Dekorateur. Mit dem von meinen Eltern unterschriebenen Vertrag in der Hand, traf ich auf dem Weg zu Karstadt meinen Kunstlehrer. Der meinte, ich solle lieber Grafiker werden. Ich hatte zunächst zwar keine Ahnung, was das bedeutet, aber schließlich landete ich 1966 auf der Werkkunstschule in Hamburg.
In den beiden ersten Jahren war es in der Tat nicht denkbar, etwas wie Comic überhaupt nur zu erwähnen. Und ich wollte zumindest in dem Stil illustrieren. Bei einem der ersten Versuche flog ich schon mal bei Wilhelm Busch (nicht der mit Max und Moritz, so alt bin nun auch wieder nicht) aus dem Unterricht. Wolfgang Borcherts «Draußen vor der Tür» mit Micky Mäusen war zuviel. Später habe ich ihn verstanden, er hatte den Krieg erlebt. Andererseits, ich wäre Spiegelman um Jahre voraus gewesen.
Dann kam 1968, alles wurde anders, alles wurde gut, die Werkkunstschule wurde Fachhochschule, ich AStA-Referent für Kultur und ähnliches Gedöns, selbstbewußter und mutiger. Und plötzlich war alles möglich. Auch Trickfilm und Comic. Ich habe da noch Pfähle eingerammt, die erst denen nach mir eine Grundlage geboten haben, so was wirklich zu studieren. Ich selbst habe dort einen Abschluß als Display-Designer gemacht. Einer der ersten fünf in Deutschland, war also auch was neuartiges.
Übrigens studierte da zur gleichen Zeit auch Matthias Schultheiss, der mit seinem Trucker-Comic auch zu den Anfängen der professionellen Comic-Zeichner-Szene in Deutschland gehörte.

COMIC!: Auch wenn mit Trickfilm von jeher leichter Geld zu verdienen war als mit Comics, so war auch dort der Einstieg nie leicht (nachzulesen auch im Interview mit Gerhard Hahn im COMIC!-Jahrbuch 2009). Wie waren deine Anfänge?

Piiit Krisp: Zuerst habe ich als Kind «Daumenkinos» gemacht. Gern in die Ecken der Seiten von dicken Büchern, da waren lange «Filme» möglich. Jahreskalender mit 365 Seiten waren auch prima.
Mein Dozent (später Professor) für Display, Hans Klie, war es wohl, der mir eine 8mm-Kamera mit Einzelbild lieh. Damit konnte ich erste Übungen machen, etwas später unterrichtete der von mir überaus geschätzte Werner Graßmann an der neuen Fachhochschule zum Thema Film. Bei ihm habe ich in einem halben Jahr (ein Tag wöchentlich) alles gelernt, was man braucht, um Filme zu machen. Abschluß waren dann auch drei oder vier Werbefilmpersiflagen, die vom NDR gesendet wurden. Danke Werner!
Nach 18 Monaten als Display-Designer wurde ich dann bei Graßmann «Leiter» (wir waren 2–3 Leute) des Grafikstudios für sein Filmprojekt «Evarella». Halb Trick-, halb Realfilm, war das seinerzeit eine Sensation, und alle Fernsehzeitschriften machten große Artikel dazu, mit Umfragen bei den Zuschauern. Die waren überwiegend überfordert und meckerten. So blieb es bei einem Film, keine Serie, leider. Aber in Trickfilmerkreisen war das Teil sehr anerkannt. Mit Stefan Schabenbeck (damals schon mehrfach preisgekrönter Star der Branche), der die Trickaufnahmen machte, hatte ich mich befreundet und mit ihm danach gelegentlich zusammengearbeitet. Er wurde dann aber Professor für Trickfilm und hatte weniger Zeit.
Inzwischen hatte ich mich 1972 als Grafiker selbständig gemacht. Viele Arbeiten dabei illustrativ gelöst, vorwiegend in einem comic- bzw. cartoonartigen Stil.
Nebenbei kamen weitere Aufträge aus der Branche Film und Fernsehen. Ich habe auch Filmausstattung gemacht, Regie und Drehbuch für kleine Verbraucherfilme (ZDF), alles mögliche, ich war immer sehr vielseitig und bis heute fällt es mir schwer, irgendwas zum Hauptberuf zu machen. Ein Leben lang als Comiczeichner, wohlmöglich noch mit einer einzigen Serie, zu verbringen, wäre für mich undenkbar. Selbst garantierte Millioneneinnahmen hätten mich nicht dazu gebracht. Das ist kein Spruch, das ist nachweisbar. Ich habe mehrfach tolle Optionen auf gesicherte gute Einkünfte ausgeschlagen, um meine Unabhängigkeit zu bewahren.
Übrigens, meine letzten größeren Trickfilmprojekte wurden mir auch langweilig und es war Gerd Hahn, der die Produktion in und mit Polen so etwa 1980 als Investor begleitet hatte. Dabei hat er alles zum Thema Trickfilm gelernt. Ich habe ihm noch eine Liste der notwendigen Geräte genannt, ein paar Tips dazu und schwups, war er nach wenigen Wochen Trickfilmproduzent mit einem Staatsvertrag mit Polen und entwickelte sich schnell zum Obertrickfilmer und Professor.

COMIC!: Hast du selber je nennenswerte Mengen von Zwischenphasen gezeichnet?

Piiit Krisp: Ich hatte letztlich gerade mal über meine Trickfilmzeit nachgedacht und war zu dem Ergebnis gekommen, daß ich wohl für rund 300 Minuten Trickfilm insgesamt verantwortlich bin. Auch hier handelt es sich um ganz verschiedene Produktionen, Serientitel, Spielfilmteile, viele kleine Spots, so in der Art der Mainzelmännchen und was weiß ich noch was. Vieles wurde übrigens auch in Hamburger Trickfilmstudios produziert.
Ich habe immer nur die Drehbücher geschrieben, das allgemeine Design entwickelt, also auch die Figuren, falls es besondere gab, und dann die Hauptphasen als Arbeitsvorlage gezeichnet. Viele Filme sind in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Journalisten entstanden, die Einarbeitung in die Themen und die Bildrecherche sind der interessantere Teil des Jobs. Die gesamte Produktionsplanung, mit mehreren Studios und dann noch mit Polen, damals hinter dem Eisernen Vorhang, zu organisieren, teilweise als Produzent mit dem vollen Risiko, ist auch nicht ohne. Da hätte ich nicht für eine Minute Zeit gehabt, auch noch Phasen zu zeichnen. Also, einige Probeanimationen als Skizze habe ich natürlich gemacht. Aber Cells, die dann unter die Kamera kamen, habe ich nur ein einziges Mal selbst gezeichnet. Eine Katze, die den MGM-Löwen-Titel imitiert. Etwa 30 Cells, sechs Sekunden Spielzeit.
Da fällt mir doch was ein. Für RTL Internet habe ich mal Phasenanimationen gezeichnet. Schröder, Fischer und Stoiber, gehend, laufend, sich setzend, drehend usw. für ein interaktives Spiel zur Bundestagswahl 2002. Ein Auftrag von KingArt aus Bremen, die hatten das für RTL realisiert. Dafür hatte ich mir extra einen Zwei-Meter-Spiegel und meine erste Digitalkamera gekauft, um die typischen Gangarten und Gesten der Protagonisten nachzuempfinden und fotografisch festzuhalten, etwa wie Eadweard Muybridge – siehe auch Wikipedia. Sehr mühsam, dauerte wochenlang und mehr als 4,00 € pro Stunde werde ich damit nicht verdient haben.

COMIC!: In der Comicszene kennt man dich in erster Linie wegen deiner «Lurchi»-Hefte. Wie kam die Kornwestheimer Firma Salamander auf dich?

Piiit Krisp: Da in den Siebzigern also ein guter Teil meiner Arbeit im Trickfilm mit comicartigem Stil lag, kannte man mich. Eines Tages (1976?) tauchte Olaf Sveistrup in einem Studio auf, mit dem ich zusammenarbeitete, und fragte nach, ob die jemanden wüßten, der den «Lurchi» als Comic zeichnen könnte. Die haben ihn dann an mich verwiesen (oder war ich sogar an dem Tag in dem Studio?).
Er hatte damals (als Filmproduzent?) was mit Salamander zu tun. Die suchten nach einem neuen Mann nach Schubel und hatten Brigitte Smith, den unbekannten Schöpfer von Heft 56 und wohl auch Enrique Puelma schon hinter sich. Wir sollten «Lurchi» nun als Comic entwickeln. Vielleicht war es auch nur eine Idee von Olaf. Ich habe jedenfalls mit ihm ein Konzept erarbeitet und eine entsprechende Probe-Seite angefertigt. Wenn ich es richtig erinnere, hatte dann der Vorstand Bedenken, und Salamander gab den Auftrag an Friedrich Nickel (wie ich erst im letzten Jahr durch seinen Sohn, den späteren «Lurchi»-Zeichner, erfahren habe).
1979 kam Salamander erneut auf uns zu, mit der Frage, ob wir auch Hefte kreieren könnten, die keine Comics sind. Hatte uns vorher keiner nach gefragt. Das alte Lied, du kannst einen ganzen Zoo perfekt gezeichnet haben, trotzdem kommt garantiert die Frage: «Können Sie auch ’ne Kuh?» Na ja, der Rest ist bekannt, wir stiegen da ein.

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November 2010
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