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COMIC!-JAHRBUCH 2012

Nischenprodukt in der Nische
Das Fanzine PLOP hat 30 Jahre überlebt

Von Andreas Alt


Drucken war 1981 ein echtes Problem. Der Verfasser hatte da noch drei Jahre bis zum Abitur vor sich. Er hatte bereits eigene Heftchen nach dem Vorbild seiner Lieblingscomics produziert – mit Auflage 1. Er wirkte auch an der Schülerzeitung mit, von der immerhin 500 Exemplare verkauft wurden, aber viel mitzureden hatte er da nicht. Die zwei Jahre ältere Heike Anacker war da schon einen entscheidenden Schritt weiter. Zwar half ihr Vater, aber sie machte ihr eigenes Magazin und hatte auch Vervielfältigung und Versand im Griff: PLOP besteht noch immer. Schon lange gilt es als dienstältestes Comic-Fanzine im deutschsprachigen Raum.
Daß junge Comiczeichner in PLOP relativ problemlos erste Arbeiten veröffentlichen können, ist auch in Zeiten, in denen jeder seinen Comic ins Internet stellt, eines der Erfolgsgeheimnisse. Wenn man von «Erfolg» reden möchte. Denn PLOP hat niemals auch nur die Auflage der oben erwähnten Schülerzeitung erreicht. Doch ein auf Papier gedruckter Comic ist, zumindest für Newcomer, noch immer attraktiver als eine Webveröffentlichung. Und ein 30 Jahre lang bestehendes und mehr oder weniger regelmäßig erscheinendes Fanzine ist in der Amateur-Comicszene eine Ausnahmeerscheinung. Publikationen, die kurz nach PLOP entstanden und nicht offiziell eingestellt wurden (zum Beispiel ZEBRA, SPRÜHENDE PHANTASIE oder PANEL), sind in der Regel schon lange nicht mehr erschienen. Nur Gerd Bonaus cOMIc hat PLOP inzwischen überholt, was die Anzahl der regulären Ausgaben betrifft.
Frauen in der Szene waren damals sehr rar. PLOP unterschied sich auch deshalb von den meisten Fanzines, weil das Konzept von einer Herausgeberin stammte. Heike Anacker hatte sich nicht zu den Comicfans verirrt, sondern war von Kind auf begeisterte Leserin von «Silberpfeil», dann von ZACK und MAD. Als verstärkt «Comics für Erwachsene» auf den Markt kamen, nahm sie das frühzeitig wahr und wollte mit ihrem Fanzine daran mitwirken, ihnen als ernsthafte Kunstform Anerkennung zu verschaffen. Was PLOP aber vor allem auszeichnete, war Anackers Bemühen, möglichst viele Leute zum Mitmachen zu bewegen. Dabei nahm sie in Kauf, daß nicht nur Arbeiten zusammenkamen, die ihren Qualitätsansprüchen und ihrem Geschmack entsprachen. Sie versandte die erste Ausgabe an Adressen, die sie in ZACK gefunden hatte, und verteilte weitere Hefte gratis auf dem Kölner Comictauschtag. «Ihr seid also herzlichst dazu aufgefordert», schrieb sie im Vorwort, «diese Amateur-Zeitschrift mit euren Ideen zu bereichern. Vielleicht – und das fänd’ ich eine tolle Sache – kann so durch PLOP so etwas wie ein Comic-Fans-Arbeitskreis entstehen.»
Viele andere Fanzines sind deshalb gescheitert, weil ihre Macher zu hohe Ansprüche an sich und andere hatten. Da hat der Herausgeber in seinem Magazin die seiner Ansicht nach besten Künstler versammelt, es müßte sich gut verkaufen. Wenn sich die unverkauften Hefte dann im Keller zu stapeln beginnen, sind Frustrationstoleranz und Ehrgeiz bald aufgebraucht. Kaum ein Fanzine bringt es, nicht zuletzt aus finanziellen Gründen, auf mehr als zwei oder drei Ausgaben. Durch PLOP wurde nie viel Geld verbrannt, aber ein Minusgeschäft ist es schon. Obwohl ein so kleines Magazin – abgesehen von karitativen Anzeigenschaltungen – allein auf die Verkaufserlöse angewiesen ist, soll der Coverpreis (aktuell 3,00€) möglichst wenige Interessenten abschrecken. Zudem sind in der Szene kostenlose Belegexemplare üblich. Der Postversand ist immer teurer geworden. Angesichts dessen ist es fast unmöglich, die Druck- und Versandkosten wieder hereinzuholen, auch wenn für einen Abdruck nie ein Honorar gezahlt wurde. PLOP wurde jedoch, insofern ein Produkt der in den 70er Jahren entstandenen Underground- und Independentkultur, als nichtkommerzielles Projekt betrachtet. Man freute sich über möglichst viele Leser, aber wirtschaftlicher Erfolg war kein Kriterium. PLOP hat übrigens auch keinen Sammlerwert.
Heike Anacker, in der persönlichen Begegnung eher zurückhaltend und schüchtern, mimte in ihrem Fanzine mit entwaffnendem Witz und sympathischer Schnoddrigkeit die Mutter der Kompanie und erreichte damit, daß viele Zeichner der Amateur-Comicszene lange treu blieben, auch wenn sie längst professionelle Grafiker oder Comiczeichner geworden waren. Ausdruck für den Zusammenhalt in der PLOP-Gemeinde sind die oft ausufernden Leserbriefseiten. Die Leser, natürlich oft selbst in PLOP vertretene Zeichner, sahen sich herausgefordert, die soeben erschienene Ausgabe zu bewerten und zu kommentieren – fühlten sie sich doch durch die Editorials der Herausgeberin oder ihren Anmerkungen zu früheren Leserbriefen direkt angesprochen. Für neue Mitarbeiter ist das zugleich eine einmalige Chance zu erfahren, wie ihr Comic beim Publikum angekommen ist. PLOP dient damit in zweifacher Hinsicht als Sprungbrett für den Nachwuchs: Die Schwelle zur Veröffentlichung ist niedrig, und innerhalb der PLOP-community erhalten sie ein Feedback, das viele zum Weitermachen bewegt und ihnen zeigt, wie sie sich verbessern können.
PLOP geht normalerweise dem sehr überschaubaren Abonnentenkreis per Post zu und ist nur selten in Comicläden zu finden. Seinem ausdauernden Erscheinen (bisher 85 Ausgaben plus zahlreiche Sonderhefte mit geschätzter Gesamtauflage von mehr als 10.000 Exemplaren) ist es zu verdanken, daß man auf Messen, beim Comic Salon oder ähnlichen Veranstaltungen regelmäßig Leuten begegnet, die PLOP kennen und irgendwann einmal gelesen haben. In den 90er Jahren wurden PLOP-Partys organisiert, bei denen sich Mitarbeiter, die teilweise schon lange in Korrespondenz standen, persönlich kennenlernen konnten. Kurz zuvor hatte Bernhard Bollen bereits eine Rundreise zu mehreren PLOP-Zeichnern unternommen und auf Video festgehalten. Allerdings gibt es keine feste Clique: Um sie zu etablieren, wären erheblich größere Anstrengungen nötig gewesen, denn mit jedem Heft scheiden Künstler aus und kommen neue Leute nach.
Frauen blieben bis heute in PLOP in der Minderheit, obwohl Anacker sogar einmal ein «Women only PLOP» organisierte, aber es gibt sie: Heidi Koch, Ilse Kilic, Sonja Roll, Gesine Rist, Irina Zinner und andere. Das Fanzine schuf sogar Verbindungen ins Ausland, nach Großbritannien, Frankreich, Kroatien, USA und sogar Brasilien. Zum 25-jährigen Bestehen des Fanzines 2006 hat sich Gerd Bonau die Mühe gemacht, alle Zeichner und Autoren aufzulisten, die bis dahin in PLOP vertreten waren. Er kam auf 285 Namen, darunter Hartmut Becker, Joachim Kaps, Mille Möller, Martin Jurgeit, Christian Heesch, Stefan Dinter, Michael Vogt, Martin Frei, Burkhard Ihme, Hartmut Klotzbücher, Kim Schmidt, Dirk Tonn und Walter Moers. Herod, selbst PLOP-Mitarbeiter, sieht das allerdings ganz anders: «Mich wundert immer, wie viele Profis gerade nie in der Fanszene waren...»
PLOP, das in den vergangenen Jahren in Turbulenzen und vielleicht kurz vor dem Eingehen war, hat zweifellos deshalb drei Jahrzehnte überdauert, weil es für diese Publikation Bedarf gab und immer noch gibt. Heike Anacker hat sich von ihrem Projekt allerdings schon 1987 zurückgezogen, weil sie meinte, es nicht mehr weiterentwickeln zu können, und sich eher eingeengt fühlte. «Ein paar haben mich gebeten, doch weiterzumachen. Einer hat mir sogar Geld angeboten, falls es finanzielle Gründe hätte», erinnerte sie sich. Anfangs gestaltete sich das Überleben des Fanzines trotzdem schwierig. Nach etwa einem Jahr Pause erklärte sich Andreas Anger, damals selbst Herausgeber des anspruchsvollen Fanzines LIPPE, bereit, übergangsweise das Steuer zu übernehmen. Ihm folgte Bernhard Bollen, der PLOP von 1989 bis 1993 herausgab und nach zwei Nachfolgern in diesem Jahr auf den Posten zurückkehrte.
Andreas Anger schrieb 1988: «Mein Aufruf: PLOP darf nicht sterben!» Jedes Mal, wenn ein Herausgeber aufgab, fand sich jemand, der den Staffelstab weitertrug. Peter Schaaff drückte seine Wertschätzung in der Sonderausgabe zum 30jährigen Bestehen von PLOP so aus: «Trotz allem späteren Geunke über ein zu unregelmäßiges Erscheinen, mangelnde Qualität der Beiträge, geringe Auflage und die Entwicklung zum Nischenprodukt in der Nische war PLOP 30 Jahre lang immer da, für (fast) alles offen und für mich der beste erste Schritt in die Welt des Comics-Zeichnen.»

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2010
248 Seiten S/W und 4c
EUR 15,25
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