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COMIC!-JAHRBUCH 2012

Der Perlentaucher der DDR-Comics
Interview mit Guido Weißhahn (Holzhof)

Von Klaus Schikowski


Guido Weißhahn, Jahrgang 1970, wohnhaft in Dresden, Psychotherapeut, Comic-Forscher, Sammler, Verleger. Mit seinem Holzhof Verlag und einer Webseite, die die DDR-Comicgeschichte aufarbeitet, gehört Guido Weißhahn zu den wichtigsten Kennern ostdeutscher Comics. Er selbst bezeichnet sich als jemand, «der nach lange gesunkenen Comics taucht, hin und wieder eine Perle zu Tage fördert, und diese dann nachdruckt oder online präsentiert, um sie anderen zugänglich zu machen». Im Interview spricht er über seinen Verlag, über vergessene Comic-Künstler der DDR und über die Unterschiede von west- und ostdeutschen Comics.

COMIC!: Zwar steht in den Heften auch immer etwas zum Verlag, aber könntest du bitte Holzhof als Verlagsleiter einmal vorstellen?

Guido Weißhahn: Aber gern. Beim Holzhof Verlag handelt es sich um ein Ein-Mann-Unternehmen, das aus mir persönlich besteht. Die Verlags- ist auch meine private Adresse, der Verlag residiert in meinem Hobbykeller, die Publikationen entstehen am Heimcomputer. Ein guter Freund macht das Layout und die Druckvorlagen, und meine Frau betreut oftmals bei Veranstaltungen den Verlagsstand mit. Es gibt den Verlag als angemeldeten Gewerbebetrieb seit Mitte 2005, das erste Heft der «Klassiker der DDR-Bildgeschichte», «Flitzi» von Jürgen Günther, 16 Seiten DIN A4 für 3,50 €, erschien im November 2005 anläßlich des Neustarts der legendären MOSAIK-Börse im Kulturhaus zu Wolfen.

COMIC!: Du betreibst seit 2000 die Website ddr-co-mics.de. Das hat sicherlich auch zur Gründung des Verlags geführt. Wie kam es zu der Idee, die Comicgeschichte in der DDR aufzuarbeiten?

Guido Weißhahn: Ich bin 1970 in der DDR geboren und entwickelte frühzeitig eine Affinität zu Comics, sicher befördert durch meinen Vater, der immer mal ein MOSAIK mitbrachte, wenn er zufällig an eins gelangte. Bevor ich lesen lernte, waren die Digedags zu Ende, und ich wurde mit den frühen Jahren der Abrafaxe sozialisiert. Allerdings fiel mir auch jedes andere Schnipselchen Bildgeschichte ins Auge, wenn mal eine Illustrierte zu Hause lag oder ich Kinderzeitschriften bekam. Mit fortschreitender Schulzeit bekam ich dann auch Westcomics zu Gesicht, vor allem Micky Maus, Donald Duck, ZACK, Fix und Foxi und PRIMO. Und ich bedauerte sehr, daß mir diese Welt im Osten weitgehend verschlossen blieb. Man glaubt es kaum, aber die DDR war in dieser Hinsicht rückständiger als Polen, die Tschechoslowakei oder Ungarn. Dort erschienen Disney, Pif und «Asterix» zu Ostzeiten in den Landessprachen; daran war hier nicht zu denken.
Zehn Jahre nach der Wende gelangte ich zufällig an zwei umfangreiche Zeitschriftensammlungen mit vielen Folgen Comics drin, ganze Serien, die ich als Kind gern komplett gehabt hätte und die ich nun endlich lesen und sammeln konnte. Hinzu kam das Buch «Schuldig ist schließlich jeder...», ein Katalog zu einer DDR-Comic-Geschichte-Ausstellung von Gerd Lettkemann und Michael Scholz von 1994, durch den ich überhaupt erst erfuhr, wie viel mir noch unbekannte Bildgeschichten es in der DDR gab und wo man sie finden konnte. Zur langfristigen Konservierung meiner Sammlungsbestände begann ich mit deren Digitalisierung, und während der Scanner glühte, entstand die Idee, diese Bestände der Öffentlichkeit verfügbar zu machen. Damals noch völlig naiv ohne Rücksicht auf Urheberrechte und sowas, reservierte ich den Domain-Namen und stellte im Herbst 2000 erste Inhalte online. Seitdem wächst die Seite Monat für Monat, und neben der Funktion als illustrierte Bibliographie und Anlaufstelle für Nostalgiker ist sie die wichtigste Plattform für meine Hobby-Forschungen zur DDR-Comicgeschichte, die, das darf ich mit einigem Stolz sagen, inzwischen schon an einigen Stellen über das Buch von Lettkemann und Scholz hinausgehen – ohne die es die Seite und den Verlag aber sicher nicht gäbe.
Die E-Mail-Anfragen nach gedruckten Fassungen beliebter DDR-Zeitschriftencomics häuften sich, und da ich auch selbst gern einige der Serien in kompletten Papierversionen gesehen hätte, reifte 2005 der Entschluß, sie in einem bezahlbaren und praktikablen Format wieder zu veröffentlichen. Und dazu mußte eben der Verlag her.

COMIC!: Herzstück des Holzhof Verlags sind sicherlich die «Klassiker der DDR-Bildgeschichte». Wie kam es zu der Reihe und wie schwierig ist es, Rechte bzw. Vorlagen dafür zu bekommen?

Guido Weißhahn: Nach der Geburt der Idee fragte ich bei Jürgen Günther an, dem in Dresden ansässigen Schöpfer des bekannten DDR-Comics «Otto und Alwin» und der für das erste Heft avisierten Serie «Flitzi» von 1978. Er gab mir die Genehmigung, und vom ersten Heft schickte ich viele Belegexemplare an andere Künstler oder Rechtsnachfolger, mit der Bitte um Zusammenarbeit für ein Erscheinen der von mir präferierten Serien innerhalb der Reihe. Ich schätze, daß ich bereits etwas Fertiges und qualitativ Ansprechendes vorlegen konnte und daß es schmeichelt, unter «Klassikern» zu erscheinen, öffnete mir mit einer Ausnahme früher oder später alle gewünschten Türen.
Die einmaligen Abdruckrechte lasse ich mir schriftlich von den Rechteinhabern zusichern, und wenn sie noch vorhanden sind, bekomme ich meist die Originalzeichnungen zum Digitalisieren zur Verfügung gestellt, deren Qualität in der Regel deutlich besser ist als die der DDR-Zeitschriftenabdrucke. Als Gegenleistung gibt es meist entweder ein geringes Honorar und/oder Belegexemplare; manchmal geht es auch gänzlich ohne Bedingungen, was meinen Haushalt entlastet, denn die Reihe ist ein Zuschußgeschäft.

COMIC!: Ich möchte an dieser Stelle kurz auf deine Arbeit als Hobby-Forscher eingehen, wobei ich glaube, daß du deine Wichtigkeit stark unterschätzt. Die DDR-Comicgeschichte ist tatsächlich keine, die man mit der westdeutschen vergleichen kann. In der BRD gab es bereits seit den frühen 1970er Jahren Vereinigungen von Sammlern. Gab es etwas ähnliches auch in der DDR?

Guido Weißhahn: Da das MOSAIK die Szene als Comiczeitschrift dominierte, stand es im Mittelpunkt des Interesses der meisten Comicfans. Einige von ihnen publizierten in Kleinstauflage handkopierte Sammlerlisten, viel mehr gab es kaum. 1988, also noch vor der Wende, gründete sich mit dem MOSAIKER in Apolda der erste offizielle MOSAIK-Fanclub; inzwischen gibt es ein halbes Dutzend aktive Clubs und Fanzines.
Eine interessante Kette von Aktivitäten darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, die mir im Zusammenhang mit deiner Frage erst so richtig aufging. Der Berliner Philologe und Museumspädagoge Paul Thiel hatte im März 1977 gemeinsam mit ATZE-Chefredakteur Wolfgang Altenburger unter dem Dach der URANIA, einer «Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse», eine Arbeitsgemeinschaft «Freunde der Bildgeschichte» gegründet und überregional zur Teilnahme aufgerufen. Man traf sich einmal im Monat zum gezielten Austausch über Comics, mit vorher festgelegten Themen wie «Der Autor Goscinny» oder «Walt-Disney-Comics» usw. Das war umso bemerkenswerter, da diese Comics in der DDR nicht erhältlich waren (außer zur Einsicht in den Redaktionen der Kinderzeitschriften für deren Mitarbeiter) und ihr Besitz sowie Weitergabe im Prinzip gesetzlich verboten war. Ob es nun rein persönliches oder wissenschaftliches Interesse war, daß sich Thiel um eine Öffnung gegenüber westlichem Material bemühte, oder ob der Staat auf diese Weise versuchte, Informationen über Verbreitung und Quellen westlicher Comics in der DDR zu erlangen, ist unklar – ich versuche seit mehreren Jahren vergeblich, Paul Thiel für ein Interview zu gewinnen.
1978 schrieb Thiel dann in der systemnahen Pionier-Wochenzeitung TROMMEL zehn Folgen lang über Comics, unter anderem über «Asterix» und «Superman» – eine kleine Sensation, aus den eben genannten Gründen. Im März 1979 verfaßte er für den Ausstellungskatalog «Karigrafie ’79» einen kurzen Übersichts-Beitrag über DDR-Comics, der im selben Monat in übersetzter Fassung im amerikanischen Comics Journal erschien. Dann verliert sich seine Spur wieder. Zu den Teilnehmern der Arbeitsgemeinschaft gehörte u. a. auch der spätere DDR-Comic-Experte Michael Scholz, insofern ist auch dessen wichtiges Sekundärwerk über die DDR-Comics eine Folge dieser Aktion.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
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