Lektüre
 Independent Comic Shop   ICOM-Publikationen   Kostenlos   Fachmagazine   Sekundärliteratur 
Das COMIC!-Jahrbuch | Das ICOM!-Handbuch | Der ICOM!-Ratgeber
FILMRISS | Das verbandseigene Fachmagazin
COMIC!-JAHRBUCH 2011

Von Menschen und Mäusen, Affen und Pferden
Das 17. internationale Trickfilmfestival Stuttgart

Von Burkhard Ihme

Als 1982 die Internationalen Stuttgarter Trickfilmtage im Kinosaal des Planetariums Premiere feierten, hatten dabei Stuttgarts bekannteste Zeichentrickschöpfungen nichts verloren. Damals bestimmte der künstlerische Trickfilm nicht nur die Leinwand (der nicht-gegenständliche Film «Unendlichkeit Nr. 2» von Andreas Strach dehnte sich über 61 Minuten), sondern auch das Denken der Veranstalter. Als im Mai 2010 die aus dem Werbefernsehen bekannten Figuren «Äffle und Pferdle» ihren 50. Geburtstag feierten, geschah dies im Rahmen des 17. Internationalen Trickfilm-Festival Stuttgart mit großem Presserummel und ebenso scheußlichen wie monströsen Plüschfiguren. Ein Best-of der über 1900 Folgen wurde feierlich erstmals auf großer Leinwand im Kinosaal des Metropol-Kinos gezeigt. 1960 war die zunächst stumme Reihe (anfangs war auch nur das Stuttgarter Wappentier dabei) als Trenner der Spots im Werbefernsehen des Süddeutschen Rundfunks entwickelt worden. Richtig populär wurden die Figuren, als sie nicht nur den aufrechten Gang, sondern 1974 auch die schwäbische Sprache lernten, gesprochen von ihrem Schöpfer Armin Lang (1928–1996).
Doch die Feier der mittlerweile für die Sprudelmarke SilberBrunnen werbenden Jubilare im Rahmen des Festivalprogramms zeigt nicht nur den Paradigmenwechsel, der in den 28 Jahren der mittlerweile weltweit größten Trickfilmveranstaltung stattgefunden hat, sie ist auch eine Rückkehr zu den Anfängen des Festivals. 1982 wurde der von Armin Lang produzierte Legetrickfilm «Erlebnis mit einem Bild» im selben Programm wie «Unendlichkeit Nr. 2» gezeigt. Und die gemeinsame Geschichte reicht noch weiter zurück. Armin Langs Studio steht nur wenige hundert Meter von der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Stuttgart entfernt. Als der Festivalgründer Prof. Albrecht Ade 1976 dort seine Trickfilmklasse initiierte, waren technische Einrichtungen wie die 16mm-Krass-Kamera und der 6-Teller-Schneidetisch noch nicht vorhanden. Bis 1979, als das bescheidene Equipment nach und nach beschafft werden konnte, drehten die Studenten ihre Kurzfilme in den produktionsfreien Zeiten bei Armin Lang. Mittlerweile hat sich die Ausbildung der Trickfilmer auf die 1991 von Ade gegründete Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg verlagert. Und auch «Äffle und Pferdle» erfreuen oder verschrecken – je nachdem, wie man das sieht – im neuen 3D-Look.
Langs Pferdle trabte am 2. Januar 1960 erstmals über die südwestdeutschen Bildschirme. Wenige Wochen älter ist das Sandmännchen, das am 22. November (DFF) bzw. am 1. Dezember 1959 (SFB) erstmals die Kinder in Ost und West erfreute. Und auch das (Ost-)Sandmännchen begann stumm und schwarzweiß, denn erst im abendfüllenden Kinderfilm «Das Sandmännchen – Abenteuer im Traumland» von Produzent Jan Bonath (scopas medien AG), der nun am 8. Mai in Stuttgart im Rahmen des Langfilm-Wettbewerbs AniMovie seine Welturaufführung beging, begann das Ostsandmännchen, das seinem westdeutschen Konkurrenten 1991 den Rang ablief, zu sprechen, zudem mit der sonoren Stimme von Volker Lechtenbrink (dessen allererster Film, «Die Brücke», genau einen Monat vor dem Start des DFF-Sandmännchens Premiere feierte).
Die Geschichte des Films wurde in der für das Sandmännchen typischen Stop-Motion-Technik umgesetzt, die in eine reale Rahmenhandlung eingebettet ist. Bis zu 18 Animatoren arbeiteten über ein halbes Jahr lang in 22 verschiedenen Sets. Regie führten Sinem Sakaoglu und Jesper Møller. Das Drehbuch stammt von Katharina Reschke («Hanni und Nanni») und Jan Strathmann («Löwenzahn»).
Preisträger des Wettbewerbs AniMovie wurde «Ponyo – Das große Abenteuer am Meer» (Ghibli Studio), Hayao Miyazakis Variation von «Die kleine Meerjungfrau» von Hans Christian Andersen. Eine lobende Erwähnung erhielt dessen fast-Namensvetter Wes Anderson (USA) für «Fantastic Mr. Fox» nach dem Buch von Roald Dahl. In seinem Film über einen gewieften Fuchs im Kampf mit drei böse Bauern läßt der Regisseur eine wahrhaft illustre Riege von Sprechern antreten: George Clooney, Meryl Streep, Bill Murray, Michael Gambon, Willem Dafoe und Owen Wilson leihen den Trickfilmfiguren ihre Stimmen.
Wahrscheinlich schafften es nur wenige Besucher, alle acht nominierten Filme dieses Wettbewerbs anzuschauen, zumal die vier nicht für Kinder ausgewiesenen Bewerber auch dieses Jahr parallel zum internationalen Wettbewerbsprogramm gezeigt wurden (ebenso wie die außerhalb der AniMovie präsentierten Langfilme «Goodby Mr. Christie» des mehrmaligen ITFS-Preisträgers Phil Mulloy und «Toy Story» und «Toy Story 2», die den Stuttgarter Besuchern die einmalige Möglichkeit boten, diese Pixar-Klassiker in Disney-Digital-3D™ zu erleben).
Leichter fiel da, bei ausgeprägter Standfestigkeit oder Verzicht auf einen bürojobtauglichen Tagesrhythmus, der Besuch aller vier Programme im Wettbewerb Young Animation, in dem 59 Arbeiten von Studenten aus aller Welt zu sehen waren (auch 2010 hatten wieder zahlreiche Trickfilmer die zum Teil sehr weite Anreise nicht gescheut). Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren stellte die Moderatorin dieses Mal die anwesenden Filmemacher jeweils im Anschluß an ihre Filme vor (früher geschah das im Block zu Beginn der Veranstaltung). Das hatte den Nachteil, daß viele Besucher, die mit Rücksicht auf den örtlichen Nahverkehr oder einsetzende Schlafattacken den Saal frühzeitig verließen, die Präsentation verpaßten (die Programme liefen jeweils von 23 bis 1 Uhr), andererseits den Vorteil, daß die Filmemacher und ihre Filme in einen direkten Zusammenhang gebracht wurden, was den Zugang zu Künstler und Werk doch sehr erleichterte.

Auf den Geschmack gekommen?
Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2011
Links zum Artikel

Internationales Stuttgarter Trickfilm-Festival: www.itfs.de


Filme des Wettbewerbs
A family Portrait
A Trip to the Seaside
Sam's Hot Dogs
Übersicht der Linklisten
  Alle Jahrbücher
Comic Jahrbuch 2011
Comic Jahrbuch 2010
Comic Jahrbuch 2009
Comic Jahrbuch 2008
Comic Jahrbuch 2007
Comic Jahrbuch 2006
Comic Jahrbuch 2005
Comic Jahrbuch 2004
Comic Jahrbuch 2003
Comic Jahrbuch 2001
Comic Jahrbuch 2000
COMIC!-Jahrbuch 2011
Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2010
248 Seiten S/W und 4c
EUR 15,25
BESTELLEN