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COMIC!-JAHRBUCH 2011

Comics in der pädagogischen Praxis
Überlegungen und Vorschläge

Von Achim Schnurrer

Es ist kein Geheimnis, dennoch dürften nur wenige wissen, daß ich Sozialpädagoge bin. Graduiert, wie man das früher nannte. Ein Abschluß, der später ohne mein Zutun in ein Diplom umgewandelt wurde. Meine auf dieses Studium (plus einige andere Studiengänge) folgende berufliche Karriere nahm jedoch eine andere Richtung, die mich schnell von professionell betriebener pädagogischer Praxis wegführte.
Bereits vor und auch während des Studiums hatte ich mich intensiv mit Comics beschäftigt. Ich organisierte kleinere Comic-Ausstellungen und gab das Fachmagazin Comixene mitheraus. Als ich dann als frischgebackener Sozialpädagoge einen Job suchte, in den ich auch nur ansatzweise meine Leidenschaft für Comics hätte einbinden können – etwa in der Jugend- und Erwachsenenbildung – war der Arbeitsmarkt in diesem Bereich wie leergefegt.
Da eröffnete sich die Möglichkeit, für den Bastei-Verlag als Autor für diverse Comic-Serien tätig zu werden, gerade rechtzeitig. Mit diesem Schritt vom Fan- ins Profilager waren dann endgültig die Weichen gestellt. Pädagogische Arbeit im engeren Sinne war ab diesem Zeitpunkt keine Option mehr für mich.
Der Grund, warum ich diese ollen Kamellen hier aufwärme, besteht darin, daß sich auch meine Abschlußarbeit an der FH mit Comics beschäftigte. Das allein wäre zwar noch nicht hinreichend genug, um ein durchaus vertracktes Elaborat aus dem Jahre 1977 hervorzukramen und nach so langer Zeit darauf zu hoffen, daß sich noch irgendeine barmherzige Seele dafür interessiert. Selbst die Tatsache, daß die Arbeit seinerzeit mit «sehr gut» bewertet wurde und in Auszügen ein Jahr später veröffentlicht wurde, bietet wenig Anlaß, sich erneut damit zu beschäftigen.1
Allerdings fiel mir das Beleg-Exemplar dieses längst vergriffenen Büchleins just in dem Moment wieder in die Hand, als ich erfuhr, daß sich ein Themenkomplex des Jahrbuchs sowohl mit Kindercomics als auch mit Leseförderung beschäftigen soll.


Die Ära der Schmutz- und Schundkampagnen

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre gab es nur wenig Material, das vernünftige Anregungen enthielt, wie Comics in die pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen einbezogen werden könnten. Lehrer und Erzieher, die Comics thematisieren und etwas mit ihnen machen wollten, fanden seinerzeit noch häufig jene «Anregungen» und «Handreichungen», denen die Schmutz- und Schundkampagnen der 1950er Jahre ihren Stempel aufgedrückt hatten. Man darf nicht vergessen, daß es noch in den 70er und 80er Jahren vereinzelt öffentliche Comic-Verbrennungen gab. Aktionen wie «Tausche Schundliteratur gegen ein gutes Buch», meist veranstaltet von bildungsbeflissenen Gemeinde- oder Stadtbüchereien, waren in dieser Zeit gang und gäbe.
Was den aufgeschlossenen Umgang mit Comics anbelangt, gab es nicht mehr als eine Handvoll Vorschläge mit recht unterschiedlichen Ansätzen für den schulischen Bereich, während für die außerschulische Arbeit, etwa in Jugendgruppen, Freizeiten und Seminaren, so gut wie gar nichts existierte. Von daher hat die Publikation, in die der praxisorientierte Teil meiner Abschlußarbeit einfloß, seinerzeit eine Lücke geschlossen.
Auch aus heutiger Sicht finde ich meine damals entwickelten Ansätze nicht schlecht, aber es wäre unsinnig, sie nach 33 Jahren eins zu eins in den gegenwärtigen pädagogischen Alltag übertragen zu wollen. Dennoch könnte man ein paar der damals unterbreiteten Vorschläge aufgreifen und entsprechend modifiziert in aktuelle Projekte mit Kindern und Jugendlichen einfließen lassen. Genau das möchte ich hier versuchen.


Medienkompetenz

Es geht um ein Anliegen, das damals wie heute am besten mit dem Begriff «Medienkompetenz» beschrieben wird. Ohne daß dabei die Faszination, die Comics ausüben können, gemindert wird und ohne den Spaß an Comics zu verderben, soll eine souveräne Haltung gegenüber diesem wie letztlich auch anderen Medien eingeübt werden. Erst der überlegte und überlegene Umgang mit Comics macht ein Kind oder einen Jugendlichen unempfänglicher für möglicherweise vorhandene manipulatorische Absichten. Niemand wird ernsthaft bestreiten, daß Kinder und Jugendliche in ihren Medien solchen Einflüssen in der Vergangenheit ausgesetzt waren und auch künftig sein werden. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde in einer Ausgabe des COMIC!-Jahrbuchs bereits ausführlich auf Comics aus der rechten, respektive der Neo-Nazi-Szene eingegangen.2
Zu den effektivsten Ansätzen, die den Erwerb entsprechender Medienkompetenz fördern, zählt seit eh und je «Comics selber machen». Idealerweise werden solche Angebote mit einer Reihe weiterer Maßnahmen verzahnt, die das Thema von verschiedenen Seiten her beleuchten.
Meine Vorschläge basieren auf einigen Projekten, die ich in einer Kölner Gesamtschule während der sogenannten Freizeiten durchführte. Flankierend dazu wurden Comics auch im regulären Unterricht thematisiert.
Wenn Kinder und Jugendliche eigene Comics kreieren, eignen sie sich spielerisch und quasi nebenbei eine Reihe von Kenntnissen über die Funktion comic-spezifischer Erzählweisen an. Sie entwickeln ein gutes Gespür für die Mittel und Methoden, mit denen professionelle Comic-Zeichner und Autoren ihre Botschaften umsetzen. Und sie lernen, wie sich ein Medium beherrschen läßt, bevor es einen selbst beherrscht. So weit so gut. In der Theorie.


1 Die Arbeit trug den Titel «Der moderne Held» und wurde von mir am 26.04.1977 an der Katholischen FH für Sozialwesen in Köln vor- gelegt. Die auszugsweise Veröffentlichung unter dem Titel «Phäno- men Comics – transparent gemacht» erfolgte 1978 im Bonz-Verlag, Fellbach (zusammen mit Gaupp, Jürgens und Link)

2 Ralf Palandt: Braune Comics?! Bilder vom rechten Rand der Gesell- schaft, in COMIC!-Jahrbuch 2009, Seite 8–27

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2010
248 Seiten S/W und 4c
EUR 15,25
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