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COMIC!-JAHRBUCH 2011

ICOM e.V. & Co. – Comicverbände weltweit

Von Britta Madeleine Woitschig


5 Jahre ComFor! 30 Jahre ICOM e.V.!
40 Jahre INCOS e.V.!

Inzwischen feiert sogar das Feuilleton mit, wenn berühmte Comicserien und prominente Autoren ihre Jubiläen zelebrieren, während andere Jahrestage von der Presse aus Unkenntnis oder Nichtachtung übersehen werden. So bestand 2010 die Gesellschaft für Comicforschung e.V. (ComFor) fünf Jahre; der Interessenverband Comic Cartoon Trickfilm e.V. ICOM wurde 30 Jahre alt; und der Senior unter den deutschen Verbänden, die Interessengemeinschaft Comic Strip (INCOS), plant für ihren 40. Geburtstag eine Sonderpublikation, in der sich die Mitglieder an vergangene Zeiten erinnern. ICOM und INCOS wurden vor der digitalen Revolution gegründet, als Kommunikation nur mühsam über Briefe, teure Telefonate und durch direkte Kontakte von Gleichgesinnten möglich war. Vereine bilde(te)n ein verbindliches Netzwerk, in dem gemeinsame Interessen wahrgenommen werden und gegenüber der Öffentlichkeit vertreten werden konnten. Durch die juristisch vorgeschriebene Form konnten die als Spinner verlachten Außenseiter, die sich mit Kinderkram wie Comics beschäftigten, zu einem seriösen Gesprächspartner werden, die einen Teil der Bevölkerung repräsentiert.
Demoskopischen Umfragen zufolge ist die weitaus überwiegende Mehrheit der volljährigen Bürger im Bundesgebiet (alte Bundesländer) Mitglied wenigstens eines Vereins. Mitgliedschaften in mehreren Vereinen sind keine Seltenheit. Das Interesse zur Organisierung in Vereinen zeigt zunehmende Tendenz. Das gilt nicht nur für Beitritte in bestehende Organisationen. Jährlich werden auch zahlreiche Vereine neu gegründet.1
Die Vorliebe für Vereine und Verbände entspringt weniger einer Marotte als konkreten Zielen, deren Durchsetzung die Gesellschaft nach und nach jenseits aller Parteipolitik verändert. Der Blick über den Tellerrand, in der Gründungsphase vor allem nach Frankreich und Italien, lieferte Modelle für eigene Strategien und sorgte durch internationale Beteiligung für die lebensnotwendige Resonanz der ziemlich überschaubaren Szene. Der Nestor der Verbände, INCOS, wurde am 23./24. August 1970, teilweise während einer Schiffsfahrt auf dem Neckar, direkt im Anschluß an den 28. World-Science-fiction-Congress in Heidelberg (HEICON) gegründet und damit vor allem aus den Reihen dessen Veranstalters, dem Science Fiction Club Deutschland (SFCD). Obwohl die INCOS mit bundesweitem Anspruch auftrat, ballten sich die aktivsten Mitglieder in Berlin. In den Berliner Stadion-Terrassen richtete die INCOS vom 21. bis zum 23. April 1973 den ersten Comickongreß aus, zu dem sich 750 zahlende Gäste einfanden. Sackmann sieht hierin «vielleicht die eigentliche Initialzündung für die landesweite Etablierung einer deutschen Comicszene».2 Bis 1977 war die INCOS offiziell eine Arbeitsgemeinschaft Comic Strip innerhalb des SFCD. In diesem Jahr wurde die INCOS ins Vereinsregister eingetragen und wurde dadurch eigenständig, während die Wurzeln im SF-Fandom allmählich bedeutungslos wurden.3
«Im Gegensatz zur INCOS verstand sich der 1981 gegründete ICOM nicht als Vereinigung von Lesern und Sammlern, sondern als Berufsverband derjenigen, die mit der Herstellung von Comics ihren Lebensunterhalt verdienen».4 Der ICOM wuchs rasch auf über 200 Mitglieder (in den mitgliedstärksten Zeiten, als man über das eigene Fachmagazin ICOM INFO auf sich aufmerksam machen konnte, sogar über 400), deren Aktivitäten ein Spektrum abdeckten, das vom Comicautor nach frankobelgischem Vorbild über Übersetzer, Letterer, Verleger, Händler und Journalisten bis zu Comicforschern inner- und außerhalb der Hochschulen reicht. Das gegenwärtige Rückgrat des Verbandes ist der Stuttgarter Liedermacher, Comiczeichner («Reino») und Comicforscher Burkhard Ihme (seit 1995 im Vorstand). Anfang der 80er Jahre hatte ICOM-Initiator und dessen erster Vorsitzender Achim Schnurrer auf Comic-Festivals in Italien, Spanien und Frankreich, vor allem in Angoulême, Blut geleckt und wollte eine ähnliche Veranstaltung auf die Beine stellen. Beim Leiter des Kulturamts der nordfränkischen Universitätsstadt Erlangen, Karl Manfred Fischer, wurden die Sehnsüchte ernstgenommen. Schon die Gründungsveranstaltung im Erlanger Kulturtreff war von einer Ausstellung mit Arbeiten der Teilnehmer begleitet, 1982 wurde das zweite Mitgliedertreffen um weitere Programmpunkte (u. a. MAD-Ausstellung, Vortrag von Herbert Feuerstein, Podiumsdiskussion und Sammlerbörse) erweitert und «Comic Con ‘82» genannt, das (mittlerweile vierte) Treffen geriet gar zum «3. Erlanger Comicsalon», ehe im Juni 1984 der 1. Internationale Comic-Salon Erlangen den Auftakt zur wichtigsten, künftig als Biennale ausgerichteten, Comicveranstaltung im deutschsprachigen Raum bildete. In diesem Rahmen wird seither der (ebenfalls vom ICOM ins Leben gerufene) renommierte Max-und-Moritz-Preis verliehen. 1992 fand sich der ICOM, der den ersten Salon praktisch alleine gestemmt hatte, in den Folgejahren aber die meisten Aufgaben an das Kulturamt abtrat, plötzlich als Veranstalter des Comic-Salons ausgesperrt. Seit 1994 vergibt der Verband jährlich den ICOM Independent Comic Preis, mit dem er unabhängige Eigenproduktionen aus dem deutschsprachigen Raum auszeichnet, dotiert mit insgesamt 2000 €. In den ungeraden Jahrgängen findet die Preisverleihung (nach wechselnden Veranstaltungsorten bis 2003) im Rahmen des Münchner Comicfests statt. Die Hauptaufgabe des Verbandes ist aber die Kommunikation mit den Mitgliedern über das Mitteilungsblatt ICOMintern und E-Mail-Gruppen sowie nach außen durch den Honorarratgeber, das Branchenadreßbuch ICOM-Handbuch (1990, 1994 und 1999) und das COMIC!-Jahrbuch (seit 2000).
Als Konsequenz eines Treffens von Comicforschern während der Ausstellung «Comic-Kunst. Vom Weberzyklus zum Bewegten Mann. Bildgeschichten des 20. Jahrhunderts» (2004) konstituierte sich am 11. Februar 2005 an der Universität Koblenz auf Initiative von Prof. Dietrich Grünewald die Gesellschaft für Comicforschung (ComFor). Seit 2007 veranstaltet sie jährliche comicwissenschaftliche Tagungen im universitären Umfeld.
Die 1990 aus einem Seminar an der Universität Hamburg gegründete Arbeitsstelle für Graphische Literatur (ArGL) bildet einen wichtigen Vorläufer und Mitstreiter (mit Betonung auf Streiter), dieses Fachgebiet im akademischen Rahmen zu verankern. Die ArGL-Mitglieder veröffentlichen seit 2001 als Mitherausgeber im Online-Magazin IMAGE [&] NARRATIVE der Katho-lischen Universität Leuven (Belgien), vorwiegend auf Englisch und Französisch. Die umfangreiche Forschungsbibliothek von 25.000 Einheiten (überwiegend aus Verlagsspenden) setzt Maßstäbe.


Alle für einen, einer für alle!

Im Allgemeinen gehen die Interessen von Comicverbänden über die reine wirtschaftliche Verwertung hinaus, weil sie unter Rahmenbedingungen agieren, bei denen mehrere Gruppen ihre Rechte durchsetzen wollen. Damit das überhaupt geschehen kann, müssen sich Personen über einen längeren Zeitraum zusammenschließen, gemeinsam ihre Ziele festlegen und die Öffentlichkeit von ihren Anliegen überzeugen. Auf diese Weise entstehen Verbände, deren Formen und innere Abläufe durch juristische Formalien vorgegeben sind, wofür diese Zusammenschlüsse dann Privilegien erhalten. Beispielsweise dürfen Vereine, die ihre Gemeinnützigkeit nachweisen, Spenden erhalten und genießen steuerliche Vergünstigungen (dies gilt allerdings nicht für Vertreter gewerkschaftlicher Interessen. So kann z. B. der ICOM grund- sätzlich nicht gemeinnützig sein).
Diese Verbände funktionieren nach dem Motto der «Drei Musketiere». Die Verbindlichkeit für die breite Öffentlichkeit wird erfüllt, indem staatliche Vorgaben umgesetzt werden, die in den einzelnen Nationen unterschiedlich geregelt sind. So gilt in der Bundesrepublik das deutsche Vereinsrecht5; in den USA gibt es eine Vorschrift des Finanzamts, 26 U.S.C. § 501(c); und in Frankreich regelt ein Gesetz vom 1. Juli 1901 (loi 1901) das Leben eines Vereins (association à but non lucratif).
Obwohl durch diesen Rahmen die Legalität gewährleistet wird, müssen Legitimität und Respekt mühsam und langwierig erarbeitet werden. Meist dauert dieser Prozeß Jahrzehnte, und weil zäh errungene Vorrechte über Nacht versagt werden können, bleiben die Verbände meist bestehen, obwohl sie ihre Ziele durchgesetzt haben. Im Gegensatz dazu steht am Anfang eines Verbandes häufig ein konkreter Konflikt. Aus den Notgemeinschaften entwickelt sich innerhalb eines Verbandes eine Eigendynamik, in der es einen festen Kern von aktiven Gestaltern gibt, während bei großen Gruppen zahlreiche schweigende Mitglieder als Resonanzraum wirken. Die Größe eines Verbandes kann auf der anderen Seite auch durch starke wirtschaftliche Macht, hohen (politischen) Einfluß (als Lobby) und prominente Mitglieder wie zum Beispiel Joann Sfar als Repräsentanten begründet werden.6
Je nach Staat haben sich voneinander abweichende Traditionen gebildet, durch die Verbände entweder behindert oder gefördert werden. In den USA sind ehrenamtliches Engagement und das bürgerschaftliche Eintreten für die eigenen Rechte Teil des nationalen Bewußtseins, denn Individualität und gemeinschaftliche Solidarität werden geschätzt. So verwundert es nicht, daß Begriffe des Verbandslebens wie Fundraising und Sponsoring in andere Länder exportiert werden. Die Alltäglichkeit wird in den Medien sichtbar. In Frankreich hingegen sind Verbände übel beleumundet, weil unterstellt wird, eine kleine Gruppe wolle sich auf Kosten der Gesellschaft eigene Vorteile verschaffen:
Die französische Sprache besitzt keine neutralen Termini zur globalen Bezeichnung der verschiedenen organisierten Gruppen; die Begriffe sind immer negativ besetzt. (…) Der republikanische, d. h. konventionelle Diskurs beharrt folglich auf dem Schwarz-Weiß-Gegensatz zwischen Gemeininteresse (selbstverständlich übergeordnet und erhaben) und Privatinteressen (immer persönlich, egoistisch und deshalb im Widerspruch zum Gemeininteresse). (…) Die Interessengruppen hingegen leiden gleichzeitig unter ideologischem Mißkredit und oft unter institutioneller Schwäche. (…) Diese lange Tradi-tion muß man sich vor Augen halten, wenn man die Natur der Beziehungen zwischen Privatinteressen und Staat in Frankreich verstehen will. Trotz der unzähligen Veränderungen, die Frankreich in den letzten fünfzig Jahren erfahren hat, ist die Tradition nach wie vor prägend.7


1 Ott 2000, S. 1
2 Sackmann 2000, S. 47
3 Vgl. Sackmann 2000, S. 42–48
4 Sackmann 2000, S. 179
5 Vgl. Ott 2000 und Engler/Goetz/Hesse/Tacke 2009
6 Zu den wissenschaftlichen Hintergründe siehe «3. Kapitel: Spiel-Modelle» in Elias 1986, S. 75–109
7 Mény 1999, S.348ff

Auf den Geschmack gekommen?
Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2011
Links zum Artikel

Europäische Comicverbände

Belgien
VOStripgilde
www.stripgilde.be

Bulgarien
Union of Bulgarian Artist
www.sbhart.com

Dänemark
Danske Tegneserieskabere
www.dansketegneserieskabere.dk

Finnland
Sarjakuvantekijät
www.sarjakuvantekijat.fi/en

Frankreich
Associatión des Auteurs de Bande Dessinée
www.adabd.com
Groupement des Auteurs de Bande Dessinée – SNAC http://syndicatbd.org
L’Épicerie Séquentielle
www.epiceriesequentielle.com

Großbritannien
Comics Creators Guild
www.comicscreatorsguild.co.uk

Italien
Anonima Fumetti
www.anonimafumetti.org
SILF
www.silf-cgil.org

Niederlande
BNS (Beroepsvereniging Nederlandse Stripmakers)
www.stripmakers.nl

Spanien
AACE (Asociación de Autores de Cómic de España)
www.autoresdecomic.com

Tschechische Republik
SEQENZE
www.seqence.cz
Aargh!
www.analphabetbooks.com

Ungarn
Magyar Képregény Akadémia
http://kepregenyakademia.blogspot.com


Quellen

ActuaBD: actuabd.com
Ameline, Charles: Généalogie d’un interdiscours sur la bande dessinée (I und II), Januar 2009, du9.org/genealogie-d-un-interdiscours-sur und du9.org/genealogie-d-un-interdiscours-sur,1080
BD-SNAC: syndicatbd.org
ComicsPRO Comics Professional Retail Organization: comicspro.org
ICOM: www.comic-i.com
Image [&] Narrative: www.imageandnarrative.be
Rue89: rue89.com

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