Lektüre
 Independent Comic Shop   ICOM-Publikationen   Kostenlos   Fachmagazine   Sekundärliteratur 
Das COMIC!-Jahrbuch | Das ICOM!-Handbuch | Der ICOM!-Ratgeber
FILMRISS | Das verbandseigene Fachmagazin
COMIC!-JAHRBUCH 2011

Königsdisziplin Kindercomic
Comics für jüngere Leser im Buchhandel

Von Klaus Schikowski

Zum Thema Kindercomic gibt es die ewig gleichen Gespräche, die allesamt in einem ähnlichen Tenor ablaufen. Auch ein Comic-Händler aus Berlin berichtete kürzlich von der Schwierigkeit, auf Kundenanfragen zu Kindercomics (keine Manga!) adäquate Empfehlungen machen zu können. Natürlich würde er dann die Klassiker empfehlen, «Asterix», «Lucky Luke» oder die Disney-Comics, wohl wissend, daß diese Bände zwar den Eltern bekannt sind, allerdings keine reinen Kindercomics darstellen. Er könne dann zwar auf einige wenige bei deutschen Verlagen erscheinende Comics wie etwa «Yakari» verweisen, die eindeutig auf ein jüngeres Publikum zugeschnitten sind und durch eine mediale Präsenz (Trickfilmversion auf KiKa) den Eltern bekannt sein könnten, auf einige Bilderbücher, die eigentlich Comics sind oder aber zumindest eine Nähe zum Comic aufweisen, aber im großen und ganzen herrsche doch eine große Ratlosigkeit, vor allem bei Comics für ganz junge Leser, und die interessierten Eltern würden oftmals leicht enttäuscht den Laden wieder verlassen.

Dieses Gespräch steht exemplarisch für viele andere, die man mit den unterschiedlichsten Verlagsverantwortlichen, Kritikern oder Fans von Comics führt. Beinahe jeder Gesprächspartner beklagt einen Mangel an guten Kindercomics – andererseits wird von Verlagsseite auch immer wieder betont, wie schwierig es überhaupt sei, Kindercomics auf dem heutigen Markt zu positionieren. Auf den Punkt gebracht hat es der ehemalige Carlsen-Redakteur Michael Groenewald mit der Aussage: Der Kindercomic ist die Königsdisziplin in Deutschland. Das gilt natürlich für die Verlage ebenso wie für die Macher von Kindercomics, denn einen richtig guten Kindercomic zu machen erfordert außergewöhnliches Talent, wie auch ein besonderes Gespür für das Sujet und einen langen Atem. Das ist nicht jedem gegeben, und so gibt es dementsprechend auch viele gescheiterte Experimente.


Kindercomics für alle

Zu behaupten, die Situation des Kindercomics sei im ganzen desolat, wäre aber falsch. Es gibt Kindercomics im Buchhandel – man muß jedoch die Bereitschaft mitbringen, sie auch zu suchen. Bisweilen sogar mit der Lupe. Denn Kindercomics sind auch bei Buchverlagen zu finden oder bislang noch gar nicht als Comics wahrgenommen worden. Sollte man also das Ziel haben, eine schöne Kindercomic-Ecke in einem Buchladen aufzubauen, so geht dies nur mit einiger Recherche einher und einem Blick über den Tellerrand der Comicverlage hinaus. Denn es gibt nur wenige Comic-Verleger, die sich an die sogenannte Königsdisziplin herantrauen. Dieser Umstand ist leider auch und vor allem bei den Marktführern zu beklagen, wo natürlich die Klassiker für junge Leser in festen Händen sind. Es verwundert sogar noch viel mehr, daß beim Carlsen Verlag und bei der Ehapa Comic Collection nicht mehr Wert auf den Kindercomic gelegt wird, sind beide Abteilungen der Verlagshäuser Egmont und Carlsen doch unter einem Dach mit reinen Kinder- und Bilderbuchabteilungen. Aber das könnte womöglich auch ein Grund dafür sein, daß sich die Abteilungen nicht überkreuzen, bzw. nicht in fremden Gewässern fischen wollen. Immerhin teilen sich beide Verlagshäuser die ganz großen Klassiker Asterix, Tim und Struppi, Disney-Comics, Peanuts oder Lucky Luke. Aber dabei wird gerne übersehen, daß ebenjene Klassiker nicht nur der Sparte der Kindercomics zugeordnet werden können, sondern gleichzeitig in der Lage sind, alle Altersschichten anzusprechen. Es sind so genannte All-ages?Comics – Comics für jedwedes Publikum (siehe Extrakasten 1). So sind auch die Gagreihen zu verstehen, die ein vermeintlich jüngeres Publikum ansprechen. «Titeuf» von Zep etwa, ein absoluter Bestseller in Frankreich, oder die Spin-Off-Reihe «Der kleine Spirou» der frankobelgischen Langzeitserie. Obwohl hier vordergründig die Erlebnisse von Kindern geschildert werden, wird man als Leser das Gefühl nicht los, daß es sich um anzügliche Altherrenwitze in Comicform handelt. Weil die frühreifen Früchtchen oftmals nur sexuelles Ansinnen haben, beweist dies einmal mehr, wie falsch man bei einem Kindercomic liegen kann.
Doch abgesehen davon besteht natürlich keinerlei Bringschuld der großen Verlage bezüglich Kindercomics, schließlich steht die Verkäuflichkeit eines Comics im Vordergrund, und es ist schwierig, schwarze Zahlen im Fach- und Buchhandel mit reinen Kinderalben zu schreiben. Das beste Beispiel in dieser Richtung ist die Abstinenz des Kinderklassikers «Die Schlümpfe» auf dem deutschen Markt. Von Sammlern wird seit einiger Zeit vehement die Gesamtausgabe von Peyos «Johann und Pfiffikus» (dort traten auch erstmals die Schlümpfe auf) gefordert, und immer, wenn es um Ankündigungen neuer Serien geht, wird der Ruf lauter. Doch bei einem Besuch beim Lizenzgeber im Jahre 2009 wurde schnell deutlich, daß man nicht daran interessiert ist, nur den Sammlermarkt mit kleinen Auflagen zu bedienen, sondern vielmehr eine flächendeckende Verbreitung von Schlumpf-Comics anstrebt, möglichst auch als Kioskprodukt, denn man ist sich in Belgien sehr wohl im klaren, daß die Schlümpfe eine der bekanntesten Marken im Kindercomic-Segment dar-stellen. Schaut man sich auch an, was rund um die Schlümpfe und die sonstigen Serien von Peyo vor den Toren von Brüssel produziert wird, dann fühlt man sich schon wie im Kinderparadies. Spätestens wenn der angekündigte 3D-Film 2011/12 ins Kino kommt, werden wohl die Lizenzgespräche wieder interessant. Kleine Verlage müssen aber – soviel läßt sich prognostizieren – tief in die Tasche greifen, sollte es ihnen tatsächlich gelingen, «Johann und Pfiffikus» als Einzellizenz zu erwerben.


Comics lesen lernen

Die kleine Episode bezeugt, daß die Konzentration des Marktes derzeit natürlich auf ganz anderen Aspekten liegt: So möchten Sammler beispielsweise ihre nostalgischen Erinnerungen auffrischen, oder es werden Serien beendet, die vor vielen Jahren begonnen und abgebrochen wurden. Deren Leser müssen schon längst zum Comic bekehrt sein, und es ist nicht verwerflich, hochwertige, sauber produzierte Hardcover-Alben zu veröffentlichen oder alte Klassiker noch einmal in bibliophilen Nachdrucken aufzulegen. Das beweist die Lebendigkeit einer Szene, und auch die gegenwärtigen Diskussionen um das Label und den Erfolg der Graphic Novel belegen, daß neue Strategien durchaus auch Erfolg haben können. Bei jüngeren Lesern hingegen schöpft der Manga als popkulturelles Phänomen unter Jugendlichen viele mögliche Käufer ab. Hinzu kommt, daß etwa der frankobelgische Strich von Schülern als ‹antiquiert› wahrgenommen wird, wie eine Studie bezüglich des Bandes «Die Suche» von Eric Heuvel, der zu didaktischen Zwecken zur Behandlung des Themas ‹Holocaust› an Schulen verteilt wurde, belegt hatte. Natürlich eignet sich der Holocaust nicht als Thema für Grundschüler, aber diese Aussage zeigt, daß immer weniger Kinder mit traditionellen Comics in Berührung kommen. Das den Verlagen anzulasten wäre natürlich kurzsichtig, schließlich hat sich tatsächlich eine neue Bild- und Erzählkultur durch die dynamischen Medien wie Film und Fernsehen entwickelt, aber dennoch scheint es, als habe man in Deutschland die ganz jungen Leser unterwegs aus den Augen verloren. Es gibt Einzelphänomene, aber keine Kontinuität.
Zurückversetzt in seinn eigene Jugend und Kindheit, wird vermutlich jeder Comic-Leser von einem bestimmten Ereignis berichten, von einem ganz bestimmten Moment, einem Comic erzählen, der für ihn so etwas wie eine Initialzündung gewesen ist. Comiclesen scheint also irgendwie eng verbunden mit der Kindheit zu sein. Anders ist es auch nicht zu erklären, daß es viele Erwachsene gibt, die keine Comics lesen, weil ihnen diese Form des Zusammenspiels von Bild und Sprache nicht vertraut ist. Sie haben es als Kind nicht gelernt und nun können sie diese ganz spezielle Erzählform nicht mehr entziffern. Als Kind nimmt man die Informationen auf zwei Ebenen (Bild- und Textebene) schneller und leichter wahr. Im Umkehrschluß würde also diese These bedeuten, daß ein Großteil der Bevölkerung nicht Comics lesen kann, und wenn es keine oder wenige Kindercomics auf dem Markt gäbe, dann würde sich die Zahl der Nicht-Leser noch vervielfachen.

Auf den Geschmack gekommen?
Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2011
Links zum Artikel

Englischsprachige empfehlenswerte Kindercomics
www.toon-books.com
Übersicht der Linklisten
  Alle Jahrbücher
Comic Jahrbuch 2011
Comic Jahrbuch 2010
Comic Jahrbuch 2009
Comic Jahrbuch 2008
Comic Jahrbuch 2007
Comic Jahrbuch 2006
Comic Jahrbuch 2005
Comic Jahrbuch 2004
Comic Jahrbuch 2003
Comic Jahrbuch 2001
Comic Jahrbuch 2000
COMIC!-Jahrbuch 2011
Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2010
248 Seiten S/W und 4c
EUR 15,25
BESTELLEN