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COMIC!-JAHRBUCH 2010

Comics in der Schule
Eine aktuelle Bestandsaufnahme

von René Mounajed

Comics, Manga, Graphic Novels – das Medium, das Texte und Bilder zu einem Narrativ miteinander verschmelzen läßt – wie immer man es nennen mag1 –, hat längst auch die Schulen erreicht: Der Comic hat, wie das Foto symbolisch zeigt, Einlaß in den Schulunterricht in verschiedenen Unterrichtsfächern gefunden; und das nicht erst jüngst, sondern bereits in und seit den 1970er Jahren. Neu hingegen ist der «didaktische Turn» rund um das Medium, also der Forschungsansatz in den Fachdidaktiken, dem Comic ein Lernpotential jenseits von Komik zu unterstellen und dieses jeweils fachspezifisch zu ergründen.
Mittlerweile wird dem Comic also mehr zugetraut, als SchülerInnen lediglich zu unterhalten, zu belustigen, zu motivieren oder ihnen die Lesearbeit abzunehmen (bzw. zu erleichtern): Mit ihm kann fachlich Relevantes vermittelt werden. Diese Einsicht ist zwar nicht neu, so hat der Kunstdidaktiker Dietrich Grünewald dies bereits in den 1980er Jahren vertreten,2 aber erst dieser Tage findet sie offensichtlich weitreichende Resonanz, bietet Anlässe für fachdidaktische Studienabschlußarbeiten und Dissertationen3 und stößt auch innerhalb der Lehrerschaft auf offene Ohren. Woher diese moderne pädagogische Zuneigung zum Comic rührt, muß offen bleiben. Vieles spricht aber dafür, jenen Trend hin zum ernsthaften Narrativ für den Boom verantwortlich zu machen. Hinzu kommt natürlich, daß dem Comic derzeit in den Feuilletons der großen deutschen Tageszeitungen (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung, Der Tagesspiegel, taz u. a.) immer mehr Raum zugesprochen wird.
Im Folgenden werden einige bemerkenswerte Projekte bzw. Publikationen, aus dem Deutsch-, Politik-, Geschichts- und Fremdsprachenunterricht vorgestellt, die mitnichten ein Gesamtbild, sondern vielmehr einen ersten Einblick darüber zu geben versuchen, wie heute in Schulen bereits mit Comics gearbeitet wird. Gemeinsam ist allen Projekten, daß sich deren Akteure pionierhaft dieser «neuen Ernsthaftigkeit» verschrieben haben, im Comic also einen würdigen Vermittler fachspezifischer Kompetenzen sehen, jenseits von Spaß und Unterhaltung.


Comics im Literaturunterricht

Im Literaturunterricht werden sowohl «Comics als Literatur» als auch «Comics als Literaturadaptionen» zu Medien des Unterrichtsgeschehens: Zunächst können Comics als narrative Medien und damit als Literatur begriffen werden. So definiert wäre die Behandlung von Comics um ihrer selbst Willen im Literaturunterricht also durchaus legitim und nötig. Die Frage, ob der Comic mehr ein Gegenstand des Kunst- oder des Literaturunterrichts sei, wird immer ein zähes Ringen bleiben. Der Kunstdidaktiker Dietrich Grünewald rät daher stets zu fächerübergreifenden Projekten; auch er mag das Medium weder dem einen noch dem anderen Fach ganz zuschlagen.4
Für den Deutschunterricht gilt es dann, die Comicnarration im Ganzen in den Blick zu nehmen, also Bild- und Textanteile gleichberechtigt zu untersuchen. Sinnvoll wäre es auch, mit den Comics kreativ umzugehen, d. h. einige Hiatus5 selbst auszufüllen oder die Geschichte aus der Perspektive einer bestimmten Person weiterzudenken etc. Es wäre natürlich auch möglich, selbst Comics zu einem Schreibanlaß produzieren zu lassen. Hinzu kommen die Literaturadaptionen in Comicform: Hierbei werden literarische Vorlagen in Comics umgesetzt. Hier lohnt eine vergleichende Betrachtung einiger Sequenzen in der Regel: Der Comic-Künstler gibt der Literaturvorlage eine bzw. «seine» Ansicht, über die sich natürlich vortrefflich streiten läßt.6 Allerdings würden sich abermals kreative Arbeiten sehr anbieten: Zu ausgewählten Passagen einer Lektüre könnten die SchülerInnen in Kleingruppen eigene Comicsequenzen fertigen. Hierbei müßten sie zwangsläufig die Handlungen auf das Wesentliche reduzieren, Sprache verkürzen und eigene Perspektiven wählen. Gerade ein Vergleich verschiedener SchülerInnen-Arbeiten zu derselben Szene/derselben Textstelle offenbart viel über das Textverständnis der SchülerInnen und liefert tiefgehende Kommunikationsanlässe. Für ein größeres Unterrichtsprojekt böte es sich auch an, die ganze Lektüre an Partnergruppen aufzuteilen und so eine vollständige Adaption zu erreichen. Solche Projekte sind bereits vom Literaturhaus Stuttgart unter der Leitung von Erwin Krottenthaler und Stefan Dinter umgesetzt worden; aber auch andere innovative Lernkonzepte mit Comics haben sie entwickelt (siehe Kasten). Zahlreiche Anregungen zur Arbeit mit Comics im Deutschunterricht bietet die 2007 im Schulbuchverlag Cornelsen erschienene Materialsammlung «Rund um Bildergeschichten und Comics» von Ute Fenske.7

1 Schikowski, Klaus: Die Graphic Novel – Das unbekannte Wesen. In: Comixene (2008) H. 102, S. 19–23.
2 Grünewald, Dietrich: Wie Kinder Comics lesen: Eine Untersuchung zum Prinzip Bildgeschichte, seinem Angebot und seinen Rezeptionsanforderungen sowie diesbezügliches Lesevermögen und Leseinteresse von Kindern, Frankfurt/Main 1984.
3 Z. B. Sanladerer, Rudolf: Bild und Wort, Elemente des Comic und deren Gestaltungsmöglichkeiten im Kunstunterricht, 2006. Mounajed, René: Geschichte in Sequenzen. Über den Einsatz von Comics im Geschichtsunterricht, Frankfurt/Main 2009. Munier, Gerald: Geschichte im Comic. Aufklärung durch Fiktion? Über Möglichkeiten und Grenzen des historisierenden Autorencomic der Gegenwart, Bielefeld 2000.
4 Grünewald, Dietrich: Comics im Deutschunterricht. In: Taschenbuch des Deutschunterrichts, hrsg. von Günter Lange, Karl Neumann und Werner Ziesenis, Baltmannsweiler 2003, Bd. 2, S. 828.
5 Lücke zwischen zwei Panels, im Englischen gutter (in der deutschen Ausgabe von Scott McClouds «Understanding Comics» bei Carlsen als «Rinnstein» übersetzt).
6 Grünewald 2003, S. 842–845.
7 Fenske, Ute: Rund um Bildergeschichten und Comics. Kopiervorlagen für den Deutschunterricht, Berlin 2007.

Auf den Geschmack gekommen?
Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2010
Links zum Artikel

Zu Fußnote 8: www.literaturmachen.de.
Zu Fußnote 9: www.andi.nrw.de.
Zu Jenny Dolfen: www.comicforum.de
Kontakt zu Jugendkunstschule ATRIUM:
info@atrium-berlin.de
Kontakt zum Deutsch-Französischen Jugendwerk: info@dfjw.org
Kontakt zu Stefan Neuhaus: stfneuhaus@aol.de
Kontakt zu René Mounajed: mounajed@gmail.com
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Burkhard Ihme (Hrsg.)
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