Lektüre
 Independent Comic Shop   ICOM-Publikationen   Kostenlos   Fachmagazine   Sekundärliteratur 
Das COMIC!-Jahrbuch | Das ICOM!-Handbuch | Der ICOM!-Ratgeber
FILMRISS | Das verbandseigene Fachmagazin
COMIC!-JAHRBUCH 2010

Geschichte der Comics in Ungarn

Von Imre Vince

Mit Erstaunen werden Sie, liebe Freunde der Neunten Kunst, folgende gewagte Behauptung lesen: Comics sind, wie auch der Kugelschreiber und der Zauberwürfel, eine ungarische Erfindung!
Der erste moderne Comic, «Hogan‘s Alley/The Yellow Kid» von Richard Felton Outcault, entstand 1895 in Amerika. Die kunsthistorischen Berichte aber erwähnen die Ausgangslage nicht genau. Der Mann, der Outcault die Plattform bot, um seine Zeichnungen einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen, der Zeitungsverleger und Inhaber die Tageszeitung The Sunday World (New York) Joseph Pulitzer, wurde am 10. April 1847 in Makó (Ungarn) geboren. Und so entstand damals ein Kulturgut, das überall auf der Welt Kinder, Jugendliche, Erwachsene und zu Ende dieses 19. Jahrhunderts vor allem Zeitungsbesitzer in seinen Bahn zog. Die Geschichten des Yellow Kid wurden schnell ein Hit, Outcault berühmt, The World wurde eine immer populärere Zeitung, dank – vielleicht – dieses in Ungarn geborenen Selbstmademan, Mr. Joseph Pulitzer.


Prince among Draughtsmen

Mit einem Sinn für Schönheit ausgestattete Bürger sind überwältigt von den vielbewunderten und meisterhaft ausgearbeitete Gemälden von Rembrandt, Leonardo, Michelangelo, van Gogh und anderen genialen Künstlern.
Mit ähnlicher Ehrfrucht wird in Ungarn des «Zeichnerfürsten» Mihály Zichy (1827–1906) gedacht. Nach Wiener Lehrjahren wurde der aus adligem Geschlecht stammende Maler, Illustrator und Graphiker im Jahre 1847 von Nikolaus I. als Zeichnerlehrer am russischen Zarenhof aufgenommen. In seinem langen Leben diente er unter vier Zarenfamilien Als zeichender Berichterstatter, Porträtist und Maler der Familie sowie politischer Ereignisse schuf er nahezu eintausend Kunstwerke. Die St. Petersburger Eremitage und der Londoner Königspalast zeugen von seinem außergewöhnlichen zeichnerischen Schaffen. Budapest, Wien, Nizza, München Paris, Wartburg und St. Petersburg (wo er gestorben ist) waren kürzere, längere und immer wiederkehrende Aufenthalte.
Deutsche Kultur und Geschichte waren oft Hauptthemen in Zichys künstlerischem Werk. So kann es nicht überraschen, daß der Leipziger Verlag ihm 1880 anbot, den großen deutschen Klassiker «Faust» von Johann Wolfgang von Goethe zu illustrieren. Weitere berühmte Bilderzyklen sind «Der Messias» und «Luther auf der Wartburg».
Zichy begann mit comic-ähnlichen Techniken Gedichte von János Arany und Sándor Petöfi zu illustrieren. Er schaffte dabei eine Synthese zwischen Zeichnung und Text und gilt deshalb für heimische Comic-Enthusiasten als der erste «Comic-Zeichner» Ungarns. Bemerkenswert sind seine gezeichneten Dokumentationen der Zeitgeschichte, sein Detailreichtum und seine unglaublich präzise Linienführung.


Wilhelm Busch als Vorbild

Bereits das erste Buch von Wilhelm Busch («Bilderpossen», Verlag Heinrichter, 1864) konnte man in Ungarn in der Originalsprache kaufen (die ungarische Übersetzung erfolgte allerdingst erst im Jahr 1909). Damit begann ein wahrer Siegeszug der Bildergeschichten.
Die Münchener humoristische Zeitschrift Fliegende Blätter war auch in Budapest in deutscher Sprache erhätlich. «Max und Moritz» war 1895 ein großer Erfolg im Land wie zuvor schon in ganze Europa. Wilhelm Busch wurde ein Vorbild für die ungarischen Zeichner und Karikaturisten.
Ganz im Geiste deutscher Formgebung und Stilart gründete Mór Jókai 1856 die einheimische Humorzeitung Üstökös (Komet). Er war ein Schriftsteller, der später zum Beststeller-Autor ersten Ranges aufgestieg. Sein Blatt wurde Heimat für politische Illustratoren und Karikaturisten. In den kommenden Jahren beschäftigten die Zeitungen und Wochenblätter gern humoristische und gesellschaftskritische Zeichner, die mit ihren Bilderzählungen die breite Leserschaft erfreuten.
Der herausragende Zeichner bei Üstökös war János Jankó (1833–1896). Seine Arbeiten (Illustrationen, Porträts und politische Karikaturen, u. a. auch für Bildgeschichten) werden auf insgesamt dreißigtausend geschätzt. Die Geschichten wurden von Mór Jókai nach Buschs Vorbild geschrieben und vom Jankó umgesetzt, 6 Zeichnungen pro Seite, mit Hinweisen wie «Fortsetzung folgt» oder «Ende» versehen.


Ein Hauch von Comic weht in Europa

Der amerikanische Comic eroberte Europa mit unvorstellbarer Geschwindigkeit. Wilhelm Randolph Hearst hatte den «International Feature Service» im Jahre 1912 gegründet, Moses Koenigsberg «King Features Syndikat» 1915. Beide Unternehmen begannen, die Lizenzen von Bildromanen1, Comicstrips, Adventure Comics, Karikaturen und Illustrationen für sich zu sichern.
Die Abdruckrechte wurden an andere Zeitungen und Zeitschriften verkauft. Von Anfang an lief der Vertrieb der Comic-Strips sehr erfolgreich. In ganz Mitteleuropa, darunter auch Ungarn, konnten so die Leser die erfolgreichen neuen Serien kennenlernen. Die Zeitungen übernahmen regelmäßig die Angebote der Syndikate. In Ungarn veröffentlichten Theaterleben, Esti Újság (Abendzeitung), Új vasárnapi újság, (Neue Sonntags-Zeitung), Varárnapi hírek (Sonntags-Nachrichtenblatt) und TOLNAI VILÁGLAPJA (Tolnai Weltblatt) Pat Sullivans «Felix the Cat» (USA 1923), Oscar Jacobssons «Adamson» (Schweden 1925), Max Fleischers «Betty Boob» (USA 1934) und Lyman Andersons Edgar Wallace-Adaption «Inspector Wade» (USA 1934).
Der Zeichner Jenö Jeney schuf mit wachsendem Erfolg für die Friss újság («Frische Sonntags-Zeitung») eine Familien-Saga. Der Bildstreifen-Comic wurde auch in der Reklamegestaltung immer beliebter.

Auf den Geschmack gekommen?
Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2010
  Alle Jahrbücher
Comic Jahrbuch 2010
Comic Jahrbuch 2009
Comic Jahrbuch 2008
Comic Jahrbuch 2007
Comic Jahrbuch 2006
Comic Jahrbuch 2005
Comic Jahrbuch 2004
Comic Jahrbuch 2003
Comic Jahrbuch 2001
Comic Jahrbuch 2000
COMIC!-Jahrbuch 2010
Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2009
240 Seiten S/W
EUR 15,25
BESTELLEN