Comicmarkt Frankreich 2008:
Der Zaubertrank wirkt nicht mehr

Von Britta Madeleine Woitschig

Nummerologie 2008:
Neue Märkte … verzweifelt gesucht!

Wie gewohnt trat Gilles Ratier, der Generalsekretär des Kitikerverbandes ACBD1, zwischen Weihnachten und Neujahr an die Öffentlichkeit und verkündete die von seinem Verband ausgewerteten Entwicklungen des letzten Jahres2 unter dem kleinlauten Titel «Ein Jahr der Comics auf dem frankophonen Territorium Europas 2008: Neue Märkte ... verzweifelt gesucht!» Der explizite Aufschrei an markanter Stelle kennzeichnet eine traumatische Situation der Comic-Großmacht Frankreich, die sich eingestehen muß, sogar auf ureigenstem Terrain die uneingeschränkte Vormacht verloren zu haben. Oberflächlich bewahrt der Bericht die Contenance, bleibt sachlich und beruft sich in den Quellen des Datenmaterials auf eine breitere Basis: Denn neben den Marktforschungsinstituten GfK und I+C (u. a. verantwortlich für das Branchenblatt des französischen Buchhandels, LIVRES HEBDO3) gingen auch die Zahlen von FEVAD ein, die sich dem Versandhandel und dem Handel im Internet auf sämtlichen Stufen widmen, sowohl zwischen Betrieben (B2B), zwischen Privatpersonen wie auf eBay (P2P) als auch von Betrieben zu Privatpersonen (B2P).
Im frankophonen Europa (Frankreich, Belgien, Schweiz) wurden danach 2008 – wie im Vorjahr – insgesamt 60.000 Titel veröffentlicht, von denen 4.746 (7,91%) als Comics klassifiziert wurden. Obwohl der Umsatz bei 6,5% stagnierte, hat das Angebot gegenüber 20074 um 433 Titel (+10,04%) zugenommen. An 26.000 Verkaufsstellen (Fachhandel, Buchhandel, Kiosk, Versand) konnten 3592 (75,68%) Novitäten im engsten Sinne erworben werden, deren absolute Zahl zwar anstieg (2007: 3.312), deren relativer Anteil aber leicht abnahm (2007: 76,79%).
Das Angebot gliederte sich auf in 1.453 Manga, Manhwa, Manhua und andere asiatische Titel (40,45% von 4.746), 1.547 frankobelgische Alben (43,07%), 240 amerikanische Importe (6,68%) sowie 353 Graphic Novels (9,83%). Desweiteren erschienen 821 Nachdrucke und Neuausgaben (17,3%), 3.271 Artbooks und Bände mit Illustrationen (5,71%) sowie 62 sekundärwissenschaftliche Titel (1,31%), gegenüber 85 Titeln 2007 (1,97%) also ein deutlicher Rückgang. Inhaltlich fächert sich das frankobelgische Angebot in folgende Genres auf: 527 humoristische Alben (laut ACBD 27,74%5), 297 historische Comics (ACBD: 15,63%), 283 Thriller und Krimis (ACBD: 14,89%), 267 Titel aus dem Bereich Fantasy und Science-Fiction (ACBD: 14,05%) sowie 173 Alben für Kinder (ACBD: 9,11%).
Das aus dem Kino vertraute Prinzip der Blockbuster prägt ebenfalls den Comicmarkt. 1.271 Alben (66,89% von 1547) erschienen in Serien, 2007 nur 839. 95 Serien hatten eine Auflage über 50.000 Exemplaren6 (2007: 90, 2006: 85). Um unter die Bestseller zu kommen, ist wie im Vorjahr eine Auflage von 6.000 Exemplaren notwendig. Nach Angaben der Comicgewerkschaft GABD in der SNAC müssen heute für die schwarze Null in der Bilanz 5.000 Exemplare verkauft werden, während vor zehn Jahren die doppelte Menge über den Ladentisch wandern mußte. Um ein durchschnittliches Einkommen zu erzielen, sind deshalb mindestens drei ständig lieferbare Alben und ein laufender Vertrag notwendig oder eine regelmäßige Arbeit im Pressebereich.
Die Konzentration schreitet ebenfalls voran: Mit einem Umsatz von 70% dominierten 15 Firmen bzw. Konzerne den Markt, den sich insgesamt 265 Verlage teilen (2007: 254). 40% des französischen Comicmarkts werden von Média Participations kontrolliert, die 627 Titel (13,21% von 4746) verantworteten und damit den fünften Platz auf dem allgemeinen Buchmarkt halten konnten (2007: 474 Titel mit 10,99%). Den französischen Buchhandel dominiert der Konzern Hachette mit dem siebenfachen Umsatz und einem Anteil von 20%!
Obwohl Delcourt mit 479 Titeln (10,09% von 4.746) ein schmaleres Angebot publizierte als im Vorjahr, konnte der Verlag seine Position behaupten. Ihm folgten die Gruppe MC Productions mit 347 Titeln (7,31%), der Konzern Flammarion mit 323 Titeln (6,8%), Panini France mit 279 Titeln (5,88%), Hachette Livres mit 172 Titeln (3,62%) und Bamboo mit 129 Titeln (2,72%). Vor allem für die unabhängigen Verlage verschärfte sich der Wettbewerb, denn mit ihren neuen oder erweiterten Programmschienen für Comics mußten sie sich der Konkurrenz der Literatur- und der Kinderbuchverlage stellen. Die kleinen Alternativverlage radikalisierten sich mit winzigen Auflagen für ein Nischenpublikum. Der wichtigste Vertrieb, Le Comptoir des indépendants, kompensierte seine Umsatzeinbußen durch die Aufnahme von Verlagen für zeitgenössische Kunst. Auf dem Kunstmarkt sieht die ACBD auch den Verkauf von Originalseiten alter Meister wie Hergé (ein «Tintin»-Titel wurde für 764.200 € versteigert, eine Zeichnung in schwarzweiß für 167.300 €), Albert Uderzo (eine «Astérix»-Seite für 312.500 €), Hugo Pratt (250.000 €) und Philippe Druillet (206.500 €). Rekordpreise erreichen ebenfalls Enki Bilal, André Franquin und Edgar P. Jacobs.