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COMIC!-JAHRBUCH 2010

Vorwort

Von Burkhard Ihme


Während dieses Jahrbuch langsam zur Druckreife gelangt, machen zwei Meldungen aus den USA Schlagzeilen: «Disney kauft Marvel» und «Warner Brothers gründet eigene Comicabteilung». Während die Übernahme des bisher eigenständigen Verlages Marvel Enterprises für kolportierte vier Milliarden Dollar zu heftigen Spekulationen führte, die von neuen Figuren («Spider-Mouse» und «Mickey-Man») über neue Cross-over («The Punisher vs. Minnie Mouse») bis hin zu Befürchtungen reichten, die Marvel-Helden würden nun zu familientauglichen nice guys kastriert, ist im Moment über die Tragweite der Umstrukturierung des Marvel-Konkurrenten DC Comics durch ihren Besitzer, den US-Medienkonzern Time Warner, wenig bekannt. Beide Maßnahmen, unabhängig voneinander geplant, dienen ähnlichen Strategien: Die Comic-Helden sollen auf allen verfügbaren Kanälen der beiden Konzerne vermarktet werden, künftig in Kinofilmen, im Fernsehen, in Videospielen und als Figuren im Einzelhandel für zusätzliche Erlöse sorgen (mehr dazu im US-Marktreport von Stefan Pannor auf Seite 122).
Daneben sorgte unser Autor gleich zweimal mit Artikeln für Aufregung: Unter dem Titel «Absturz mit Nazi-Flieger» sezierte er auf «Spiegel Online Kultur» die erste Folge des in ZACK 118 vorabgedruckten Fliegercomics «Der Stern von Afrika» des Schweizers Franz Zumstein, dem er zu Recht vorwirft: «In &Mac220;Der Stern von Afrika&Mac221; kippt nun dieses ambivalente Verhältnis, das Militär-Erzählungen seit jeher zum Krieg haben, endgültig um in offene Begeisterung». Der Comic, der den nom de guerre des Hitler-Protegés Hans-Joachim Marseille im Titel führt, in Wahrheit aber eine Liebesgeschichte sein soll, in der Marseille nur eine Nebenrolle spielt, wurde von ZACK-Redakteur Mark O. Fischer vollmundig als «die beste Erziehungsarbeit in dieser Richtung [gemeint ist Antifaschismus], die Deutschland jemals gesehen hat» angekündigt. Dies stellte sich nach Abdruck aller vier Folgen des ersten Bandes als maßlos übertrieben heraus. Fischer schied mit der Nummer 123 des Magazins aus der Redaktion aus, um sich auf seinen Verlag Epsilon und die zahlreichen angekündigten, aber bisher nicht erschienenen Fortsetzungen seiner Comicreihen zu konzentrieren. Auf der Buchmesse wird zeitgleich mit dem Erscheinen dieses Jahrbuchs die neue Redaktion vorgestellt, der auch Egmont-Mitarbeiter Georg F.W. Tempel (der nach Ablauf seiner Elternzeit im März vom Verlag von seinen Pflichten als Verlagsleiter entbunden wurde) in beratender Funktion angehören wird.
Ein zweites Mal schlug Pannor am 24. Juli zu, diesmal in der FRANKFURTER RUNDSCHAU, und zwar mit dem (von fremder Hand betitelten) Aufsatz «Zigeuner in 'Lausedonien'», in dem er Mecki, dem Redaktions-Maskottchen der HÖRZU, rassistische Ressentiments vorwarf, entdeckt im Nachdruck der Geschichten von 1958 im Esslinger Verlag. Seiner Forderung, statt der «fragwürdigen Maßnahme», die «unangenehmsten» Geschichten herauszukürzen (wie in dem Band bei zwei Seiten geschehen), die entsprechenden Passagen zu kommentieren, kam der Verlag, nachdem sich der Zentralrat der Sinti und Roma einschaltete, mittlerweile mit einer beigelegten Erklärung nach. An der «comicfeindlichen» Aktion des Leipziger Journalisten entzündeten sich heftige Debatten in einem internen Sammler-Forum, die, wohl nur in Auszügen dem bekannten Comic-Fachmann Andreas Platthaus zugetragen, wieder zu unfreundlichen Anwürfen in dessen bekannten Comic-Blog führten.
Ähnlich unerfreulich ist ein Artikel von Dr. Rainer Fromm in BPjM aktuell (der Publikation der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien), in dem sich der Autor nicht nur über einzelne Comics ausläßt, in denen krasse Gewaltdarstellungen zudem sexuelle Bezüge haben, sondern zu der Behauptung versteigt: «Besondere Aufmerksamkeit verdienen Comic-Hefte wegen ihrer großen Verbreitung und der besonderen Affinität einer jungen Leserschaft zum Genre. Wie kaum ein anderes Medium markieren die exzentrischen Hefte eine bildstarke Projektionsfläche für die Phantasiewelten vieler Jugendlicher.» Das erinnert an US-amerikanische Gerichtsurteile, in denen Comics generell zur Kinderliteratur erklärt wurden. Daß Comics auch ganz andere Inhalte haben können, belegte Ralf Palandt in seinem Aufsatz «Braune Comics?! – Bilder vom rechten Rand der Gesellschaft» (COMIC!-Jahrbuch 2009, S. 8–27). Nun legte die NPD nach und ihren rassistischen Comic «Enten gegen Hühner» in hoher Auflage vor, und Österreichs FPÖ druckte in einer Auflage von 500.000 Exemplaren ein 64seitiges Pamphlet gegen die EU, gezeichnet von Horst Grimm («Faustus» bei Ehapa). Ein Anlaß, den Artikel noch einmal zur Hand zu nehmen. Ralf Palandt veranstaltet vom 29.–31. März 2010 unter dem Titel «Rassismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus im Comic» zusammen mit dem Archiv für Jugendkulturen e.V. eine Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Boll, in Österreich haben sich namhafte Comiczeichner auf der Website www. comicsgegenrechts.at zusammengefunden.
Daß die Affinität von Kindern zu Comics in den letzten Monaten deutlich geschwunden ist, mußten FIX UND FOXI (der Verlag Tigerpress mußte sogar Insolvenz anmelden) und auch die altehrwürdige MICKY MAUS erfahren, deren Verkäufe dramatisch einbrachen (von über 40.000 auf 11.000 bzw. auf deutlich höherem Niveau von einstmals 650.000 auf aktuell 197.000). Während FIX UND FOXI mit neuem Verlag und neuem Konzept wiederaufleben soll (die gleichzeitig eingestellten GESPENSTER GESCHICHTEN werden dagegen kaum aus ihrer Gruft auferstehen), startete Ehapa eine bundesweite Werbeoffensive (die, glaubt man der verlagseigenen Interpretation der «Kidsverbraucheranalyse 2009» – bei allgemein sinkenden Verkaufszahlen wird da der Ausbau des Marktanteils um 1 Prozent betont –, doch gar nicht wirklich nötig wäre).
Der verlagsübergreifende Buchhandels-Comicumsatz (ohne Manga) in Deutschland, Österreich und der Schweiz legte in diesem Jahr zum Vorjahreszeitraum prozentual zweistellig zu. Grund könnte unter anderem die Initiative einiger Verlage sein, die gemeinsam das Internetportal www.graphic-novel.info betreiben und einen Sticker zur Kennzeichnung dieser buchhandelstauglichen Ware entwickelten. Wobei nicht geklärt ist, was unter Graphic Novel nun genau zu verstehen sei. Darüber, daß ein vom Unfug Verlag dem Segment zugeschlagener 28seitiger Erotik-Comic eigentlich nicht darunterfällt, herrscht allerdings Einvernehmen. Die kiloschwere «Complete Edition» von Jeff Smiths «Bone» bei Tokyopop wäre mit ihren 1.344 Seiten da eher ein Kandidat, verzichtet aber auf das Etikett.
Der Manga-Markt stagniert dagegen auf hohem Niveau. Laut Tokyopop-Geschäftsführer Dr. Joachim Kaps machen die von ihm geschätzten jährlich fünf bis sechs Millionen verkauften deutschsprachigen Manga 70 % der im Buchhandel abgesetzten Comics aus. 2005 waren das (ebenfalls laut Kaps) noch 90 % und ein Umsatz von 70 Millionen Euro. Ob sich die Gewinne daraus weiterhin hauptsächlich auf drei Verlage verteilen, wird die Zukunft zeigen. Im Januar entzog der Verlag Kôdansha (einer der größten japanischen Lizenzgeber) Tokyopop die Rechte an allen seinen Serien. Daß künftig, wie bereits in Frankreich, wo Shûeisha, Shôgakukan und Kôdansha eigene Filialen aufbauten (siehe Marktbericht ab Seite 136), die Japaner selber auf den deutschen Markt drängen könnten, ist bisher nur eine Vermutung. Dagegen sind die Versuche, digitale Verbreitungswege zu erobern, schon sehr konkret. Als Testballon bietet Tokyopop mit Fox Mobile Distribution, dem Betreiber des Portals Jamba, drei Manga exklusiv auf www.jamba.de zum Herunterladen aufs Handy an. In einem zweiten Schritt soll das Angebot um drei weitere Reihen ergänzt werden. Fox Mobile führt auch Gespräche mit anderen Comic-Verlagen, was Kaps positiv bewertet: «Je schneller es ein möglichst umfangreiches Angebot an Comics auf dem Handy gibt, umso attraktiver wird es für die Nutzer sein».
Auch für den guten alten Computer-Monitor gibt es zunehmend Comicangebote. In diesem Jahr gingen mit www.mycomics.de (Panini) und www.comic stars.de zwei Präsentationsplattformen online, auf denen Comics kostenlos, aber auch (wie seit längerem schon bei www.electrocomics.com) gegen eine Gebühr von 99 Cent als PDF heruntergeladen werden können. Auch neue, hochauflösende Lesegeräte stehen kurz vor der Markteinführung.
Wer sich einen Überblick über die angebotenen Webcomics verschaffen will, kann dies seit kurzem unter www.webcomic-verzeichnis.de tun, einer (wie bereits Finix Comics) im www.comicforum.de entstandenen Initiative unter Federführung von Manfred Kooistra. Die Diskussion um einen eigenen Interessenverband von Webcomic-Künstlern ist noch nicht bis zur Umsetzung gediehen. Wie sich die Comic-Produktion fürs Internet auf die formale Gestaltung der Seiten und Strips auswirkt, ist noch nicht abzusehen. So sind zwei herausragende Vertreter dieses Verbreitungsweges, «Das Leben ist kein Ponyhof» von Sarah Burrini und «Deae ex machina» von Erik (d. i. Frank Weißmüller), deutlich für den Abdruck in der Printversion konzipiert oder zumindest aus den Erfahrungen daraus entwickelt.
Auf den 75. Geburtstag von Donald Duck muß an dieser Stelle nicht explizit hingewiesen werden. Auf ein Vierteljahrhundert blicken die beiden verdienstvollen Magazine STRAPAZIN und REDDITION zurück. Und die Feierlichkeiten zum 20-Millionen-Jahre-Jubiläum der Science-fiction-Serie «Commander Cork» dauern an: Im April erschien Heft 3, «Bedrohung aus dem All».
Ein Nachtrag zum Artikel «Primär Sekundär» (Seite 58): Soeben ist ein Sammelband erschienen, der die Beiträge aus der Göttinger Ringvorlesung zusammenfaßt:
Ditschke, Stephan/Kroucheva, Katerina/Stein, Daniel (Hrsg.): Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populären Mediums, Bielefeld: Transcript 2009, ISBN 978–3–8376–1119–9.
Verwiesen sei noch auf unseren Zusatzservice, die Internetseite www.comic-i.com/Jahrbuch10.html, auf der alle Weblinks aus diesem Buch zu finden sind.

Auf den Geschmack gekommen?
Weiterlesen im COMIC!-Jahrbuch 2010
Link zum Artikel

www.graphic-novel.info
Eriks deae ex machina
Das Leben ist kein Ponyhof!
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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2009
240 Seiten S/W
EUR 15,25
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