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COMIC!-JAHRBUCH 2009

Der Comic in den Zeiten von Web 2.0
Ein Streifzug durch gezeichnete Tagebücher, Comic-Blogs und andere Online-Veröffentlichungen

Von Klaus Schikowski


Während vor Jahren noch geunkt wurde, daß die Zukunft des Comics im Internet läge, läßt sich nun mit etwas Abstand beruhigend sagen: Das gute alte Buch hat noch lange nicht ausgedient. Doch während immer neue Formate den Markt dominieren, findet im Internet eine ganz eigene Auseinandersetzung mit der Form statt. Es entstehen digitale Comic-Tagebücher, eine neue Generation von Cartoonisten versucht sich über die virtuelle Welt zu etablieren und auch die Comic-Kritik bleibt nicht unberührt. Kurzum: Es tut sich was auf den deutschen Seiten des weltweiten Netzes.

Ulf K. bloggt. Der Max-und-Moritz-Preisträger von 2004 hat neben seiner Internetseite noch ein Blog, auf dem es folgendes zu sehen gibt: regelmäßige Aktualisierungen mit Skizzen aus kommenden Projekten, die neuesten Illustrationen für Auftragsarbeiten, neueste Infos wie Signiertermine oder neue Veröffentlichungen, eine Musikauswahlliste von last.fm, YouTube-Videos (hier ist wahlweise alles möglich von Spinnertem oder Interessantem bis zu Aufzeichnungen vom letzten Festival oder dem letzten Comicstammtisch) und natürlich Links, Links, Links. Zu den Verlagen, zu befreundeten Zeichnern, zu interessanten Zeichnern und zu Info-Seiten.
Damit nutzt der Düsseldorfer Zeichner den Raum im Internet nicht nur, um Werbung in eigener Sache zu betreiben, sondern er nutzt sein Blog auch, um eine ganz persönliche Sicht auf den Zeichner zu geben. Während aber die eigene Internetseite immer noch seriös bleibt, da sie ja als Information für potentielle Kunden gilt (sozusagen die digitale Mappe), ist das Blog als Instrumentarium für die Fans zu verstehen. Scrollt man sich durch das Blog, bekommt man das Gefühl, den Zeichner noch etwas genauer kennenzulernen und ihm bei der Arbeit zuschauen zu können. Klickt man sich gar durch die Links, bekommt das Sprichwort «Vom Hölzchen aufs Stöckchen» eine ganz neue Bedeutung.
Inzwischen haben viele Comic-Zeichner das Internet als Plattform entdeckt. Vorbei sind die Zeiten, in denen man mühsam Serverplatz bezahlen mußte, im sogenannten Web 2.0 gibt es Platz für alle und alles. Der Begriff steht dabei für neue Möglichkeiten und dadurch eine veränderte Nutzung des Internets. Grundlegend ist, daß dem individuellen Benutzer mehr Spielraum eingeräumt wird. Einfache, im Netz verfügbare Software sorgt dafür, daß der Nutzer sich selbst mehr einbringen und Inhalte erstellen kann. Interaktivität heißt das Gebot der Stunde, die Benutzer werden geradezu aufgefordert, an der globalen Vernetzung mittels Informationsweitergabe und Kommentierung von Informationen anderer teilzunehmen. Die Auswirkungen sind Nutzer-Lexika wie Wikis (siehe auch den Artikel im COMIC!-Jahrbuch 2008), oder persönliche Blogs (kommt von Weblog, so etwas wie ein regelmäßiges Tagebuch im Web), soziale Netzwerke, auf denen individuelle Nutzerprofile eingestellt werden können wie MySpace oder studiVZ oder aber Bilder- und Filmportale wie YouTube.
Von der Form her sind für den Comic die Blogs am interessantesten, da man sich ein Blog sehr schnell selbst erstellen kann. Dieses funktioniert von der Form her wie ein Tagebucheintrag, mit der Neuerung, daß dieser direkt zur Veröffentlichung bestimmt ist. Der Unterschied zwischen einem Blog und einer normalen Internetseite ist die Eindimensionalität, denn während man auf der Seite mehrere Ebenen hat, ist ein Blog linear gegliedert, der neuste Beitrag steht immer oben und der älteste rutscht dementsprechend immer weiter herunter. In einen Blog können gleichermaßen Texte und Bilder eingestellt werden, es gibt die Möglichkeit zur Verlinkung, und der Leser kann die einzelnen Beiträge sogar kommentieren. Viele Internetseiten arbeiten inzwischen ähnlich und haben nicht mehr Buttons auf ihrer Startseite, sondern direkt den ganzen Inhalt. Gerade deshalb ist es schwierig, zwischen Online-Veröffentlichung und Blog zu unterscheiden. Da das Blog-Konzept übernommen wurde, sind die Übergänge fließend. Aber die Dynamik ist eine andere geworden, seit es die Blogs gibt. Immer mehr Comic-Zeichner publizieren ihre Comics online, weil die Veröffentlichung im weltweiten Netz leichter geworden ist und nun praktisch jedermann seine eigene Seite bzw. sein eigenes Blog innerhalb kürzester Zeit gestalten und aktualisieren kann.
Die Vorteile liegen dabei auf der Hand: Es ist schnell und es ist umsonst. Dies ist für die Verbreitung von Comics eine eminent wichtige Sache. Denn während sich die Preisspirale bei den gedruckten Comics inzwischen in exorbitante Höhen bewegt und es durch die Marktzwänge immer schwieriger für Newcomer wird, ist der Weg einer kostenfreien Veröffentlichung zur Erhöhung des Bekanntheitsgrads natürlich mehr als reizvoll. Zudem kann der Zeichner den langen Weg des Klinkenputzens bei den Verlagen abkürzen und stellt seine Sachen direkt und ohne Umschweife online. Ein verändertes Leseverhalten tut sein übriges, denn immer mehr Comic-Leser nutzen auch die Möglichkeiten des Internets, um sich Comics am Bildschirm anzuschauen. Durch die regelmäßige Aktualisierung binden sich auch Leserschichten an die jeweiligen Comic-Seiten. Das potentielle Publikum eines Comics findet sich also praktisch nur zwei Klicks entfernt. Web 2.0 bietet jedem die Chance, seine Sachen zu veröffentlichen, egal wie viel Talent man besitzt – man muß es einfach nur wollen.

Linkliste: Blogliste.html

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2008
240 Seiten S/W
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