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COMIC!-JAHRBUCH 2008

Der US-Comicmarkt 2006/2007

Von Christian Endres und Stefan Pannor


Wer in den letzten zwei Jahren Auslagen in US-Comicshops bewundert hat, könnte das Ende der Zivilisation vermuten – jedenfalls im Geiste der Macher dieser Comics. Die Auslagen waren überflutet mit klangvoll-martialischen Titeln wie «Infinite Crisis», «Civil War», «Annihilation», «World War Hulk», «World War III» und dergleichen mehr. Es tobt eine Schlacht in den Comicregalen. Aber das ist ja nichts Neues.
Neu ist, daß wie im Hip-Hop mit brutalen Worten und Gesten um sich geworfen wird, um die Zuschauer zu beeinflussen und sein Gegenüber einzuschüchtern. Der US-Comicmarkt 2007 – ein Rap-Battle. Und wie bei diesen Veranstaltungen auch sind die gespuckten Töne groß, aber die inhaltliche Substanz bleibt gelegentlich auf der Strecke.


1. Eine Krise wird kommen ... und noch eine ... und noch eine. Und allen geht’s gut.
Comics im US-Fachhandel.

Der Kampf tobt dabei auf für den Leser unsichtbaren Ebenen. Im Fachhandel, weiterhin Heimat der größten Comicumsätze in den USA, machen es sich Händler und Stammkunden mit sich selbst gemütlich. Tatsächlich scheinen die Wellen der Zerstörung, die in den letzten zwanzig Jahren den traditionellen Comicmarkt mit schöner Regelmäßigkeit getroffen haben (erst das Platzen der Spekulationsblase für angebliche Comic-Sammlerobjekte, danach der Niedergang und Zerfall des Image-Verlages, zuletzt der massive Aufstieg der Manga in den USA), erst einmal abgeebbt zu sein. Die traditionellen Comicverlage, allen voran Marvel und DC, haben aufgerüstet und aus dem Direct Market, dem Netzwerk der US-Comicshops, eine uneinnehmbare Festung gemacht. 2006 und 2007 waren mithin Jahre, in denen sich Händler, Comicjournalisten und Fans erstmals wieder mit den Comics an sich beschäftigen konnten, in denen alle Mediennotizen und -skandale von den Verlagen produziert wurden und nicht vom wackelnden Markt.
Es gilt also für den Fachhandel, was bereits im Vorjahres-Report zu lesen war: «Während der Buchhandelsmarkt für Comics weiter laufenden Umwälzungen unterworfen ist (siehe unten), bieten Comicshops ein weitgehend vertrautes Muster. Relativ überschaubare Verkäufe, vorrangig im Bereich der Superhelden, bestimmen das Bild – egal, ob als Heft, Paperback oder in Form des relativ neuen Digest-Taschenbuchs (eine verkleinerte Version des Paperbacks). Manga, Comic-Strips, Independent-Comics und Comics für Kinder, im Buchhandel inzwischen tonangebend, finden im Fachhandel nur sehr begrenzt statt.»
Und auch an der Finanzfront blieb alles ruhig. Nacht-und-Nebelaktionen wie jene, als im Frühjahr 2006 sowohl Marvel als auch DC mit nur wenigen Wochen Abstand die Preise nahezu aller laufenden Serien erhöhten, blieben diesmal aus. Der durchschnittliche Preis für ein reguläres Comicheft beträgt darum weiterhin knapp 2,99 $ in den USA. Hefte für 2,50 $ und darunter gibt es praktisch nicht mehr. Die meisten Ausnahmen bilden Promotional-Issues zu Dumping-Preisen sowie speziell für Kids produzierte und über Supermärkte vertriebene Comics von Marvel, DC oder dem traditionellen Funny-Platzhirsch Archie Comics. Einzige herausragende Ausnahme im Beobachtungszeitraum dieses Artikels war die DC-Serie «52», deren insgesamt 52 Ausgaben bei normalem Umfang für 2,50 $ je Ausgabe verkauft wurde. Aber auch das war letztlich nur ein länger dauernder Promotion-Stunt, der mit der Serie zugleich endete.
Der Kunde selbst kann seine Comiceinkäufe damit sehr einfach kalkulieren. Jene 2,99 $ bilden den festen Preis, für den drei Viertel aller US-Comichefte erhältlich sind. Preisliche Ausrisse nach oben sind dabei allerdings vorhanden, vor allem bei Marvel, die wie in den Vorjahren auch Miniserien zu noch höheren Preisen auf den Markt pressen, und natürlich bei den Kleinverlagen. Weiterhin bieten diese Titel in Umfang und Ausstattung oft keinen relevanten Unterschied zu den normalpreisigen Heftserien. Im abgelaufenen Jahr publizierte Marvel etwa die Miniserie «Barracuda Max» von Garth Ennis, ein Ableger der «Punisher»-Geschichten vom gleichen Autor, für satte 3,99 $ beim marktüblichem geringen Comicanteil vom 22 Seiten. Einziger Unterschied: der verstärkte Heftumschlag, das so genannte Cardboard-Cover. Dennoch bilden diese Titel die Minderheit im Vergleich zur Masse der Veröffentlichungen. Die seit langem grassierende Befürchtung einer nochmaligen allgemeinen Preisanhebung für US-Comichefte wurde vorerst nicht zur Realität.
Wie schon in den Jahren zuvor gilt in diesen Betrachtungen als Bestseller, was mehr als 100.000 Comics pro Ausgabe verkauft. Wurde diese Marke über lange Jahre ausschließlich von Marvel und DC erreicht, so gelang es im Beobachtungszeitraum dieses Artikels erstmals einem weiteren Verlag, die Hegemonialmacht der Superhelden-Giganten zu durchbrechen.
(Die in diesem Kapitel angegebenen Zahlen berufen sich auf die vom US-Vertrieb Diamond herausgegebenen Werte und betreffen nur Comicshops in den USA und Europa, die vom Vertriebmonopolisten Diamond beliefert werden. Abgedeckt wird der Zeitraum von Juli 2006 bis Juni 2007, erfaßt wurden knapp 3.200 Comicshops in USA, Kanada und Übersee. Die Zahlen stellen keine «realen» Verkaufszahlen dar, sondern geben an, wie viele Exemplare die Verlage an die Shops verkaufen konnten – ohne Rücksicht darauf, wie schnell, wann oder ob diese Comics einen zahlenden Leser fanden. Berücksichtigt werden in diesem Kapitel ausschließlich Hefte.)
Insgesamt erreichten im aktuellen Beobachtungszeitraum 15 Ausgaben Vorbestellungswerte über 150.000 Exemplare, acht davon sogar mehr als 200.000 Exemplare, und sechs davon wiederum sogar mehr als 250.000 Exemplare. Bei diesen Top-6 handelte es sich mit einer Ausnahme durchgängig um Exemplare einer einzigen Serie: «Civil War», die schon vom Start weg alle Rekorde nordamerikanischer Comics der letzten Jahre brach und sogar das kommerzielle Dreamteam Frank Miller und Jim Lee mit ihrer extrem sporadisch erscheinenden «All-Star Batman»-Serie schlug. Inklusive aller Nachbestellungen von Händlern erreichte «Civil War» 1 (erschienen im Mai 2006) die astronomischen Verkaufszahlen von 360.172 Exemplaren. Auch für die folgenden sechs Hefte hielt dieser Trend an.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2007
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