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COMIC!-JAHRBUCH 2008

Adalbert, Möchtelmann, Pieps der Spatz und eine Ladung Kaviar
Zeitschriftencomics in der DDR

Von Guido Weisshahn

Das Medium Comic führte in der DDR ein Nischendasein. Dieser Umstand wird deutlich, wenn man sich den Umfang der Publikationen vor Augen führt, die als Träger von Comics fungierten: Es gab lediglich zwei Comiczeitschriften: Das MOSAIK, das von 1955 bis 1975 fast ausschließlich die Abenteuer der «Digedags» und seit 1976 (bis heute) der «Abrafaxe» erzählt, und ATZE, die im April 1955 als Comicmagazin mit diversen Beiträgen für verschiedene Lesealter begann und bis zur Einstellung im März 1991 neben unpolitischen Dauerbrennern wie den Mäusen Fix und Fax stets auch ideologisch durchtränkte Bildgeschichten präsentierte.

Daneben finden sich eine Handvoll Zeitschriften für verschiedene Lesealter, die während ihrer Laufzeit über weite Strecken auch Comics enthielten, weil sich die Redaktionen der Beliebtheit des Mediums nicht verschließen konnten, es andererseits aber auch zum Transport staatlich erwünschter Botschaften zu nutzen wußten. Dazu gehörten der ebenfalls noch heute erscheinende BUMMIfür die ganz kleinen Kinder im Vorlesealter, die ABC-ZEITUNG für das 1. bis 3. Schuljahr und die TROMMEL für das 4. bis 7. Schuljahr, darüber hinaus die monatlich erscheinende FRÖSI, deren Zielgruppe weniger beschränkt und die opulenter ausgestattet und gestaltet war als ihre Konkurrenzprodukte. Als Comicträger zu erwähnen blieben noch die SCHULPOST (1946–1958), UNSER ROBINSON (1954–1961) und das ausschließlich im sorbischen Sprachraum noch heute erscheinende PLOMJO. Der Fundus der in diesen Zeitschriften erschienenen Comics, grob geschätzt 20.000 Seiten, deckt etwa 80 Prozent der gesamten DDR-Comicgeschichte ab, die in dem Buch «Schuldig ist schließlich jeder ...» von Gerd Lettkemann und Michael Scholz sowie auf der Webseite www. DDR-Comics.de ausführlich dokumentiert sind. Interessieren soll uns hier das teils noch un(wieder)entdeckte Terrain jenseits dieses gut erforschten Gebietes, das etwa 5.000 Einzelfolgen in etwa 250 einzelnen Serien umfaßt. Die Illustrationen zu diesem Beitrag, die nur einen Bruchteil des Materials wiedergeben können, wurden so gewählt, daß sie sich mit den dort abgedruckten möglichst wenig überschneiden.
Bildgeschichten, wie Comics in der DDR häufig bezeichnet wurden, brauchen als Träger periodisch erscheinende Printmedien, in erster Linie Tages-, Wochen- oder Monatszeitschriften. Papier und Druckkapazitäten waren in der DDR kontingentiert, und jedes Presseorgan konnte nur nach Lizenzierung durch das staatliche Presseamt erscheinen. Das macht den Umfang der Erwachsenenpresse überschaubar und bietet uns als erste Möglichkeit einer Differenzierung die Darstellung anhand der Erscheinungsfrequenz.
Als zweiter Aspekt zur Differenzierung eignet sich die Chronologie der DDR-Geschichte. Bereits Lettkemann und Scholz unterschieden in eine erste Blütezeit in den Jahren nach dem Krieg und der Staatenteilung bis Mitte der 60er Jahre und eine Renaissance ab Mitte der 70er Jahre bis zur Wende. Hier soll versucht werden, die Ursachen dieser Entwicklung zu ergründen und sie quantitativ zu belegen. Beginnen wir also mit den wöchentlich erscheinenden Illustrierten.


Comic-Strips in der Wochenpresse

Bereits Ende 1945 hatte die NEUE BERLINER ILLUSTRIERTE (NBI) eine Lizenz erhalten, ein zunächst in schwarzweiß erscheinendes wöchentliches Blatt bürgerlichen Zuschnitts, das sehr deutlich an die BERLINER ILLUSTRIERTE angelehnt war. Dort erschienen zwischen 1946 und 1955 einige Pantomimenstrips (insgesamt 200 Folgen), deren bemerkenswerteste die beiden Serien «Herr Kannitverstahn» und «Lutz und Evchen» waren, stammten sie doch aus der Feder von Prof. Werner Klemke (1917–1994), dem später bekanntesten und international anerkannten Gebrauchsgrafiker und Buchillustrator der DDR. Sie blieben (von einer obskuren Ausnahme abgesehen) sein einziger Vorstoß ins Medium Comic.
Zwischen 1955 und 1974 blieb die NBI fast comicfrei. Erst die Einführung einer zunächst halbseitigen Seite für Kinder ebnete den Weg erneut, und auf der begann mit «Ataman Kolja» von Karl Fischer die umfangreichste Abdruckhistorie für Comics in einer DDR-Illustrierten: In den kommenden 17 Jahren bis zur Einstellung der Zeitschrift erschien dort nahezu ununterbrochen Woche für Woche eine vierfarbige Comicfolge, und die hohe Auflagenzahl sollte dafür sorgen, daß es gerade diese Comics waren, die besonders häufig rezipiert wurden und bis heute in Sammlerkreisen nachgefragt sind.
Der meistveröffentlichte Zeichner war der Berliner Heinz Jankofsky, der neben seinem Ziehvater Erich Schmitt zu den populärsten Karikaturisten der DDR zählte, sich aber nie zu fein war, mit seinen knollennasigen Figuren Geschichten für Kinder zu erzählen. Nachdem er zunächst die Kinderbücher «Zauberer Hottab» (nach Lasar Lagin), «Das goldene Schlüsselchen» (als «Burattinos Abenteuer»), «Münchhausen», «Nimmerklug im Knirpsenland» und eine Fabelsammlung adaptiert hatte, brachte er von 1984 bis 1991 mit «Rolf und Rudi» einen DDR-Normalbürger und seinen Hund in 143 kurzen Episoden mit Pointe aufs Papier. Ähnlich produktiv war der Brandenburger Lehrer und Pressezeichner Eugen Gliege, der zunächst diverse Märchen der Gebrüder Grimm, später Till Eulenspiegel und Tierfabeln sowie mehr als 70 Kinder- und Volkslieder in einem kindgerechten, für das anspruchsvolle Auge jedoch sehr schlicht wirkenden Stil adaptierte.
Weitere bemerkenswerte Comics der NBI-Zeit waren die knuddeligen «Matufflis» der Gebrüder Schmitt, die zwischen 1975 und 1988 in vier Staffeln erschienen, «Flitzi» des Dresdner Grafikers Jürgen Günther, der mit «Otto und Alwin» für die FRÖSI eine der populärsten Comicserien der DDR geschaffen hatte, und zwei Serien des Grafikers und Illustrators Heinz-Helge Schulze, der mit «Adalbert» seinem Wunsch nach sorgsamem Umgang mit der Natur Ausdruck verleihen konnte und mit «Geheimnisvoller Strom» einen Roman von Rudolf Wenk adaptierte.

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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2007
232 Seiten S/W
EUR 15,25
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