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COMIC!-JAHRBUCH 2007

Herausragendes Artwork:
«Borderland» von Moki (in Panik Elektro 3)

Interview von Clemens Heydenreich

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Grenzgebiete faszinieren. Sind sie doch gleichermaßen Zonen des Miteinander wie des Gegeneinander: Über Grenzen hinweg findet ein Austausch statt, der beide Seiten befruchten kann – der sie aber zugleich ihrer jeweiligen Eigenheiten versichert, so daß sie nicht ineinander aufgehen und die Grenzen tilgen müßten.
Jenes «Borderland», das Moki auslotet, ist ein seelisches: das Gebiet an der Grenze zwischen einem Individuum und dem anderen. Ihr Beitrag behandelt also das Titelthema von «Panik Elektro 3 – Lovestories» auf denkbar abstraktester Ebene.

Ein Grenzgebiet hat aber auch die ICOM-Jury betreten, als sie «Borderland» den Preis für ein «Herausragendes Artwork» zuerkannte. Denn Moki lotet darin auch die Grenzen des Mediums Comic aus – und zwar von außen. Dies führt dazu, daß ein Leser sich «Borderland» umso schwerer als Comic erschließen kann, je mehr er dabei auf comic-interne Lesegewohnheiten vertraut. So kommt die Geschichte erstens ohne Text aus. Daß sie, zweitens, überhaupt eine Geschichte ist, scheint sich zunächst einmal dadurch nahezulegen, daß es kompositorische Brückenschläge über die Bildgrenzen hinweg gibt (man denkt an Split-Panels) – doch gerade dies läßt einen das ganzseitige Einzel-Bild als Einzel-Panel mißverstehen und verstellt den Blick dafür, daß sich auch innerhalb (fast) jeder Seite zeitliche Sequenzen abwickeln.
Und dieser Blick fällt nochmals umso schwerer, als – drittens – gerade wiederkehrende Figuren nicht immer wiedererkennbar sind. Denn just daß sie ihre Gestalt verändern, das gehört wiederum zum Kernthema der Geschichte. Man kann also vermuten: Was an «Borderland» sequenziell ist (und somit «lesbar»), das erschließt sich vielleicht am raschesten, wenn der Rezipient zunächst einmal glaubt, nicht etwa Leser einer Sequenz zu sein, sondern Betrachter einer Serie in sich dynamischer Bilder. Mit etwas Glück wird aus seiner Lektüre dann auch eine Meditation über jene Grenzen, die die (Seh-)Konvention zieht.
Wenn sich Mokis Gesamtwerk überhaupt auf einen Nenner bringen läßt, dann wohl auf den einer solchen Meditation. Die Wahl-Hamburgerin, die 1982 im sauerländischen Brilon geboren wurde und seit 2001 Freie Kunst bei Pia Stadtbäumer an der «Hochschule für Bildende Künste» (HfbK) studiert, hat schon jeder erdenklichen Kunstsparte in den Werkzeugkasten geguckt – und sich mit großem Können daraus bedient. Das zeigt ihre internetweit bestaunte und verlinkte Webseite «www. mioke.de»: Als Produkte einer spielerischen Ironie kommen da etwa selbstgenähte Stofftierskulpturen oder die interaktive Videoinstallation «twittering lights» daher (eine Sammlung handygefilmter Lampen mit Wackelkontakt). Verträumten Ernst indes strahlen illustrierte Gedichte ebenso aus wie fotorealistische Acrylgemäldeserien mit Naturkulisse: In «Whispers» schmiegen sich menschliche Figuren harmonisch in halbtotal fokussierte Naturausschnitte ein, «Blcksnw» zeigt Landschaftstableaus von majestätischer Blickweite, denen Schattenwesen entsteigen wie Naturgeister in einem Trickfilm Hayao Miyazakis. Für die Animationsfirma «Trikk 17» hat Moki auch ein eigenes Trickfilm-Projekt namens «Midori» begonnen: in ihm erkennt der «Borderland»-Leser manche Figur wieder.
Grenzen setzt Moki im übrigen auch der biographischen Journalisten-Neugier: Ihren «richtigen» Vornamen – Corina – gibt sie preis, ihren Nachnamen nicht. Auch bei der ICOM-Preisverleihung in Erlangen ist sie nicht aufgetreten. «Ich bin gerne unsichtbar, wenn’s um so unangenehme Sachen wie Preisverleihungen geht», mailt sie mir – mit einem augenzwinkernden Emoticon.

COMIC!: Wer verbirgt sich hinter der Künstleridentität «Moki»? Könntest du etwas zu deiner Herkunft und deinem künstlerischen Werdegang erzählen – und wie du derzeit lebst und arbeitest?

Moki: Ich bin mit meiner neunköpfigen Familie und zahlreichen Haustieren in einem kleinen, spießigen Dorf in einem großen hügelreichen Waldgebiet großgeworden. Im Winter konnten wir in meterhohe Schneeverwehungen Höhlen graben, im Sommer haben wir Banden gegründet und uns Baumhäuser gebaut. 
Ich habe mal ein Bild gezeichnet, auf dem es regnete. Meine Kindergärtnerin lobte mich dafür, so daß ich mir das Bild lange ansehen habe und geschlossen, daß ich gut zeichnen könne.
Ich hab dann einfach immer gezeichnet. Mit Vorliebe Hexen und Piraten, ich hab mir Cartoons im Fernsehen und die Fantasy-Comics meiner Brüder angesehen. Aber eigentlich hab ich immer aus der Phantasie gezeichnet. 
In meiner Pubertät habe ich mich oft zurückgezogen, weil ich manchmal nichts mit Menschen anfangen konnte, und so alles ausprobiert, was das Haus zu bieten hatte; ich habe im Hobbykeller meines Vaters geschnitzt und Sachen gebaut, alle Musikinstrumente, die den Proberaum füllten, zu lernen begonnen, ich hab geschrieben, genäht, photographiert, mit Pappmaché und Speckstein Dinge geformt, mit Freunden Comics gezeichnet, und nicht zuletzt hab ich mit verschiedenen Materialien zu malen begonnen.
Gegenwärtig stehe ich kurz vor dem Diplom an der HfbK, an der ich mit Unterstützung der Studienstiftung des Cusanuswerks studiere.
Ich engagiere mich fürs «Hinterconti», ein kleine Offgalerie im Karoviertel, ich bin Teil des internationalen Netzwerkes «From bee to bee», einer Gruppe von Frauen, die jedes Jahr ein Buch namens «Spring» mit Zeichnungen publizieren, und seit diesem Jahr auch bei der Comicanthologie Orang, die bei Kikipost erscheint, eingeladen. Ende September erscheint dort meine erste Monographie, welche «Asleep in a foreign place» betitelt ist.



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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2006
232 Seiten S/W
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