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COMIC!-JAHRBUCH 2007

Die Generation «Monogatari» lebt
Erlangen trotzt mit Erfolg der Fußball-WM
Eine Festival-Bilanz

von Martin Frenzel

Erlangen schaffte es – trotz massiver Konkurrenz durch die Fußball-WM – wieder einmal, sein Stammpublikum in den Bann zu ziehen: Der 12. Internationale Comic-Salon (15. bis 18. Juni 2006) geriet, und dies nun schon im 22. Jahr seines Bestehens, zum comickulturellen Glanzpunkt des Jahres, der weit über die Grenzen der fränkischen Hugenotten-Stadt Maßstäbe setzt. Am Ende des Salons konnten Bodo Birk und sein agiles Festivalteam auf ein alles in allem gelungenes Ereignis zurückblicken: Ein Festival, bei dem erstmals in so umfassender Manier die «Generation Monogatari», jene jungen deutschsprachigen Comic-Erzähler wie Flix, Mawil oder Isabel Kreitz im Blickpunkt der Öffentlichkeit standen. So paradox es klingt: Gerade diese neue, erzählfreudige und erfrischend kecke Comic-Generation made in Germany, der in Erlangen 2006 die Hauptausstellung gewidmet war, könnte in Zukunft eine völlige Verdrängung europäischer Comic-Traditionen durch die Manga-Welle verhindern helfen. Die Präsentation deutschsprachiger Comic-Autoren in Erlangen darf keine Eintagsfliege bleiben, sondern sie muß zur dauerhaften Einrichtung werden.

Selten standen die deutschen Comic-Autoren derart im Erlanger Blickpunkt wie diesmal, selten auch hatte man das Gefühl, hier eine wirklich nachhaltige, nicht mehr rückholbare und dauerhafte Neue Deutsche Comic-Welle zu erleben. Anders als beim «deutschen Sommer» des Comic-Salons von 1990, der damals eher wie Stückwerk wirkte, gelang das Wagnis diesmal auf Anhieb: Die «Generation Monogatari» – benannt nach jener Berliner Künstlergruppe, zu der u.a. Mawil und Jens Harder gehören – machte ihrem Namen alle Ehre und bildete das Rückgrat des diesjährigen Erlanger Comic-Salons. Dieser Begriff – das japanische Wort für «Geschichten erzählen» – wirkt wie das treffende Synonym für eine lange Zeit in deutschen Landen schmerzlich vermißte Erzählfreude.
Endlich scheint eine ganze Generation begriffen zu haben, worauf es beim Prinzip Bildgeschichte (Dietrich Grünewald) ankommt: Aufs grafische Erzählen, auf das Erzählen in und mit Bildern. So bildeten die «Germanischen Comic-Erzähler» in der Heinrich-Lades-Halle keineswegs ein Randphänomen, sondern das Herzstück der auch diesmal wieder rundum gelungenen Ausstellungsbiennale. Wer die «Schau der Deutschen» durchlief, traf auf eins der größten Talente der deutschsprachigen Comicerzähler-Generation: auf Flix, dessen selbstironisch-autobiografischer «Held»-Zyklus zu den Sternstunden deutschsprachiger Eigenproduktionen zählt. Oder auf eine glänzend aufgelegte Comic-Erzählerin wie Isabel Kreitz, Jahrgang 1967, die vor Jahren mit der «Entdeckung der Currywurst» nach dem Roman von Uwe Timm für Aufsehen sorgte und nun ihre erste Erich-Kästner-Adaption («Der 35. Mai»), bewußt in Anlehnung an die Arbeiten des legendären Kinderbuchillustrators Walter Trier, vorlegt. Von ihr darf man in Zukunft einiges erwarten – u.a. die Kreitz’sche Comicadaption des Thomas-Mann-Klassikers «Die Buddenbrooks». Ebenso wie Kreitz straft Uli Oesterle, Jahrgang 1966, diejenigen Lügen, die schon immer wußten, daß aus deutschen Landen nur komisch gezeichnete Comic-Geschichten, nie aber realistische Werke kommen. Oesterles bizarr-groteske Detektiv- und SF-Geschichten in seiner Serie «Hector Umbra» zeigen eine Qualität, die – siehe auch Flix und Kreitz – sich ohne weiteres mit der europäischen Champions League in Frankreich/Belgien messen kann.
Auch der Max-und-Moritz-Preisträger Ulf K. spiegelt die neue Lust am Erzählen dieser Generation, die Florian Illies auch die Generation Golf genannt hat, wider: Ulf, der sanfte Comic-Poet, hat eine rechtsrheinische Variante der Ligne Claire mit einem ganz eigenen Charme entwickelt. Thomas von Kummant hat mit seiner Comic-Adaption von Hohlbeins «Chronik der Unsterblichen» grafisch Maßstäbe gesetzt und rundete in einer eigenen, Fantasy und Magie bietenden Ecke der Ausstellung das vielfältige Kaleidoskop deutschsprachiger Comic-Kultur ab.
Neben den «fantastischen Fünf» (Kreitz, Ulf K., Oesterle, Flix und von Kummant) kamen erstmals auch die jungen deutschen Manga-Zeichnerinnen in einer großen Ausstellung zum Zuge: So entpuppten sich die Arbeiten dieser oft blutjungen Künstlerinnen – Judith Park, Ying Zhou Cheng und DuO, aber auch FahrLight, Anike Hage und Christina Plaka, Nina Werner und Gina Wetzel – grafisch auf einem hohen Niveau wie man es normalerweise in diesem jungen Alter kaum zu sehen bekommt.
Fazit: Das Wagnis, einmal vor allem auf die Karte deutsche Eigenproduktionen zu setzen und diese gar in den Mittelpunkt des gesamten Festivals zu rücken, muß als rundum geglückt bezeichnet werden. Man kann die Veranstalter nur zu ihrem Mut beglückwünschen und sie ermuntern, diese vielversprechende Generation Monogatari weiter in den Fokus des Festivals zu rücken. Zum ersten Mal gewann man in Erlangen das Gefühl, ein Alleinstellungsmerkmal – Comic-Kultur made in Germany – zu erleben, ohne jahrelang notwendige starke Pfeiler frankobelgischer, US-amerikanischer und zuletzt japanischer Dominanz. Mit anderen Worten: Die Macher des Festivals um Bodo Birk sind gut beraten, neben der internationalen, auch in Zukunft unverzichtbaren Orientierung künftig den Trumpf deutscher Eigengewächse auszuspielen – stärker und viel offensiver als bisher.



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