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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2005
224 Seiten DIN A4, S/W
EUR 15,25
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Preisträger 2005 Bester Independent Comic:
«Blue Moon of Kentucky»
von Stefan Atzenhofer
Ein Porträt

Von Achim Schnurrer


Zuerst ein paar Worte zum Cover von «Blue Moon of Kentucky». Auf dem Umschlagbild blickt uns mit leicht melancholischem Ausdruck ein junger Mann entgegen, dessen grob, aber dennoch präzise gezeichneten Gesichtszüge eine unverkennbare Ähnlichkeit mit Stefan Atzenhofer, Autor und Zeichner des Albums, aufweisen. Zwei Merkmale weichen in dieser Darstellung jedoch von der wirklichen Person ab, so wie ich sie in Erinnerung habe. Es ist schließlich nur ein paar Tage her, daß wir uns im stadtbekannten Nürnberger Café Kröll am Hauptmarkt getroffen haben. Zum einen die Haar-Tolle auf dem Kopf, zum anderen der Mantel oder Umhang, der der Figur um die Schultern liegt – das könnte glatt ein mit einem Hermelinkragen besetzter Krönungsmantel sein.
Die Tolle würde auch Hansrudi Wäschers Sigurd gut stehen und in Verbindung mit dem Umhang wird klar: Hier geht es um den King of Rock ’n’Roll, aber einen, der nicht Elvis heißt.

Es ist das Demokratische an Rock’n’Roll, daß es zwar einen unumstrittenen König gibt, daneben aber auch Platz ist für zehntausendundeine weitere Majestät. Jeder, der drei Griffe auf der Gitarre beherrscht, ein paar Läufe auf dem Baß hinbekommt oder einigermaßen auf Snare und Hi-Hat den Takt zu halten vermag, kann zum König werden. Sei es für die sprichwörtlichen fünfzehn Minuten oder – zum Held für einen Tag ...
Interessanterweise hat Atzenhofer diese ebenso eindeutige, wie vielschichtige Figur in Schwarzweiß angelegt, wobei das Weiß kein reines, strahlendes Persil-Weiß ist, sondern fleckig irgendwo zwischen Weiß und Beige changiert. Das wirkt alt, angestaubt, vergilbt und entspricht dem nostalgischen Charakter der Geschichte. Wobei die Nostalgie hier nur eine weitere Bedeutungsebene ist, ein weiteres Zeichen. Denn in der Zeit, in der Atzenhofers Geschichte angesiedelt ist, war der klassische Rock’n’Roll für die einen schon seit langer Zeit tot, für die anderen ein dankbares Objekt für ein Revival. Der König ist tot, es lebe der König!
Im Widerstreit der Erinnerungsbilder kämpfen schwarzweiße Eindrücke mit denen einer unnatürlichen Farbigkeit. Der Zahn der Zeit nagt auch am Blau von Kodak-Color, das ins Blaßgrünliche rutscht, während sich in Agfa-Bildern die Rot- und Gelbtöne zu grellen, unwirklichen Farbflecken verdichten, von beinahe psychedelischer Anmutung. Unsere Phantasie speist sich ebenso aus vorgegebenen Bildern und der Erinnerung, und das festgehaltene Bild prägt sie oft mehr als der flüchtige Eindruck eines tatsächlichen Ereignisses.
Das zweite zentrale bildnerische Element des Covers kommt in solch merkwürdig verschobenen Farben daher, ohne daß Stefan Atzenhofer versucht, die sattsam bekannten Farbveränderungen alter Agfa- oder Kodakfotografien zu imitieren. Er entwickelt hier seine eigene Sprache. In diesem Abbild einer dörflichen Idylle verrät der Zeichner ein wenig vom Inhalt des vorliegenden Albums. Wie bei einem gutgemachten Kino-Trailer lüpft er ansatzweise den Vorhang, ohne auch nur das Geringste zu verraten.
«Blue Moon of Kentucky», der Titel bekommt in dem bunten Bildteil eine Unterschrift: «Metzgerei Wunder» steht auf einem im Verhältnis überdimensionierten Schild, das an einem der Häuser hängt. Das Wort «Wunder» ist in der Weise unterstrichen, daß das Schild an seiner dünnen, fragilen Aufhängung wirkt wie ein Beil, ein Fallbeil ... Oh ja, es sind Wunder, die den Betrachter und Leser in diesem Band erwarten. Die Wunder eben, die eine dörflich geprägte Einöde bereithält für junge, musikbegeisterte Männer, in deren Köpfen sich längst andere Lebenswege abzuzeichnen beginnen – weit weg von der Provinz.


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