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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2005
224 Seiten DIN A4, S/W
EUR 15,25
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COMIC!-JAHRBUCH 2006

Peter Schaaff:
Mit «Andi» wider den braunen Sumpf
oder: Wie der Verfassungsschutz NRW den Comic entdeckt

Von Martin Frenzel


Es ist, wie er betont, sein erstes wirklich großes Comic-Projekt: Der Düsseldorfer Comic-Künstler, Illustrator, Cartoonist und Trickfilmer Peter Schaaff präsentiert im Rahmen des Unternehmens «Codex» («Comic für Demokratie und gegen Extremismus») mit dem in einer Gesamtauflage von 100.000 Exemplaren erschienenen Heft «Andi» eine Bildergeschichte der besonderen Art. Ist doch das jetzt erschienene 36seitige Heft im DIN-B5-Format nicht nur ein gelungener Aufklärungscomic wider Fremdenhaß, Rechtsradikalismus und Rassismus, der sich gezielt an Kids und Jugendliche an den Schulen Nordrhein-Westfalens richtet (der Comic «Andi» selbst ist nur 23 Seiten lang, die restlichen Seiten enthalten Materialien über das Grundgesetz, Rechtsextremismus und rechtsextremistische Symbole, Adressen von Ansprechpartnern und ein Preisausschreiben).

Das Comic-Projekt «Codex» verdient auch deswegen besondere Beachtung, weil hier der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen als Ideengeber und Herausgeber des ersten Comic-Projektes einer deutschen Verfassungsschutzbehörde überhaupt firmiert. Bemerkenswert ist zudem, daß die Düsseldorfer Behörde das jahrzehntelang mißtrauisch beäugte Medium Comic als geeignetes Mittel ansieht, Jugendliche vor den Gefahren des Rechtsextremismus zu warnen.
Hintergrund sind Erkenntnisse der Verfassungsschützer, wonach die Neo-Nazis deutschlandweit und in hoher Auflage kostenlos CDs mit rechtsextremer Musik und AgitProp unters Schülervolk bringen wollen. Die jüngste, erfolgreiche Beschlagnahmung von rechtsextremen CDs im Bundesland Brandenburg durch die Polizei, wo ein ganzes CD-Lager ausgehoben wurde, zeugt davon, wie akut die Gefahr von ganz rechts ist.
Bemerkenswert ist zudem die Tatsache, daß das Innenministerium NRW verschiedene Comic-Plots vorher an verschiedene Schulen mit 100 Schülern testen und darüber sogar abstimmen ließ – und Peter Schaaffs Comic-Idee bei diesem landesweiten «Voting» den Zuschlag erhielt.


Peter Schaaff: Vom Hausbesetzer zum
Screen-Designer

Wenn man den Düsseldorfer Comic-Zeichner Peter Schaaff in seiner Dachwohnung im Düsseldorfer Stadtteil Flingern besucht, dann fällt einem zuallererst das multikulturelle Milieu jenes Stadtteils auf, in dem der Macher des «Andi»-Comics lebt, wohnt und arbeitet. «Flingern ist ein alter Arbeiterstadtteil, heute leben hier viele Einwanderer, türkische Kebab-Buden und andere Geschäften dominieren, ebenso Studenten.» Mit anderen Worten: Ein Viertel, das vermutlich in zehn Jahren eine ähnliche Entwicklung durchlaufen haben wird, wie das bei smarten Mittelständlern heute «trendige» Hamburger Schanzenviertel.
Geboren wurde Peter Schaaff am 8. Juni 1962 in Düsseldorf («Ich bin hier nie richtig weggekommen»), war in seiner Jugend- und Adoleszenzphase Punker und Teil der hiesigen militanten Hausbesetzerszene. Was für Hamburg die Hafenstraße ist, ist für Düsseldorf die Kiefernstraße. In dieser Sturm-und-Drang-Phase seines Lebens nahm Schaaff nicht nur Tuchfühlung mit der Polizei, sondern auch mit den Neo-Nazis. «Insofern ist das Thema Rechtsextremismus auch etwas, was ich schon sehr früh und hautnah selbst erlebt habe. Ich fand das Thema bei Andi gleich toll.» In seiner wilden Hausbesetzerzeit habe er mal erlebt, «wie vier Glatzen aus dem Auto in der Kiefernstraße eine Rohrbombe warfen und wir haben damals auch gegen NPD-Versammlungen demonstriert.» Einmal sei er – zusammen mit dem Comic-Zeichner Dirk Tonn und seiner Freundin – in einen Hinterhalt geraten und von einer Gruppe Neo-Nazis verdroschen worden.
Sein Grafik-Design-Studium an der Düsseldorfer Kunsthochschule brach er ohne Abschluß ab («Außer Aktzeichnen und einigen Illustrationskursen war das nix für mich»), verdingte sich fortan als freiberuflicher Künstler für diverse Agenturen und Computerspielefirmen als Grafiker und Illustrator. Eine Agentur mit fünf Grafiker-Kollegen und dem skurrilen Namen «2,2 Herr Kollege» brachte immerhin interessante Erfahrungen im ungeliebten Werbebereich: Es kamen hier meist Aufträge aus dem öffentlichen Bereich, aber auch im Bereich Computerspiele, Handyspiel für Marlboro und PC-Spiele für die LBS.
Beim WDR jobbte er als Zeichner der Wetterkarte, sodann folgte bei «Super-RTL» der erste richtig große Job, eine Familien-Gameshow, bei der Schaaff die Quizfragen illustrieren durfte. Schaaff sagt dazu: «Das war sehr lukrativ, leider wurde die Moderatorin schwanger, und dann war Schluß.» Nach einem Intermezzo als Halbtags-Unternehmensberater und einer Phase der Arbeitslosigkeit ließ er sich vom damaligen Arbeitsamt in Düsseldorf zum Screendesigner umschulen und verdingte sich in Köln beim Familieninternetportal urbia.com. «Ich habe da Animationen, Cartoons und andere Illustrationen und Printsachen gemacht.» Neben der Gestaltung von Grußkarten und Fotos war Schaaff in dieser Phase seines Schaffens auch für Disney tätig.


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