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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2005
224 Seiten DIN A4, S/W
EUR 15,25
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COMIC!-JAHRBUCH 2006

Von Mäusen, Enten und anderen Viechern
oder: Wo kommen all die Comic-Tiere her?
Ein Streifzug durch die Geschichte der
anthropomorphen Comic-Tiere

Von Jörg Petersen


Donald Duck, Fritz the Cat, Inspektor Canardo – die Seiten der Comics sind bevölkert von einem vielfältigen Zoo der vermenschlichten Tiere. Ob Enten, Mäuse, Katzen, Schweine oder gar Insekten – es gibt kaum eine Spezies, welche die Zeichner nicht angeregt hat. Mal unterhalten sie ob ihres Kindchenschemas Heranwachsende, dann wieder dienen ihre scheinbar harmlosen Tier-Gesichter als Masken, hinter denen sich subversive Inhalte verbergen.
Die Wurzeln der vermenschlichten Tiere liegen in der hybriden Kunst des Grotesken, sowie in der Fabelwelt. Ihren satirischen Charakter haben die anthropomorphen Wesen in der Folge nicht immer behaupten können. Die grotesken Ursprünge in römischen Grotten, sowie wichtige Beispiele des visuell-narrativen Streichelzoos beleuchtet dieser Artikel.


Groteske

Die etymologischen Wurzeln des Begriffes «Groteske» liegen in Italien: «Ausgrabungen im ausgehenden 15. Jahrhundert hatten Räume in Neros Domus Aurea zu Tage gefördert, die mit ungewöhnlichen Ornamentformen aus heterogensten Elementen – pflanzliche Motive, Tier- und Menschenfiguren, Vasen, Kandelaber, Architekturelemente – ausgeschmückt waren. Für die Wanddekorationen dieser unterirdischen Räume, die man irr-tümlicherweise für Grotten hielt, prägte man den Begriff grotteschi, Grotesken.»1
Die Doppelnatur der dort aufgefundenen Mischwesen – halb Mensch, halb Tier – bestimmte in der Folge die Charakterisierung der grotesken Kunst: «Als Genre für ornamentale Wandmalerei entstanden, gewann der Begriff des Grotesken als allgemeiner Ausdruck des Monströsen und der willkürlichen Verbindung heterogenster Elemente schon bald Bedeutung für andere Bereiche der Kunst, namentlich die Satire und die Karikatur (...) Das Groteske läßt sich in das Grotesk-Komische, das Burleske, und das Grotesk-Abgründige unterscheiden, gleichsam die Nacht- und Tagseite der Komik, denn immer geht es um das Lachen, das heitere, das höhnische und das von Angst befreiende Lachen.»2
So trägt die groteske Kunst einen Januskopf, dessen eines Gesicht den Humor markiert, das andere den Schrecken. Allerdings sind beide Merkmale nicht immer strikt voneinander geschieden, sondern gehen ineinander über. John Ruskin, bedeutender Kunst-Theoretiker des 19. Jahrhunderts, beschreibt dieses Phänomen: «Das Groteske teilt sich in zwei Zweige, das scherzhaft Groteske und das schreckhaft Groteske; aber wir können es nicht kategorisch nach diesen beiden Gesichtspunkten trennen, weil es kaum ein Beispiel gibt, das nicht in gewissem Maße beide Elemente verbindet. Es gibt wenige Grotesken, die so spaßig sind, daß ihnen nicht eine Spur von Schreckhaftigkeit anhaftete, und wenige, die so absolut furchtbar sind, daß sie jeden Gedanken an Scherz ausschließen.»3
Ein solch dualistisch-bizarrer Charakter erzeugt zwangsläufig die Opposition zum klassisch-naturalistischen Kunstverständnis. Harald Falckenberg schreibt: «Das Groteske bildet eine Gegenwelt zu den zivilisierten Formen des Wahren, Schönen und Guten und steht für das Archaische, Fremde, das Andere, jenseits der Ordnung und Identitätslogik Verortete. Den Konventionen und Prinzipien der Hierarchisierung, Polarisierung und Kategorisierung setzt das Groteske Zufall, Deterritorialisierung und Decodierung entgegen. Ungeordnet-Unsystematisches unterläuft das System. Mit dem Klassisch-Apollinischen steht das Grotesk-Dionysische im Widerstreit. Die wichtigsten Mittel des Grotesken sind Inversion, Verzerrung und Vermischung, kulminierend zu einem Gesamtentwurf der «Verkehrten Welt»»4
Es ist also nicht verwunderlich, daß der klassische, römische Kunstschriftsteller Vitruv urteilte: «Solches Zeug aber gibt es nicht, wird es niemals geben und hat es auch nie gegeben. Denn wie kann ein Stengel in Wirklichkeit ein Dach tragen oder ein Kandelaber den Schmuck eines Giebels, wie eine so zarte und schwache Ranke eine darauf sitzende Figur, und wie können aus Wurzeln und Ranken Wesen herauswachsen, die halb Blume, halb Figur sind?»5
In den folgenden Jahrhunderten hat sich die Rezeption des Grotesken durchaus gewandelt. Unter anderem waren prominente Theoretiker wie Jean Paul oder Charles Baudelaire dafür verantwortlich. Gregor Wedekind urteilt: «Das Groteske als ästhetisches Prinzip hat in den letzten Jahrzehnten eine immense Aufwertung erfahren. Von einem randständigen Phänomen ist es durch zahlreiche Untersuchungen insbesondere von Literaturwissenschaftlern zu einer Art Generalschlüssel der ästhetischen Verfassung der Moderne erhoben worden.»6 Wedekind sieht die groteske Kunst als Spiegelbild unserer grotesken Realität: «Wie die Moderne als eine groteske Epoche par excellence erscheint, so erscheint das ästhetisch Groteske als der einzig ihr angemessene Ausdrucksmodus: Das Groteske ist dann als Darstellung von grotesker Wirklichkeit realistische Gestaltung.»7


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