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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Oktober 2005
224 Seiten DIN A4, S/W
EUR 15,25
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COMIC!-JAHRBUCH 2006

Tempo machen
Überlegungen zu Zeit und Rhythmus
im Comic

Von Nina Mahrt


Ohne den Faktor Zeit, ohne Tempo und Dynamik wäre der Comic undenkbar und die Faszination, die er ausübt, nicht nachvollziehbar. Wer als Kind, wie es wohl bei den meisten der Fall ist, die Begeisterung für den Comic entwickelt, wird sicher vor allem von Action und Abenteuer angezogen. Und wenn die Handlung nicht schnell genug in Gang kommt, werden eben die Kästen mit Erzähltext in Enten- und Mäusegeschichten übersprungen und allzulange Sprechblasen von Römern und Galliern allenfalls angelesen. Ganz intuitiv entwickelt man also ein Gefühl für Längen und weiß sich ohne weiteres zu helfen, das heißt, den Comic zu beschleunigen.

Offensichtlich hat es somit jeder Leser selbst in der Hand, das Tempo seines Comics zu bestimmen. Er sitzt nicht vor einem Film, der unabhängig vom Betrachter gleichförmig abläuft, sondern er muß die Geschichte selbst zum Laufen bringen, und niemand schreibt ihm die Geschwindigkeit vor. Und trotzdem kann man einiges über die Gestaltung von Zeit im Comic sagen, die der Künstler vornimmt. Immerhin hat der Leser das Interesse, die Geschichte zu erfassen und mitzuerleben – denn nicht zuletzt das macht den Comic so reizvoll.
Der Faktor Zeit ist in doppelter Hinsicht ein bestimmendes Merkmal für den Comic. Wie alle Erzählformen stellt er reale oder fiktive Vorgänge dar, die eine innere zeitliche Struktur, eine Handlungschronologie aufweisen. Ebenso nimmt die Erzählweise des Comics Zeit in Anspruch und wandelt die Handlungschronologie in eine Bildfolge um. Da die Lektüre der Bilder in der Regel einer vorgegebenen Reihenfolge entspricht und somit jedes Bild zugleich einen neuen Handlungsabschnitt eröffnet und weitere Lesezeit beansprucht, weist der Comic nicht nur inhaltlich, sondern auch formal eine Zeitstruktur auf.
Aber nicht nur die Bildfolge eines Comics weist eine bestimmte Ordnung im Sinne einer Chronologie auf, in der jedem Panel ein Zeitpunkt zugewiesen werden kann. Vielmehr läßt sich auch innerhalb der Einzelbilder oft eine zeitliche Abfolge von verschiedenen sprachlichen und bildlichen Elementen erkennen. Auch Einzelbilder können also eine Handlung darstellen, die inhaltlich wie formal durch einen vorgegebenen Zeitablauf bestimmt ist: Der «Zuckerfisch»-Comic gibt eine komplexe und relativ lange Handlung in nur einem Panel wieder. Es ist also offensichtlich, daß dieses keinen bloßen Momentausschnitt enthält, wie die Sprechblasen auf den ersten Blick erkennen lassen. Aber auch die reinen Bildelemente sind nicht in einem gemeinsamen Augenblick der Handlung eingefroren. Sie können vielmehr dem Handlungszeitraum, der aus den Sprechblasen erkennbar ist, zugewiesen werden. Die meisten Figuren lassen sich anhand der Mund- oder Körperhaltung jeweils ihren sprachlichen Äußerungen, vielleicht sogar einem genauen Moment zuweisen. Am besten gelingt dies wohl bei dem abgebildeten Kind und dem Griff nach den «Bonbons».
Auch wenn dieses Panel ein extremes Beispiel liefert, sind Comics, deren Panels jeweils nur genau einen Moment darstellen, streng genommen die große Ausnahme. Schon die Verwendung von Sprechblasen und Speedlines – zwei Darstellungsmittel, die als typisch für den Comic gelten – macht eine solche Zeitstruktur zunichte, weil sie einem Bild zeitliche Dauer zuweisen. Viele Bilder vereinen darüber hinaus mehrere aufeinander folgende Handlungsabschnitte: Frage und Antwort, Aktion und Reaktion, Ursache und Folge.


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