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Burkhard Ihme (Hrsg.)
November 2004
224 Seiten DIN A4, S/W
EUR 15,25
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COMIC!-JAHRBUCH 2005

Onkel Jup und die Comicforschung
Ein Interview mit Eckart Sackmann

Von Burkhard Ihme


COMIC!: Wann ist dein Interesse an Comic-Forschung entstanden?

Eckart Sackmann: Ich habe 1974 mein Staatsexamen in Kunsterziehung mit einem Comicthema gemacht und dazu eine 60seitige Hausarbeit geschrieben. Das war damals noch eine echte Pionierleistung: Die Literaturliste umfaßte ganze 24 Titel! Anfang der 70er Jahre erschienen gerade die ersten Bücher mit Sekundärliteratur, und in der Hamburger Kunstbuchhandlung Sautter & Lackmann konnte man auch amerikanische Werke über Comics bekommen. In dieser Zeit bin ich wohl vom reinen Konsumenten zu jemand geworden, der sich für das Woher und Wie der Comics interessiert.
Fuchs/Reitberger schrieben Barks damals noch mit x, also tat ich es natürlich auch. Man weiß so wenig. Andererseits hatte ich schon festgestellt, daß die Tradition des Comic weit über Hogarth und Busch hinausgeht. Es ist lustig, diese Arbeit heute wieder zu lesen; sie ist ein richtiges Zeitdokument über den damaligen Wissensstand.
Ich habe dann nach diesem Examen ein Jahr in Paris gelebt, gerade als die ersten Hefte von MÉTAL HURLANT herauskamen. Sehr beeindruckend, wie überhaupt das französische Comicangebot. Allerdings war ich nicht ganz bei der Sache, denn ich steckte bis über beide Ohren in der «richtigen» Literatur. Es folgte dann auch eine Comic-Pause von einigen Jahren, in der ich mehr Goethe und Shakespeare studierte als Barks und Moebius. Anfang 1979 bekam ich die Comic-Bibliografie von Peter Skodzik zum Geburtstag geschenkt; das war eine neue und dauerhafte Zündung.

COMIC!: Bereits in der Ur-COMIXENE wurde in ersten Artikeln nach den Wurzeln der Comics in Deutschland geforscht. Was war dein Anteil daran?

Eckart Sackmann: Die 70er Jahre waren das Jahrzehnt der Nostalgie. Wir erinnerten uns an das, was wir früher gelesen hatten. Die Comics lagen nicht allgemein verfügbar herum, sie wollten ausgegraben und entdeckt werden, auf Flohmärkten, im Sperrmüll und auf Dachböden. Diese Wühlarbeit empfand ich als sehr spannend, und anderen ging es genauso.
In der alten COMIXENE standen Artikel über alte deutsche Comics gleichberechtigt neben der Vorstellung neuer Entwicklungen. Wer über alte Comics schrieb, tat das aus sehr persönlichem Interesse. Mein Spleen war damals die Serie «Mecki», die mich durch meine Kindheit begleitet hatte. Zusammen mit Manfred Reinhardt gründete ich einen Mecki-Fanclub und das Fanzine STACHELKOPF. Für dieses Blättchen suchte ich Kontakt zu den ehemaligen Zeichnern von «Mecki»; daß ich Reinhold Escher noch begegnen durfte, hat mir damals viel Freude bereitet.
Was ich für den STACHELKOPF zusammentrug, eignete sich auch für die COMIXENE. Die Titelgeschichte über «Mecki» (Heft 36/1981) war mein eigentlicher Einstieg dort, nachdem ich vorher schon die Italien-Rubrik betreut hatte. Ich hatte noch andere Artikel zur deutschen Comic-Historie vorbereitet und Zeichner interviewt. Da aber die COMIXENE ein rasches Ende nahm, konnte ich dort nur noch meinen Beitrag über Volker Ernsting (Heft 41/1981) loswerden. Den Artikel über Manfred Schmidt brachte das COMIC FORUM (Heft 16/1983); alles andere landete erst mal in der Schublade.
Die Arbeit für die COMIXENE hatte mein Auge auf diejenigen Comics gelenkt, die in Zeitungen und Zeitschriften erschienen waren. Daraus ist dann ein Projekt erwachsen, das leider nicht zur Veröffentlichung gekommen ist, nachdem ich 1982 bei Carlsen angedockt hatte.

COMIC!: Was für ein Projekt war das?

Eckart Sackmann: In Zusammenarbeit mit Gerd Lettkemann, einem Spezialisten für den Bereich der DDR, wollte ich eine Bibliografie der in Deutschland erschienenen Zeitschriftencomics zusammenstellen. Der erste Band («Comics in den Illustrierten nach 1945») war so gut wie fertig recherchiert, die Folgebände sollten die Comics der Programmzeitschriften und der Frauenzeitschriften auflisten. Ich bin damals kreuz und quer durch Deutschland gereist, habe die Archive und Bibliotheken aufgesucht und sämtliche Zeitschrifen von vorn bis hinten nach Comics durchblättert. Eine Sisyphusarbeit, aber unverzichtbar, wenn man sich tatsächlich ein Bild machen will. Damals gab es Zeitschriftenbände noch in Papierform; heute kriegt man oft nur Mikrofiches ausgehändigt, was eine ausgiebige Suche quasi unmöglich macht.
Die Ergebnisse der Recherchen sind dann mitunter in die Reihe «Comic-Archiv» in RRAAH! eingeflossen. Gerd hat seine Arbeit in das Buch «Schuldig ist schließlich jeder...» eingebracht.

COMIC!: Anfang des Jahres konnte man lesen, daß du eine neue Zeitschrift planst, die etwa einmal im Jahr erscheinen sollte. Nun hat sie nicht nur den Titel geändert, sondern ist auch ein Jahrbuch geworden.

Eckart Sackmann: Es kristallisierte sich schnell heraus, daß das Vorhaben den üblichen Rahmen einer Zeitschrift sprengen würde. Auch ist möglicherweise die Buchform adäquater für die angepeilte Zielgruppe der Universitäten und Bibliotheken. Derzeit gehen die Überlegungen dahin, eine jährlich erscheinende Publikation herauszugeben. Sie wird den Titel «Deutsche Comicforschung» tragen, da mir der ursprünglich angedachte Titel «Das Neueste von Onkel Jup» inzwischen doch zu exotisch vorkommt. Von einem Jahrbuch der deutschen Comicforschung zu sprechen, ist allerdings eine Option auf die Zukunft – einer spezifischen Erforschung der deutschen (deutschsprachigen) Comicgeschichte widmet sich heute kaum jemand.
Es besteht offenbar ein Zusammenhang zwischen dem Interesse, sich weitergehend mit den Zusammenhängen der Comicliteratur zu beschäftigen, und dem Comicangebot in Deutschland. Wir haben bei comicforschung.de eine Auflistung der akademischen Abschlußarbeiten zum Thema Comic: Das Gros dieser Arbeiten gilt ausländischen Comics. In den Magazinen und Feuilletons ist der Anteil der Beiträge zu Importcomics vermutlich noch höher. Natürlich ist es reizvoll, sich mit Superhelden oder dem französischen Humorcomic auseinanderzusetzen. Ich fürchte allerdings, das können die Amerikaner und Franzosen besser.

COMIC!: Wie viele Forscher gibt es etwa in Deutschland?

Eckart Sackmann: Nicht viele, soviel kann ich gleich sagen. Dann aber müßte man differenzieren, was denn ein Comicforscher ist. Unter seriöser Comicforschung verstehe ich wissenschaftliche, das heißt nachprüfbare Arbeit, die sich an Gesamtzusammenhängen orientiert. Eine solche Vorgehensweise kann man beispielsweise vom «Lexikon der Comics» erwarten. Leider ist das Halten dieser Loseblattsammlung sehr teuer – mit inzwischen 50 Ergänzungslieferungen hat der Abonnent bisher weit über 1000 Euro gezahlt.
In den Comic-Fachzeitschriften gibt es immer wieder Beiträge, die für den Forscher von Interesse sind. Die Artikelserie über Kauka von Peter Wiechmann in der SPRECHBLASE ist so ein Fall. Wiechmann liefert eine ungeheure Fülle an neuem Material, aber die Art und Weise, wie er es präsentiert, läßt es nicht zu, die Artikel, so wie sie sind, wissenschaftlich zu nutzen. Hier müßte nun jemand ansetzen und die vorgetragenen Fakten ordnen, werten, ergänzen und das Ganze neu formulieren.
Ein besonderer Fall schließlich ist der Forscher im Verborgenen, zum Beispiel ein spezialisierter Sammler, der sehr viel mehr über sein Thema weiß als irgend jemand sonst, der sein Wissen aber nicht preisgibt. Die Gründe dafür können unterschiedlicher Art sein. Der bedeutendste Comicforscher hierzulande ist sicherlich Heiner Jahncke. Er hat meiner Einschätzung nach das umfangreichste und tiefgründigste Fachwissen zum Comic in Deutschland. Leider fehlt ihm die Zeit, dieses Wissen schriftlich weiterzureichen. Selbst die Möglichkeit, ihn zu bestimmten Dingen zu befragen, ist begrenzt, obwohl er einem gern behilflich ist. Wenn er nicht einen Lösungsweg findet, wird alles, was er im Kopf hat, eines Tages mit ihm verschwinden – der Supergau für die deutsche Comicforschung.

COMIC!: Was für eine Lösung könnte das sein?

Eckart Sackmann: Das weiß ich nicht – im Fall von Heiner ist einfach die Menge an Fakten zu groß. Bei anderen Sammlern könnte ich mir eine Kooperation vorstellen. Nicht jeder Sammler ist in der Lage, sein Wissen schriftlich zu fixieren. Auf solche Leute könnte man zugehen, sich etwas erzählen und zeigen lassen und dann die gewonnenen Erkenntnisse in die richtige schriftliche Form bringen. Die so entstehenden Beiträge wären sehr nah am Objekt – etwas, was der akademischen Comicforschung meiner Ansicht nach häufig fehlt.

COMIC!: Dein Interesse gilt insbesondere dem 19. Jahrhundert und den Jahren bis 1945. Weil es dort besonders viel zu entdecken gibt (die Bestandsforschung steckt da noch in den Kinderschuhen) oder weil das bereits Entdeckte so aufregend ist?

Eckart Sackmann: Beides. Zwei Beispiele: «Wilhelm Busch ist der Stammvater der deutschen Comics.» «Die Nazis sind schuld, daß es bei uns keine Sprechblasencomics gab.» Solche Spruchweisheiten werden immer noch reproduziert, ohne daß mal jemand genau hingesehen hätte. Als Wilhelm Busch bei Braun & Schneider zu zeichnen anfing, war die erste Hochphase der Comics schon vorbei. Und die Nazis sind keine Erklärung dafür, daß 1933, rund drei Jahrzehnte nach den «Katzenjammer Kids», die Sprechblase im deutschen Comic die Ausnahme war. Was wirklich passiert ist, gilt es zu untersuchen, anhand des Comicmaterials, aber auch durch Auswertung von Presseartikeln.
Ich habe einiges an Material, das vermutlich kaum einer aus der Comicszene kennt, und ich weiß, wo ich graben muß, um noch mehr zu finden. In «Deutsche Comicforschung» werden wir solche Fundstücke vorstellen. Wenn man die Augen offenhält, stolpert man ständig über noch unentdeckte Comics. Man bekommt einen Blick dafür, wie die Zeichner mit der Form der Bild-Erzählung gespielt haben, und wieso es wenig Sinn macht, den Sprechblasencomic formal zu isolieren.

COMIC!: Im COMIC!-Jahrbuch 2001 sagtest du: «Es gibt auch heute noch &Mac220;Comicforscher&Mac221;, denen bei Comic zuerst Walter Benjamin einfällt.» Gibt es noch eine nennenswerte Anzahl dieser Forscher, und was hat Benjamin über Comics gesagt?

Eckart Sackmann: Ich habe neulich das neue Buch von Andreas Knigge gelesen und bin prompt wieder auf Benjamin gestoßen: «Doch wie der Kulturphilosoph Walter Benjamin schon 1936 in seinem Essay &Mac220;Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit&Mac221; festgestellt hat, passen sich die Künste stets den technischen Bedingungen ihrer Vervielfältigung und den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ihrer Verbreitung an.» Das ist hier reines Namedropping zum Vortäuschen von Bildung.
Benjamin sagt in diesem Aufsatz kein Wort über Comics, und auch die obige «Feststellung» ist reine Interpretation. Im Kern zielt der Autor auf etwas anderes ab, nämlich die Überwindung des tradierten Kunstbegriffs durch nicht-einmalige neue Kunstformen wie etwa den Film. Die Veränderung der Kunst, so Benjamin, bewirke auch gesellschaftliche Veränderung. Benjamins Thesen lassen sich übrigens wunderbar der Idee vom Comic als einem Massenmedium (einem die Massen bewegenden Medium) aufpfropfen.
Sich solcher «Zitate» zu bedienen, nur weil es schick ist und in den Zusammenhang paßt, halte ich für forsch, aber nicht für Forschung.

COMIC!: Welche Abschnitte der Comic-Historie sind bereits gut erfaßt?

Eckart Sackmann: Die nach 1945 erschienenen Hefte und Alben sind recht erschöpfend bekannt. Vernachlässigt wurden allerdings die Comics der satirischen Zeitschriften (PARDON); von den Werbecomics und Zeitungs- bzw. Zeitschriftencomics kennen wir nur das Gröbste. Vor 1945 erstreckt sich Wüste bis zum Horizont, mit den Oasen Wilhelm Busch und Erich Ohser.
«Erfaßt» heißt ja zunächst nicht mehr als «bekannt». Das ist die Grundvoraussetzung für sich anschließende Analysen der Erzählweisen, Zeichenstile, Rezeption, des Verlagswesens, der ganzen Palette, die einen Literatur- oder Kunstwissenschaftler interessiert. Ich halte nicht viel davon, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen. Beispiel Ohser: Wenn man «Vater und Sohn» im historischen Zusammenhang sieht, ist dies eine künstlerisch völlig belanglose Serie. Was sie in den bisherigen Analysen aufwertet, ist immer wieder der politische Kontext. Was, wenn Ohser kein böses Ende genommen hätte? Die menschliche Tragik verstellt den Blick auf die Eigenheiten des Comic. So etwas dürfte nicht passieren.

COMIC!: Ist die Primärliteratur zugänglich?

Eckart Sackmann: Im Prinzip nicht, jedenfalls nicht für den normalen Sterblichen. Wer sich der intensiven Forschung widmet, wird schnell feststellen, daß es Schwierigkeiten gibt, an bestimmte Dinge heranzukommen. Selbst relativ große Sammlungen wie die des Frankfurter Instituts für Jugendbuchforschung oder die private von Heiner Jahncke erweisen sich in manchen Bereichen als nutzlos. Sicher, die gängigen Hefte oder Alben lassen sich ohne viel Aufwand beschaffen. In Deutschland lief aber vieles in den Zeitungen und Zeitschriften.
David Kunzle vermerkte 1990, die immerhin recht bekannte eigenständige Publikation LUSTIGE BLÄTTER (mit den frühen Comics von Feininger, Trier und Simmel) habe er vollständig in keiner Bibliothek auftreiben können. Weit schwerer ist es mit den Wochenend-Humorbeilagen. Die gab es nicht nur in den USA, sondern auch bei uns, aber man findet sie eigentlich nur durch Zufall. Ich vermute, vor dem Ersten Weltkrieg wurden mehrere dieser Beilagen zentral für verschiedene Mantelpublikationen konzipiert; das heißt, Comics wurden auch in Deutschland syndikalisiert. Darüber würde ich gern mehr rauskriegen.
Man kann nur hoffen, daß in den kommenden Jahrzehnten Sammlungen zusammengeführt und bewußt ergänzt werden. Hilfreich wäre außerdem ein Überblick, was wo verfügbar ist. Die frühen Sammler sind inzwischen jenseits der 50, und nichts ist ewig. Für den Fall, daß wichtige Sammlungen vakant werden, gilt es, Perspektiven zu entwickeln, um zu verhindern, daß das mühsam Vereinte wieder in alle Winde zerstreut wird. So etwas ist in England kürzlich mit der Sammlung des verstorbenen Comicforschers Denis Gifford geschehen.

COMIC!: Welche Lerninhalte eines Literaturstudiums sind beim Durchforsten von Zeitungsarchiven auf der Suche nach zu erfassenden Comics hilfreich, welche in Hinsicht auf Verwertbarkeit der Funde notwendig? Kann die Basis, also das Aufspüren und Katalogisieren der Primärliteratur auch von interessierten Laien geleistet werden?

Eckart Sackmann: Ich würde hier nicht von «Lerninhalten eines Literaturstudiums» ausgehen. Man muß nur wissen, wonach man sucht. Jeder Hiwi kann auf Bild-Erzählungen geeicht werden, die Fundorte notieren und Bildbeispiele festhalten. Er wird aber vielleicht übersehen, daß bestimmte Zeichner noch andere Dinge als Comics geschaffen haben, die für die Künstlerpersönlichkeit von Interesse sein könnten. Und wenn man alte Humorzeitschriften durchsieht, FLIEGENDE BLÄTTER oder ähnliches, wird man wegen der Menge an Material wohl nicht alles notieren, sondern sich einen Überblick verschaffen. Das kann nur der, der das Material hinterher auch auswerten will.

COMIC!: Gibt es außer den bekannten drei, vier Namen weitere Wissenschaftler, die sich nachhaltig mit dem Thema Comic beschäftigen? Oder sind wissenschaftliche Arbeiten zu dem Thema immer «Oneshots», die ohne Fortsetzung und Vertiefung bleiben?

Eckart Sackmann: Gemeint ist wohl die wissenschaftliche Arbeit mit Comics an Universitäten. Aus Erfahrung begrenze ich Comicforschung ungern auf den akademischen Bereich, selbst «wissenschaftliche» Comicforschung. Dazu kenne ich zu viele wertvolle Beiträge aus Sammlerkreisen und zu viele sinnlose von hochrangigen Akademikern.
An der Universität wird derzeit ja kaum zu Comics gearbeitet – mehr vielleicht noch von Studenten (Abschlußarbeiten) als vom Lehrkörper. Nehmen wir aber ein paar bekannte Namen: Bernd Dolle-Weinkauff, Dietrich Grünewald. Ihre tägliche Arbeit geht in der Regel weit über das hinaus, was man mit Comicforschung bezeichnet. Dolle-Weinkauff ist eingebunden in ein Institut, das sich der Kinder- und Jugendbuchforschung verschrieben hat. Comics sind hier nur ein Teilbereich, wenn auch einer, in dem sich Bernd sehr engagiert. Grünewald ist Kunstwissenschaftler. Comics mögen ihn vorrangig interessieren, den Lehrplan wird er damit aber nicht füllen. Günter Dammann in Hamburg ist Literaturwissenschaftler und Mitglied der ArGL. Er möchte gern ein bereits begonnenes Forschungsprojekt über den Zeitungscomic zu Ende führen; es mangelt aber an Geldmitteln. Michael F. Scholz, einer unserer DDR-Experten, unterrichtet Geschichtswissenschaft in Schweden und betreibt Comicforschung quasi als Hobby.
Was wir brauchen, ist ein Lehrstuhl allein für Comicliteratur. Und jemand, der diesen Lehrstuhl nicht nur verwaltet, sondern darin eine Chance sieht, den Bereich Comic universitär auf eine neue Stufe zu heben. Jemand mit Dynamik, Kontaktfreudigkeit, Kenntnis, Erfahrung, Neugierde und wissenschaftlicher Verantwortung. Jemand, der sich engagiert rund um die Uhr der Comicforschung widmet.

COMIC!: Ist das eine realistische Vorstellung?

Eckart Sackmann: Es ist eine Idealvorstellung, das gebe ich zu. Ich sehe an einer deutschen Universität im Moment dafür kaum eine Chance. Wenn ich so etwas vortrage, heißt es immer: «Wenn Sie jemanden mitbringen, der Ihnen diese Stelle finanziert, können wir darüber reden.» Wir brauchen einen potenten Sponsor, der sein Vermögen in die Erforschung der Schundliteratur investiert – ich denke, jeder erkennt hier den Haken.

COMIC!: Ist die Universität für die Comicforschung eine Sackgasse?

Eckart Sackmann: Ganz und gar nicht. Es sind ja Fortschritte zu verzeichnen, allerdings geht mir das alles viel zu langsam. Dietrich Grünewald hat neulich eine Gruppe von Experten zusammengetrommelt, die zukünftig enger zusammenarbeiten wollen. Wir brauchen Netzwerke, national wie international. Zum Beispiel Leute an mehreren Universitäten, die sich gegenseitig besuchen und beraten und zu Tagungen auch Kollegen aus dem Ausland einladen. Das erregt Aufmerksamkeit und bringt sicher auch Forschungsergebnisse.
So kann man sich Schritt für Schritt nach oben hangeln. Ich wünsche mir eine fächerübergreifende Zusammenarbeit, zum Beispiel mit Kunstgeschichtlern, Volkskundlern und Zeitungswissenschaftlern; wir sollten mit Museen und Archiven kooperieren, mit allen Stellen, die zur Grundidee beitragen können. Das muß jetzt organisiert und in die Wege geleitet werden, und dafür werde ich mich einsetzen.

COMIC!: Wie kann sich das neue Jahrbuch hier einfügen?

Eckart Sackmann: Es ist zunächst einmal eine Möglichkeit, adäquat über Comics zu berichten. Adäquat heißt, indem es den Bildanteil dieser Literatur nicht so vernachlässigt, wie das normalerweise in Uni-Publikationen der Fall ist. Die Repro- und Drucktechnik hat in den letzten Jahren immense Fortschritte gemacht; das bietet gerade für die Comicforschung Perspektiven. «Deutsche Comicforschung» ist ganz in Farbe gedruckt, mit einem hohen Gehalt an Abbildungen. Das ist nur die technische Seite, aber die ist nicht unwichtig. Auch zur eigentlichen Forschung, zur Recherche setzen wir heute Methoden ein, die noch vor zehn Jahren ein Traum gewesen wären.
Zum anderen bietet «Deutsche Comicforschung» eine Plattform für alle, die sich am Diskurs beteiligen wollen. Das Jahrbuch wird künftig Ergebnisse der nationalen Comicforschung sammeln und kommentieren. Im ersten Band spielt dieser Aspekt noch keine Rolle. Erst einmal hoffe ich, daß die Attraktivität der ersten Ausgabe dieses Jahrbuchs zu Initiativen anregt, und dann sehen wir weiter. Ich hoffe doch, daß im Band von 2006 schon weit weniger Beiträge aus meiner eigenen Feder stammen, als das jetzt der Fall ist.
In diesem Jahr habe ich Günter Dammann, Bernd Dolle-Weinkauff, René Granacher, Dietrich Grünewald, Heiner Jahncke, Andreas Krägermann, Gerd Lettkemann und Michael F. Scholz als Mitarbeiter gewinnen können. Es wäre schön, wenn sich auch andere mit diesem Jahrbuch identifizieren und es für sich nutzen. Allerdings sieht das Konzept nicht vor, alles, was die Post bringt, auch abzudrucken. Es gibt eine Redaktion, die Vorschläge gutheißt oder ablehnt, die dann aber auch die Beitragenden unterstützt, sei es durch redaktionelle Hinweise oder durch das Heranschaffen von Bildmaterial. Ich habe jetzt in der Vorbereitung der ersten Ausgabe gemerkt, wie ertragreich es ist, wenn Redaktion und Schreiber häufig miteinander reden und quasi gemeinsam einen Beitrag voranbringen. Die Sache ist das Ziel.


COMIC!: In welcher Form werden Beiträge «ohne Druckfreigabe» (sei es, weil sie den Ansprüchen nicht genügen oder den begrenzten Platz sprengen – die Ergebnisse der Comicforschung sollten idealerweise mehr als 150 Seiten im Jahr füllen) archiviert, den Mitforschern zugänglich gemacht und gegebenenfalls weiterentwickelt?

Eckart Sackmann: Wenn sie den Ansprüchen nicht genügen, z. B. vom Thema her, fallen sie für das Jahrbuch unten durch. Es ist dann die Angelegenheit des Verfassers, eine Veröffentlichung an anderer Stelle zu verfolgen. Sind sie zu umfangreich (das gilt etwa für Dissertationen), müssen wir momentan aus finanziellen und wohl auch personellen Gründen passen. Das Jahrbuch erscheint bei comicplus+, aber comicplus+ wird Sekundärliteratur immer nur am Rande mitnehmen. Über das Jahrbuch hinaus ist bei uns nichts in Planung. Wenn ich «Deutsche Comicforschung» in den nächsten Jahren mit Beiträgen füllen kann, bin ich schon ganz glücklich, denn – wie schon erwähnt – es wird nicht sehr viel zum deutschen Comic geforscht.

COMIC!: Du verfolgst ein Konzept, die Beiträge historisch zu gliedern. Welchen Nutzen hat das?

Eckart Sackmann: Um Comicliteratur zu begreifen, muß man ihre Geschichte kennen. Wenn man den Gesamtzusammenhang aus den Augen verliert, wird man zum Fachidioten. Merkwürdigerweise wird unsere Gesellschaft immer geschichtsloser, obwohl doch gerade jetzt ein Übermaß an Wissen für jeden verfügbar ist. Die Beiträge in «Deutsche Comicforschung» sollen einen möglichst weiten Bogen spannen, um beim Leser die Vorstellung wachzuhalten, daß Comics zu jeder Epoche ihre besondere Grundlage gehabt haben. Wer um die historische Struktur des Comic weiß, wird auch kein Problem haben, das, was ein Comic ist, als Comic zu erkennen – selbst wenn dieser Comic ganz anders aussieht als «Batman» oder «Asterix». Die Geschichte des Films beginnt ja auch nicht erst mit dem Tonfilm.
Im Band für 2005 fangen wir mit einem Beispiel aus dem späten 18. Jahrhundert an und enden mit einem digitalisierten Comic aus dem dritten Jahrtausend. Das knistert, das ist spannend, und man sieht alles, was dazwischen steht, gleich mit ganz anderen Augen. Daß «Deutsche Comicforschung» allein den deutschsprachigen Comic im Visier hat, macht es besonders interessant. Ich hoffe, daß wir mit dem Jahrbuch auch ein Stück «Identität» für unsere nationale Comicliteratur schaffen. Nur damit können wir international antreten.

COMIC!: Du hast einen digitalen Comic erwähnt. Wird das Internet die Basis und das «Gedächtnis» der tapferen Forschungsexpedition sein?

Eckart Sackmann: Ja und nein. Ich mißtraue dem Internet, weil es so flüchtig ist. Wir haben zum Beispiel schon jetzt während der Arbeit des letzten halben Jahres gemerkt, daß zitierte Internetseiten einfach verschwunden sind. Das ist ein Mißstand, mit dem wir auf Dauer wohl leben müssen, denn wenn eine Information allein im Internet zu finden ist, muß man diese Quelle auch benennen. Es verhindert aber die Nachprüfbarkeit einer Information.
Noch ist «Papier» beständiger, auch mit Blick auf die schnelle Entwicklung der Digitaltechnik und den Verfall digitaler Daten, wodurch heutige CDs in zwanzig Jahren vielleicht nicht mehr ohne weiteres abspielbar sind. Ich nutze das Internet, wo ich nur kann; von daher ist es Teil meines «Gedächtnisses». Häufig sind es aber nur Anregungen, die ich mir aus dem Netz hole. Das meiste muß man noch mal auf «Papier» verifizieren. Ich gebe auch zu, daß es mir viel mehr Spaß macht, in einer guten Bibliothek vor Tausenden von (hoffentlich gut sortierten) Büchern zu stehen, als im Internet zu googeln.

COMIC!: Das Jahrbuch «Deutsche Comicforschung» wird einen Umfang von 144 Seiten haben, ganz in Farbe gedruckt und als Hardcover aufgebunden sein. Wie ist so etwas zu finanzieren?

Eckart Sackmann: Nach meinen Erwartungen werden die Produktionskosten höher sein als die Einnahmen, selbst bei einem Preis von 40 Euro pro Band. Fürs erste trage ich die Differenz aus eigener Tasche, aber im nächsten Jahr hätte ich gern finanzielle Unterstützung. Wenn die Mittel vergebenden Stellen sehen, daß hier ernsthafte Forschung betrieben wird, sollte es möglich sein, für dieses Projekt Zuschüsse zu bekommen. Die Forschungsarbeit und auch die Zeit, die bei der Redaktion des Jahrbuchs draufgeht, kann einem natürlich keiner bezahlen.

COMIC!: Ich wünsche dir im allgemeinen Interesse, daß du mit deinen Vorhaben Erfolg hast. Vielen Dank für das Gespräch.

Aus Anlaß der Gründung der "Gesellschaft für Comicforschung" im vollen Wortlaut abgedruckt.


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