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Burkhard Ihme (Hrsg.)
Juni 2000
224 Seiten DIN A4, 224 Seiten, inkl. 7 Farbseiten
EUR 10,15
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COMIC!-JAHRBUCH 2000

Protestantische Comic-Wüste Germanien?
Deutsche Autorencomics der 80er und 90er Jahre (1980-2000)

Eine Bestandsaufnahme aus der Vogelperspektive von Martin Frenzel


Betrachtet man die letzten beiden Dekaden des 20. Jahrhunderts im Rückblick, dann fällt dem Chronisten vor allem der Boom der deutschen Autorencomics auf. Nie zuvor gab es in deutschen Landen einen in Qualität und Quantität derart hohen Ausstoß an "germanischen" Eigenproduktionen.

Neu war vor allem der Durchbruch der realistischen Comic-Schule im deutschen Sprachbereich. Diese enorme Schaffensfülle wurde freilich bisher kaum wahrgenommen. Im Gegenteil: noch immer streiten die Fachleute über die Ursachen dafür, warum es in Deutschland keine eigene Comic-Tradition und -produktion gibt. Jüngster Ausbund dieser Bemühungen ist die gewagte These, der Comic sei eine "katholische Kunstform". Der in Deutschland angeblich die kulturelle Hegemonie innehabende Protestantismus habe diese Comic-Kultur erst gar nicht entstehen lassen, sondern massiv unterdrückt.1 Diese neue These geht davon aus, daß überall da, wo Protestantismus dominiert, die Bilderstürmerei und Comic-Askese fröhliche Urständ feiern.

Diese neue Spielart der berühmten Untersuchung des deutschen Soziologen Max Weber über "Die Protestantische Ethik und den Geist des Kapitalismus" ist jedoch im mehrfachen Sinne irreführend. Zum einen wird die calvinistisch-puritanische Tradition der USA, die Weber einst zu seiner These inspirierte, konsequent unterschlagen, obwohl gerade die US-amerikanische Tradition der Bildgeschichten zu Recht als Geburtsland und Domäne der Gattung firmiert. Zum anderen läßt die Protestantismus-These völlig außer acht, daß gerade im protestantisch geprägten Skandinavien (insbesondere Dänemark und Schweden) eine reichhaltige, jahrzehntelange Comic-Tradition existiert. Die Behauptung von der "katholischen Kulturform" grenzt, so gesehen, beinahe an Geschichtsklitterung, ganz abgesehen davon, daß man den Protestantismus (Luthertum) historisch gesehen beim besten Willen nicht pauschal und undifferenziert mit der "Bilderstürmerei" der Calvinisten und Zwinglianer (d.h. mit Bilderfeindlichkeit) gleichsetzen kann. Das Comic-Eldorado Dänemark (seit Storm P. 1913) wäre nach diesem Denkmodell ebenso ein Ding der Unmöglichkeit wie die Rolle der calvinistisch-puritanisch geprägten USA als Wiege der Comic-Kultur.

Es spricht meiner Ansicht nach mehr dafür, den Hauptgrund für das Fehlen einer eigenen germanischen Comic-Kultur literaturgeschichtlich und nicht entlang der Konfessionskonflikte zu verorten.2 Demnach geschah in Deutschland auf dem Feld der Bildgeschichte im 19. Jahrhundert Bahnbrechendes: der von Wilhelm Busch ("Max und Moritz") & Co. geprägte Bildgeschichten-Stil schottete sich freilich, kaum war mit deutschen Bildergeschichten wie "Struwwelpeter" und "Max und Moritz" der Zenit internationaler Anerkennung erreicht, nach außen gegen jedwede Innovation durch den amerikanischen und später den westeuropäischen Comic (vor allem frankobelgischer Provenienz) ab. Es läßt sich, kurz gesagt, mit einigem Recht von einer auf dem Stand des 19. Jahrhunderts steckengebliebenen Bildgeschichtenkultur sprechen (allen voran in Gestalt des legendären Satireblatts "Simplicissimus")...


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